Die schier unglaubliche Geschichte der Entführung eines Staffelsteiners
Autor: Markus Häggberg
Lichtenfels, Dienstag, 17. Juli 2018
Es kommt nicht oft vor, dass die Staatsanwaltschaft im Lichtenfelser Amtsgericht mehr als drei Jahre Haft fordert - ohne Bewährung. Am Montag war das aber der Fall in einem Prozess, der wegen versuchter räuberischer Erpressung angesetzt wurde und bei dem manch Prozessbeteiligter doch ein Lachen zu unterdrücken hatte.
Immer wieder schilderte der 31-jährige Angeklagte detailreich, was vom Schöffengericht unter Vorsitz von Richterin Ulrike Barausch als skurril empfunden wurde. Entführung, Menschenhandel, eine utopische Lösegeldforderung und ein Verhalten mit Seltenheitswert.
Rückblende: Im März 2017 nahm der Angeschuldigte aus dem Staffelsteiner Raum an einer Tagung in Fürth teil und verschwand. Mehr als zwei Wochen später ging bei der E-Mail-Adresse seiner Lebensgefährtin die Nachricht ein, dass ihr Freund nun "rein zufällig an Bord" sei, da er "uns in die Quere gekommen ist". Zudem stand geschrieben: "Wir sind Menschenhändler" und man würde den jungen Mann zurückgeben. Da man auf sein PayPal-Konto Zugriff habe, sollten dorthin 1,5 Millionen Euro überwiesen werden. Bis Ende April bestünde Zeit, die Summe aufzubringen, andernfalls würde der Gefangene verkauft werden.
Vortäuschen einer Straftat
Was die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Philip Pasch, dem 31-jährigen gelernten Handwerker zur Last legte, war nicht nur eine versuchte räuberische Erpressung, sondern auch eine Verknüpfung dieser mit dem Vortäuschen einer Straftat. Denn es gab Verdachtsmomente, die der Staatsanwaltschaft und Polizei im Zuge ihrer Ermittlungen auffielen und die sich während der Verhandlung durch die Aussagen des Angeklagten weiter verhärteten. Beim Beinevertreten nach einem anstrengenden Seminartag sei er an einem Lieferwagen vorbeigekommen, bei dem er eine Reifenpanne vermutete, erzählte der Mann. Dann sei er von hinten niedergeschlagen worden und als er wieder erwachte, habe er sein Handy an einen Laptop angeschlossen gesehen und sei von südländisch wirkenden Männern zwischen 40 und 50 Jahren umgeben gewesen.
Zwei bis drei Tage sei man mit ihm gefahren, wobei er "kein Auge zugemacht" habe. In einem Waldstück habe er austreten dürfen und einmal sei ihm auch beinahe ein Fluchtversuch geglückt, als er die Böschung zu einem bis 200 Meter breiten Fluss hinuntersprang, so der durch Rechtsanwalt Albrecht Freiherr von Imhoff vertretene Mann kurz nach Eröffnungsbeginn.
Und er legte nach: "Insgesamt war ich zwei Monate unterwegs [...] und mir wurde gesagt, dass wir in Thailand wären. Wie das vonstatten gegangen sein soll, dazu hatte der Mann auch eine Vermutung. Einmal nämlich habe er einen Druckabfall empfunden und so mutmaßte er, dass der Lieferwagen in ein Flugzeug verladen worden sein könnte.
Mit Trick aus MacGyver aus Handschellen befreit?
Wie der Mann das ausführte, schmunzelten die Prozessbesucher in der hintersten Sitzreihe des Saals 14, als der Mann aber angab, sich einmal aus alten Handschellen befreit zu haben, da er sich den hierzu nötigen Trick aus der Actionserie MacGyver abgeschaut habe, stand auch den Schöffen ein unterdrücktes Schmunzeln im Gesicht. Nach seiner Ernährung während dieser harten Zeit gefragt, erklärte der Mann, man habe ihm nur Wasser und Brot gereicht und dann und wann hätte ein Mann in weißem Kittel eine Spritze in den Oberarm gesetzt. "Das ist alles sehr abenteuerlich", kommentierte Barausch und konfrontierte den Beschuldigten mit der Meldung der ungarischen Polizei, dass er in der Zeit seines Verschwindens während einer Bootsfahrt auf der Donau in eine Kontrolle geriet. Sein Kommentar: "Das war ich nicht."
Von Ominösem berichtete auch ein Ermittler aus Fürth, der von einem "ziemlichen Mischmasch, auf den man sich keinen Reim machen konnte" sprach. Mal sei ein Bekennerschreiben in gutem Deutsch eingegangen, mal in gebrochenem, vor allen Dingen aber sei es unüblich, dass Menschenhändler Menschen mitnehmen, von denen sie nicht wissen, ob diese überhaupt über Geld verfügen. Und wenn sie es täten, würden sie sich nicht über zwei Wochen Zeit lassen, um sich bei Angehörigen zu melden. "So einen Fall hat es im Raum Nürnberg noch nie gegeben", erklärte der Beamte.