Der SPD-Ortsverband feierte am Samstagabend 100-jähriges Bestehen im Stadtschloss. Neben Kabarett und einer kämpferischen Rede des Vorsitzenden der Jusos, Kevin Kühnert, lag auch die Parteichronik aus.
Lichtenfels - 1918 - 2018. Das sagt schon alles. Der SPD-Ortsverein feierte am Samstagabend stolz seinen runden Geburtstag im Stadtschloss.
Es gab Zeiten, da hat sich einem nicht erschlossen, was Mitglieder einer Partei anderer Couleur bei einer fremden Parteifeier zu suchen haben. In Lichtenfels und in neueren Zeiten ist das anders. Bedingt. Und so saßen auch sie da, die heimischen Vertreter der Freien Wähler, von Bündnis 90/Die Grünen oder der WLJ.
Roter Faden und Nelken
Sie saßen an den in Richtung Bühne ausgerichteten Tischen, auf denen gemäß dem Tagesmotto vom "roten Faden" ein roter dekorativer Streifen verlief, hie und da von einem Väschen mit roten Nelken besetzt. Die ewige Blume der SPD, ein Ankerpünktchen ins Kämpferische hinein. So wie die rote Fahne der Jusos, an der Bühnenseite drapiert und mit dem Motiv einer aus entschlossener Faust blühenden Nelke. Reminiszenzen an eine eben kämpferischere Parteivergangenheit, als man noch Arbeit und Brot und soziale Gerechtigkeit forderte.
Am Samstag kündeten zwei Bühnenplakate von sich verändert habender Zeit. Sie forderten auf dem einen eine "offene und freie Gesellschaft" und schienen die aktuellen Problematiken wie Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit oder Rentenproblematik irgendwie unter "Gerechtigkeit und Respekt" unterzubringen. Auch irgendwie ein Kommentar zum Orientierungszustand der Partei. Eben das macht eine Feier samt Rückbesinnung auch notwendig. Oder wie grüßte der Lichtenfelser SPD-Ortsvorsitzende Markus Püls die 150 Gäste: "Ihr Erscheinen ist Balsam für meine in vergangenen Wochen geschundene Seele."
Dass Politik im Lokalen anders läuft, ohne verhärtete Fronten oder Fraktionszwänge beispielsweise, daran erinnerte auch der SPD-Kreisvorsitzende Sebastian Müller. Und dabei fielen einem wieder Gäste wie Stefan Hofmann und Winfried Weinbeer (FW) oder Mathias Söllner und Bernhard Christoph (Bündnis 90/Die Grünen) ein. Aber genau sie machten auch auffällig, dass die CSU nicht sonderlich gratulierend vertreten war. Bedingt neuere Zeiten eben.
Das Festprogramm bot vier Punkte, einen davon gestaltete Bezirksheimatpfleger Günter Dippold. In seinem Vortrag ging er anschaulich auf allerlei Nährboden der Parteienlandschaften vor und nach dem Ersten Weltkrieg ein, umriss kurz aber prägnant Zeiten und Verhältnisse, die zur Gründung der SPD - auch in Lichtenfels - führten.
Und dann war da noch die Sache mit einer 50-jährigen geglückten Verspätung. Als solche kann man bezeichnen, was in roter Farbe, unter dem Titel "Der rote Faden" und auf 138 Seiten gedruckt wurde. Schon vor 50 Jahren sei eine Chronik erwogen worden, daraus wurde nichts und so gründete sich um Martin Dollak ein achtköpfiges Redaktionsteam, den Weg von der Gründung des Ortsvereins bis zum Verbot 1933 nachzeichnend, die Dekaden seitdem beleuchtend und Menschen und Werke zutage fördernd, die schon vergessen waren.
Daß es wirklich ein beeindruckender Abend war, den die Lichtenfelser SPD angesichts des 100. Jubiläumstages ihrer Entstehung feierte, lag nicht an ihr, sondern einzig am Gastredner Kevin Kühnert. Der erwies sich als ein rhetorisch äußerst begabter Mann, der offen und schonungslos die Defizite der heutigen SPD zeigte und in einem glühenden Appell an die Zuhörerschaft verlangte, die Partei müsse endlich Kante zeigen und sich auf das besinnen, was sie groß gemacht habe und worin ihre historische Aufgabe auch und gerade in Zeiten angeblicher "Unübersichtlichkeit" bestehe, nämlich Anwalt der vielen "kleinen" Leute zu sein, die sonst keinen Fürsprecher hätten. Wenn das Publikum diese klaren und eindeutigen Ausführungen auch mit großem Applaus beantwortete, so blieb angesichts dieses angegrauten Publikums - unter den etwa 200 Festgästen befanden sich allenfalls 20, die jünger als 30 Jahre waren - doch völlig offen, mit wem diese zwingende und dringende Erneuerung der SPD eigentlich durchgeführt werden soll und es erscheint mir auch mehr als fraglich, ob die Mehrheit der in der SPD organisierten Menschen - ich nehme die Festteilnehmer in Lichtenfels einmal als Beispiel für die gesamte Organisation - überhaupt begriffen hat, was ihnen Kevin Kühnert in seinem flammenden Plädoyer für einen vollständigen Wandel eigentlich abverlangt: nicht mehr als alte Gewohnheiten über Bord zu werfen und das Heft des Handelns mutig, couragiert, unbeeindruckt und konsequent endlich in die Hand zu nehmen und damit den historischen Auftrag der SPD wahrzunehmen, der darin besteht, den "kleinen" Leuten die vielfältigen Lebensängste zu nehmen oder sie jedenfalls entscheidend zu minimieren. Wenn es der SPD wieder gelingen soll Vertrauen bei den Menschen zu finden und wenn es ihr vor allen Dingen gelingen soll ihre vielen verlorenen Stammwähler wieder zu aktivieren, dann kann der Weg dorthin nur so aussehen, wie ihn Kühnert beschrieb: ein Weg mit Inhalt und Konsequenz.