Der knorrige Riese aus Zigendorf, den keiner kennt
Autor: Markus Häggberg
Bad Staffelstein, Montag, 24. April 2017
Eine "mächtige, eigenartig kurzschaftige Eiche" ist einer der drei Lieblingsbäume des ehemaligen Forstamtsleiters Hermann Hacker.
Heute ist Tag des Baumes. Von den Vereinten Nationen beschlossen, hat das einst schon Theodor Heuss einen Ahorn im Bonner Hofgarten pflanzen lassen. Dahinter steckt ein Schutzgedanke. Der FT wird zu einem besonderen Baum im Landkreis geführt. Es wird ein Ausflug in die Nachdenklichkeit.
Hermann Hacker (65) versteht sich auf Bäume. Der ehemalige Leiter des Forstreviers Bad Staffelstein kennt ihr Innenleben, zeichnet sie, fotografiert sie, weiß um die biologischen Abläufe, um die Zusammensetzung der in ihnen aufsteigenden Säfte und überhaupt. Drei Lieblingsbäume hat er im Raum Bad Staffelstein, sein Favorit aber ist eine "mächtige, eigenartig kurzschaftige Eiche", die heutzutage kaum jemand zu Gesicht bekommt. Sie liegt auf einem dünnen Streifen, der eine Erhöhung vor einem Itztal ist. Schlehen oder Kirschbäume umgeben ihn, dazu allerlei Gewächse und Gebüsch. Hier, in der Nähe von Bienenstöcken und einer Aussicht auf die Veste Coburg steht er, hier beginnen die Betrachtungen zu einem wohl vermutlich 500 Jahre alten Wesen.
Hermann Hacker hat eine Theorie. Er glaubt, dass der Mensch einen Wald nur bedingt erträgt. Der Mensch müsse sich vielmehr Platz freischlagen, um sehen und Gefahren ausweichen zu können. Das könnte in ihm drin stecken, denn er kommt ursprünglich aus der afrikanischen Savanne. Frei und für sich gestanden hat diese "mächtige, eigenartig kurzschaftige Eiche" (Zitat aus einem Buch zu Kunst und Kultur in Bad Staffelstein) auch einmal. Hier war Weideland, hier suchten wohl auch einmal Tiere Beschattung.
Neun Meter Umfang
Die kann der Baum spenden, denn in nicht viel mehr als zwei Meter Höhe trieb er meterlange stämmige Äste aus. Die Natur kann das, im Baugewerbe wäre eine solche Architektur zum Einsturz verurteilt. Auf neun Meter, so schätzt Hermann Hacker, dürfte sich der Umfang belaufen. Doch nimmt der moderne Mensch diesen Riesen in Augenschein, könnte er sich gewaltig zu ihm täuschen. Denn der Baum, an dem es Totholz gibt oder zu geben scheint, ist gesund. Noch. Seine Krone ist intakt, über sie erhält er Licht und Nährstoffe. Noch überragt er nämlich alles drum herum, noch wird er selbst nicht "eingedunkelt", wie der Fachmann sagt.Stellenweise schorfig mutet seine Rinde an. In ihren Kratern bewegen sich Ameisen. Schnell und geschäftig, so sie im Sonnenlicht sind, langsam und beinahe planlos, so sie es nicht sind. Sie haben Pfade und auch Hermann Hacker kann nicht sagen, ob die Pfade dadurch entstehen, weil sie begangen und ausgetreten wurden, oder ob sie begangen werden, weil sie schon bestanden. Und manchmal, wenn die Fantasie ausreicht, könnte einem in den Sinn kommen, der Baum wäre in der Lage, wie in den Herr-der-Ringe-Filmen nach einem zu greifen.
Gerade gewachsen ist das wohl 18 Meter hohe Gebilde nicht. Im Sommer wirkt es belaubt und dadurch kugelrund. Auf die Frage, ob es für die Bewertung der Schönheit eines Baumes ästhetische Richtlinien gebe, antwortet Hacker mit einem Vergleich: "Wie Kinder Bäume malen, so sollten sie sein, mit einer runden Krone." Diese Antwort berührt auch die Frage, weshalb gerade dieser Baum Hackers Lieblingsbaum ist. "Weil er nicht so aussieht wie ein normaler Baum. In der Forstwirtschaft wäre der hier reines Brennholz", erklärt er das Stück Urwald. "Meiner Meinung nach ist das der schönste Baum weit und breit."
Mitunter gerät Hacker ins Schwärmen. Er, der gewiss auch von manchem für spröde empfunden wird und aus der Wissenschaft kommt, tut das auf eine eigene Weise. Nicht mit Kitsch und esoterisch befrachtet. Einem Baum etwas anvertrauen würde dem Vorsitzenden der Kultur-Initiative Staffelstein (KIS) nicht einfallen, einen Baum als Tröster sehen auch nicht. Aber an einem Baum etwas Tröstliches sehen, das schon: "Vielleicht, dass die Natur von uns Menschen noch nicht total kaputt gemacht worden ist, und das hier ein Geheimtipp ist."
Oben, auf den ersten starken Ast des Baumes, im ersten Stock quasi, hat jemand ein langes Metall gelegt. Es sieht aus, als stamme es von einem einstigen Pferdefuhrwerk. Unter ihm, am Boden, ist eine in den Baum ragende Kuhle. Dort wiederum haben Geocacher etwas zum Suchen und Finden hinterlegt.
Es geht ums Staunen. Das setze bei Hermann Hacker angesichts dieses Baumes immer noch ein. "Ich bin erstaunt, wie der Baum es vom Physikalischen schafft, über Leitbahnen im Inneren Wasser und Nährstoffe nach außen zu bringen."
Fotografiert und gezeichnet hat der Mann diesen so hohen wie breiten Baum, der so zerfurcht und zerklüftet aussieht, so knorrig und um sich selbst verschlungen wirkend, an diesem Ort mehrfach. Getroffen hat er dabei wohl niemanden. Denn obwohl der Baum so besonders ist und der Ort Zilgendorf einst gar mal einen Förderpreis für seinen bemerkenswerten Baumbestand erhielt, läge "das Eigenartige" darin: "Den Baum kennt kaum einer." Und ja, auch Hacker findet, dass jeder Mensch einen Lieblingsbaum haben sollte.