Druckartikel: "Die innere Stimme, die wir hören, wenn wir in einer Situation des Leidens sind"

"Die innere Stimme, die wir hören, wenn wir in einer Situation des Leidens sind"


Autor: Gerda Völk

Bad Staffelstein, Freitag, 18. November 2016

"Selbstmitgefühl kann man lernen", sagt Chefärztin Dr. Elisabeth Rauh von der Psychosomatischen Klinik der Schön Klinik in Bad Staffelstein.
Auch Selbstmitgefühl kann man lernen, erläuterte Dr. Elisabeth Rauh im Rahmen eines Gesundheitsgespräches.  Foto: Gerda Völk


"Selbstmitgefühl kann man lernen", sagt Chefärztin Dr. Elisabeth Rauh von der Psychosomatischen Klinik der Schön Klinik in Bad Staffelstein. Welche Schritte dazu nötig sind, das erklärte die Chefärztin im Rahmen der Reihe Gesundheitsgespräche am Donnerstag. Unter den knapp 160 Besuchern der gut einstündigen Veranstaltung waren auffallend viele Frauen.
"Selbstmitgefühl ist die eigene innere Stimme, die wir hören, wenn wir in einer Situation des Leidens oder der Angst sind. Die innere freundliche Stimme, die uns beruhigen möchte und trösten kann. Im Unterschied von Selbstvorwürfen und Selbstkritik", erklärte die Referentin, die auch einen Einblick in das Stoffwechselgeschehen gab. Während Selbstmitgefühl mit einer Erhöhung des Hormons Oxytocin, einer Endorphin-Ausschüttung und der Verbesserung der Immunparameter einhergeht, wird bei Selbstkritik das Angst- und Bedrohungssystem über Adrenalin aktiviert.


Hilfreiche Gedanken

Wie Rauh veranschaulichte, ist Selbstmitgefühl keine Technik um sich wohlzufühlen, sondern eine Technik im Umgang mit Leid- und Angsterlebnissen. So wie eine Mutter ein weinendes Kind durch ihre mitfühlende Stimme und tröstende Worte beruhigt, kann ein Therapeut mit seinen Patienten hilfreiche und freundliche Gedanken erarbeiten. Selbstmitgefühl lässt sich erlernen, wie eine Fremdsprache.
Das Herzstück der Technik ist die Formulierung. Zunächst geht es darum die Situation (das Leid) als zum Menschsein dazugehörig zu akzeptieren. In einem nächsten Schritt wird das formuliert, was gerade in dieser Situation benötigt wird, wie Zuversicht, Mut. Am konkreten Beispiel einer schmerzhalten Trennung vom Partner/in festgemacht, könnte das in etwa so lauten: "Das ist eine schwere Situation, dass ich jemanden liebe, aber nicht von ihn geliebt werde. Möge ich die Kraft und Ausdauer haben, um damit fertig zu werden". Eine Technik zu der bewusstes Atmen und eine bequeme Position, wie setzen oder hinlegen gehört.


Nur nicht durchschnittlich sein

Kerstin Neff, eine amerikanische Wissenschaftlerin, hat das Selbstmitgefühl intensiv erforscht und gilt als Pionierin auf diesem Gebiet. Ihr spiritueller Hintergrund ist der Buddhismus und die Meditation. Wie Kerstin Neff in ihren Büchlein "Selbstmitgefühl. Schritt für Schritt" im Kapitel "Suche nach Selbstwert und Selbstmitgefühl" beschreibt, ist es in der westlichen Kultur sehr wichtig, etwas Besonderes zu sein. Die Aussage durchschnittlich zu sein, wird von den meisten eher als beleidigend empfunden. Dies bedeute, dass vor diesem Hintergrund eine Vermischung von Selbstwert und Selbstmitgefühl wie die Quadratur des Kreises erscheinen muss. Entweder ich muss besonders sein, oder ich bin wie die anderen.
Die Referentin machte auf ein kleines Buch von Pater Anselm Grün aufmerksam, das selbstmitfühlende Formulierungen mit christlicher Ausgestaltung beinhaltet. Auch Christine Brähler, eine Psychotherapeutin in München hat ein Buch mit dem Titel "Selbstmitgefühl entwickeln. Liebevoller werden mit sich selbst" herausgegeben. Darin beschreibt sie auch die Bedeutung des Inneren Raumes, um Gedanken nicht zu nah an sich heranzulassen. Im Anschluss an den Vortrag blieb noch Raum für persönliche Fragen.