Die Altenkunstadt Wacht am Main passt auf
Autor: Stephan Stöckel
Altenkunstadt, Freitag, 29. Mai 2015
Herbert Ramer hat vor 60 Jahren zusammen mit 19 Frauen und Männern die Altenkunstadter Ortsgruppe der Wasserwacht aus der Taufe gehoben. Seitdem kämpfen sie das ganze Jahr über gegen den nassen Tod.
Wenn der 80-jährige Hermann Ramer am Ufer des Mains steht und auf das Wehr blickt, dann werden die Erinnerungen lebendig an jenen schicksalhaften Sommertag vor 72 Jahren, als ein Freund des damals Neunjährigen in den Fluten des Mains ertrank. Ein Ereignis, das rund zehn Jahre später die Weichen im Leben des Altenkunstadters auf das Gleis der Wasserwacht stellen sollte.
"Es löste in mir das Bedürfnis aus, Rettungsschwimmer zu werden", sagt Ramer. Seit sechs Jahrzehnten fühlt sich der Altenkunstadter dem Gedanken der Wasserwacht, Leben zu retten und Schwimmen zu erlernen, verbunden. Der heutige Ehrenvorsitzende war es, der 1955 zusammen mit 19 Frauen und Männern die Altenkunstadter Ortsgruppe der Wasserwacht aus der Taufe gehoben hatte. "Es war die Zeit, als Altenkunstadt noch ein eigenes Flussbad hatte, in dem an warmen Sommertagen reger Badebetrieb herrschte.
Badeanstalt errichtet
Zum Gründungsvorsitzenden wählte man Ramer, der über Jahrzehnte hinweg als Vorsitzender und stellvertretender Vorsitzender die Geschicke der Ortsgruppe maßgeblich mitbestimmen sollte. Bereits ein Jahr später krempelte man die Ärmel hoch und errichtete in Eigenleistung eine Badeanstalt, aus der später nach diversen Umbauarbeiten das heutige Bootshaus am Main wurde. Die schlechten Umkleidemöglichkeiten am Main, so Ramer, hätten Gemeinde und Ortsgruppe zu der Maßnahme veranlasst.
Während Wasserwachtler beim Bau der Badeanstalt beschäftigt waren, wurde ihnen ein Unfall im Wasser gemeldet. Die sofort eingreifenden Rettungsschwimmer konnten den Verunglückten jedoch nur noch tot bergen. "Durch diesen tragischen Unglücksfall wurde der Bevölkerung die Notwendigkeit der Wasserwacht noch bewusster", klinkt sich der heutige Vorsitzende Herbert Sachs in das Gespräch ein, der als ehemaliger Taucher so einige Rettungseinsätze auf dem Main mitgemacht hat.
Als wäre es erst gestern geschehen, so frisch sind ihm die Erinnerungen an jenen Sommerabend in den 80er-Jahren geblieben, als ein Schneyer Original im Main Selbstmord beging. "Er fuhr mit seinem Fahrrad und einem Hut auf den Kopf, auf dem sein Papagei saß, schnurstracks in den Main. Der Vogel flog davon und der Hut schwamm auf dem Wasser. Das berichteten mir Augenzeugen des schrecklichen Geschehens, nach meinem Einsatz in den Fluten des Mains."
Der Tote im Wasser
Drei Meter musste er damals tauchen. Als er dann plötzlich auf den leblosen Körper des Mannes gestoßen sei, habe er im ersten Moment einen Schreck bekommen. "Da läuft es einem kalt den Buckel herunter. So abgebrüht ist niemand, dass man das einfach so wegsteckt", schildert der Strössendorfer seine Eindrücke. Haben die Einsätze bei ihm langfristig seelische Narben hinterlassen? "Nein. Mit der Zeit hat man sich daran gewöhnt", wiegelt der Redner ab. Selbst für ausgebildete und trainierte Rettungsschwimmer wie Sachs bedeutet ein Einsatz Gefahr für Leib und Leben. Das musste der heute 67-Jährige bei einem Rettungseinsatz im Winter vor rund 15 Jahren erkennen, wo er einen Schlittschuhläufer aus dem eiskalten Strössendorfer Baggersee befreien wollte. Dabei brach er selbst auf dem Eis ein und streckte hüfthoch im eisigen Nass.
Todesangst oder Eiseskälte habe er damals nicht verspürt. "In einem solchen Moment vergisst du alles um dich herum und hast den Tunnelblick. Du bist nur noch darauf fixiert, ihn zu retten." Mit Hilfe der Feuerwehr und eines weiteren furchtlosen Bürgers, der Konrad Stengel hieß, konnte der Freizeitsportler schließlich lebend gerettet werden. Für ihr beherztes Handeln wurden Sachs und Stengel vom damaligen baye rischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber mit der baye rischen Rettungsmedaille ausgezeichnet.
Die Gedanken der beiden schweifen aber auch immer wieder in die Gründerjahre der Ortsgruppe zurück, in der das Flussbad, das Ende der 60er-Jahre aufgelöst worden war, einen abgetrennten Bereich für Nichtschwimmer und einem Doppelsprungturm hatte. "Man konnte vom Ein- und Dreimetersprungbrett in das an dieser Stelle vier Meter tiefe Wasser des Mains springen", erzählt Ramer.
Das erste Pressluftgerät
Es war eine Zeit, in der bei der Ortsgruppe Improvisieren angesagt war. Davon zeugen Bilder aus dem Jahre 1958. Sie zeigen einen jungen Mann namens Reinhard Wuttke, der eine ganz besondere Konstruktion präsentiert. "Es war ein von mir aus einer Segeltuchplane entworfenes Tragegestell für unser erstes Pressluftgerät zum Tauchen", klärt der Gründungsvorsitzende auf. "In solchen Dingen war er ein Spezialist", lobt ihn Sachs.
Inzwischen sind die Jahre ins Land gegangen - 60 an der Zahl. Aus welchem Holz ist das Langlebigkeitsgen geschnitzt, das dafür sorgt, dass die Ortsgruppe noch immer aktiv ist? Die Bombenkameradschaft und die Idealisten, die am Ruder seien, führt Sachs als Gründe an, der seit 55 Jahren der Wasserwacht die Treue hält.
Training im Michelauer Hallenbad
Dass es in Burgkunstadt kein Lehrschwimmbecken mehr gibt, bedauert der Redner. Nach dem Abriss des Bades habe sich die Zahl der Kinder in der Wasserwacht auf 20 halbiert. Er würde sich freuen, wenn in Burgkunstadt wieder eine Einrichtung gebaut werden würde, in der man nicht nur trainieren, sondern auch Schwimmunterricht für die Grundschulkinder anbieten könnte. Derzeit findet das Nachwuchstraining im Michelauer Hallenbad statt, der Schwimmunterricht für die Schüler im Hallenbad des "Fränkischen Hofes" in Baiersdorf. Gespräche mit dem neuen Bürgermeister Robert Hümmer (CSU) hätten ihn zuversichtlich gestimmt, so Sachs, dass es zum Bau eines Schwimmbeckens kommen werde. Andernfalls sieht der Vorsitzende schwarz für die Zukunft: "Dann gerät die Wasserwacht über kurz oder lang in Schlagseite."