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Ein Jahr Mindestlohn: die Bilanz im Landkreis Lichtenfels


Autor: Lisa Kieslinger

LKR Lichtenfels, Freitag, 05. Februar 2016

Laut der Gewerkschaft NGG hat der Landkreis von der neuen gesetzlichen Regelung profitiert. Wir hören uns bei Innungsvertretern um: Stimmt das wirklich so?
8,50 Euro gab es in der Backstube von Mathias Söllner in Lichtenfels schon lange. Die Dokumentationspflicht hält sich bei ihm in Grenzen. Foto: Lisa Kieslinger


Vor gut einem Jahr ist der Mindestlohn eingeführt worden. Nun zieht die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) Oberfranken ihre Bilanz. Die Diagnose der Gewerkschaft: Der Landkreis Lichtenfels profitierte vom Mindestlohn.

Dazu legt die NGG eine "Mindestlohn-Analyse" vom Pestel-Institut in Hannover vor. Die Wissenschaftler werteten hierfür die Beschäftigungssituation im Landkreis aus. "Anstatt Servicekräfte oder Küchenpersonal zu entlassen, haben Hotels, Pensionen, Restaurants und Gaststätten neue Kräfte eingestellt", sagt Michael Grundl, Geschäftsführer der NGG. Zudem habe der Mindestlohn dazu geführt, dass viele Arbeitgeber aus Mini-Jobs reguläre Stellen gemacht hätten. "Und auch der Wirtschaft hat er nicht geschadet", heißt es in der Pressemitteilung. Ganz im Gegenteil: Das Lohn-Plus habe dem Kreis eine höhere Kaufkraft beschert.

Doch hat sich der Mindestlohn im Landkreis wirklich so gut etabliert? Wir haben mit denen gesprochen, die es wissen müssen, den Vorsitzenden der verschiedenen Innungsverbände: Bäckerei-, Bau- sowie Hotel- und Gaststättengewerbe.


Bilanz des Gaststättenvertreters

"Die 8,50 Euro waren in der Gastronomie noch nie ein Problem. Das haben wir schon vorher gezahlt", sagt Volker Gagel, Kreisvorsitzender des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes, kurz BGH. Mehr Probleme mache die Dokumentationspflicht. Volker Gagel muss für jeden seiner Mitarbeiter im Finkenhof in Michelau eine Liste führen: Wann ist derjenige gekommen und wann hat er Feierabend gemacht - und das auf die Minute genau. "Die Politik redet immer darüber, dass das Wirtshaus zur Dorfkultur gehört, und dann bürden sie uns solche Hürden auf", sagt Gagel.

Von einem Kollegen hat er sogar von Zoll-Kontrollen gehört: "Die kommen unangemeldet und jeder von ihnen schnappt sich einen Mitarbeiter und befragt ihn." Und das auch noch am Sonntagmittag, im Hauptgeschäft. "Zwei Stunden geht dann erst mal gar nichts mehr. Das kann doch einfach nicht sein", sagt Gagel.
Auch die Vorschrift, dass Bedienungen nicht länger als zehn Stunden am Stück arbeiten dürfen, stellt die Gaststättenbesitzer vor eine große Herausforderung. "Wenn man eine Hochzeit hat, dann ist um 1 Uhr Schluss, wenn man nur eine Bedienung hat." An solchen Tagen müsste man im Schichtdienst arbeiten. Doch das müsse man sich leisten können - "und Leute finden." Bei dem Fachkräftemangel sei das nicht einfach.


Bilanz des Bäcker-Meisters

Ähnlich sieht auch die Bilanz von Mathias Söllner, Kreisvorsitzender der Bäcker-Innung, aus. "Das Bäckerhandwerk war von dem gesetzlichen Mindestlohn kaum betroffen", sagt er. Die meisten Mitarbeiter seiner Lichtenfelser Bäckerei hätten schon lange 8,50 Euro bekommen. Lediglich ein Lkw-Fahrer von Mathias Söllner hat vom gesetzlichen Mindestlohn profitiert und bekommt seit letztem Jahr etwas mehr. "Alle sagen immer wie wichtig der Mindestlohn ist. Doch dann kaufen sie ihre Brötchen in einer Aufbackstation. Die Ware kommt meist nicht aus Deutschland und die Arbeiter werden unter 8,50 Euro bezahlt", sagt Söllner. Doch in den vergangenen Jahren gehe das langsam wieder zurück. "Wir machen gute Umsätze. Im letzten Jahr war die Branche auf jeden Fall zufrieden."


Bilanz des Bauhandwerks

"Bei uns ist der Mindestlohn eine ganz andere Nummer", sagt Wolfgang Schubert-Raab, Geschäftsführer der Baufirma Raab in Ebensfeld und Obermeister der Bau-Innung. Denn auf dem Bau gebe es schon seit 1997 einen Mindestlohn. Angefangen hat alles bei 17 D-Mark - was umgerechnet dem heutigen Mindestlohn entspricht. "Das wurde damals mit dem Entsendegesetz eingeführt. Damit wollte man vermeiden, dass Firmen Arbeitskräfte aus dem Ausland holen und sie nach dem Lohn ihrer Heimat bezahlen", erklärt Schubert-Raab. Vor 1997 hätten größere Baufirmen diese Arbeiter mit zwei, drei Euro abgespeist, erinnert er sich.

Aktuell gibt es auf dem Bau zwei Mindestlöhne: Ungelernte Arbeiter bekommen 11,25 Euro und gelernte Arbeitskräfte - darunter können auch fachfremde sein - 14,45 Euro. Und genau hier liegt eine Schwierigkeit. Denn Facharbeiter, die den Handwerksberuf von der Pike auf gelernt haben, bekommen 16,65 Euro - gerade einmal zwei Euro mehr.

"Diese Differenz ist einfach zu klein. Logisch setzt man dann lieber Facharbeiter ein." Zudem gibt es für Wolfgang Schubert-Raab trotz Mindestlohn immer noch eine sehr große Marktverzerrung. "Das Baunebengewerbe - Maler, Verputzer oder Galabau - hat einen viel niedrigeren Mindestlohn und macht unsere Arbeit." Dadurch könnten diese Kräfte viel günstigere Angebote machen und bekämen öfter den Zuschlag.

Der Obermeister erinnert sich an die große Welle, die vor einem Jahr wegen der Dokumentationspflicht gemacht wurde. Jetzt habe sich das wieder entschärft. "Für Arbeiter, die länger als zwei Jahre da sind, und für Familienangehörige muss das nicht mehr gemacht werden." Eine große Erleichterung, wie Schubert-Raab findet. "Es bringt doch einfach nichts, wenn wir uns gegenseitig ständig Zettel zuschieben und am Ende vom Tag feststellen, dass wir nicht zur Arbeit gekommen sind."

Der Geschäftsführer der Baufirma Raab legt Wert darauf zu erwähnen, dass der Mindestlohn zwei Seiten habe: Natürlich sei es wichtig, dass die Leute ordentlich bezahlt werden und vom Einkommen leben können. Doch zudem gebe es noch die anderen Arbeitnehmer, die unter der Einführung des Mindestlohns leiden müssen, denn 8,50 Euro könne nicht für jeden Arbeiter gezahlt werden. "Bestimmte Leute, die benachteiligt sind, mussten teilweise entlassen werden, weil sie für das Geld nicht die erwartete Leistung bringen konnten." Doch das sei oft nicht dem Umstand geschuldet, dass die Leute nicht wollen, sondern manchmal - durch geistige oder körperliche Beeinträchtigungen - dass sie einfach nicht können.