Das Schloss auf der Kiesbank
Autor: Matthias Einwag
Bad Staffelstein, Mittwoch, 21. November 2018
Freifrau Benedicta von Dungern erinnert sich an ihre Kindheit in Schloss Oberau. Damals war das Leben ihrer Familie in Schloss und Gutshof vom Kiesabbau geprägt. Eines der größten Kieswerke Europas war dort in Betrieb. Das Schloss konnte nur mit knapper Not erhalten werden.
Landwirte schauen nicht auf eine Wetter-App. Sie haben tagsüber immer etwas an der frischen Luft zu tun - egal, wie das Wetter ist. "Kommen Sie, wenn's dunkel ist", sagt Benedicta von Dungern, als wir uns mit ihr verabreden. Über den Kiesabbau in den 1960er-Jahren wollen wir mit ihr sprechen, der die Landschaft rund um das klassizistische Schlösschen und den Gutshof Oberau völlig verändert hat. Eine Reportage zur Zeitgeschichte soll daraus werden für das neue Buch der Kulturinitiative Staffelstein (KIS).
Sesshaft wurde die Familie von Dungern in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Oberau. Friedrich von Dungern (1839-1912), ein Ingenieur, der am Bau der Ludwig-Süd-Nord-Bahn mitwirkte, schaffte es, aus dem Gut einen arrondierten Betrieb zu machen, sagt Benedicta von Dungern. Ihr Urgroßvater Otto (1873-1969) war Soldat in Potsdam und persönlicher Adjutant des Kronprinzen. "Er kam zum Ausruhen nach Oberau, zu seiner Zeit fand hier noch keine Landwirtschaft statt", fährt sie fort. Er ließ aber wohl schon Militärpferde (Remonten) auf den Wiesen rund ums Schloss weiden.
Leute stocherten in Wiesen herum
Großvater Bernd (1898-1977) hatte nach dem Ersten Weltkrieg in Oberau so richtig mit der Landwirtschaft begonnen - vor allem mit dem Getreide- und Gemüseanbau. Ihr Vater Klaus (1925-2009) übernahm den Betrieb 1957 von Urgroßvater Otto. Schon zu dieser Zeit tat sich Merkwürdiges rund um Oberau: "Papi erzählte öfters, dass Leute auf seinem Land herumstochern." Er habe sie angesprochen und erfahren, dass sie sondieren, ob unter der Grasnarbe Kies zu finden ist.
Ursprünglich lag das Gut Oberau der Familie von Dungern inmitten der Wiesen, Felder und Auwälder des Maintales. Der Umbruch kam Anfang der 1960er-Jahre. Der Unternehmer Fritz Weber erweiterte 1961 sein "Miltenberger Industriewerk" und gründete das Kieswerk Staffelstein. Die Flächen kaufte Weber dem Baron von Dungern ab. Auf 95 Hektar wurde fortan Kies abgebaut. Nur mit knapper Not konnte die Familie von Dungern das Schloss und die Nebengebäude retten, denn diese stehen auf einer besonders dicken Kiesbank.
In der Erzählung Benedicta von Dungerns hört sich das so an: "Eine Corona von Autos fuhr vor. Ein Herr Weber kam zu meinem Vater und sagte: Ich muss Sie dringend sprechen, Herr Baron! Das kam meinem Vater gar nicht gelegen, denn sie waren gerade mitten in der Zuckerrübenernte."
Der Enteignung zuvorgekommen
Der Bau der Autobahn Würzburg-Nürnberg stand bevor, und dafür wurde Kies gebraucht, viel Kies. "Die Kontrakte waren schon vorbereitet, mein Vater hatte gar keine andere Wahl, wenn er einem Enteignungsverfahren entgehen wollte", sagt Benedicta von Dungern, "es ging alles sehr schnell."
Notgedrungen einigte er sich mit dem Kiesunternehmer. Sie kamen überein, die Hauptkiesbänke unter dem Schloss unangetastet zu lassen. Und: "Papi hat sich sehr geschickt den Rückkauf der Flächen gesichert." Doch Klaus von Dungern war mit Leib und Seele Landwirt - und wollte es auch bleiben. 1961 kaufte er einen landwirtschaftlichen Betrieb in Frankreich, Chérence im Vexin Français. Baron Klaus (1925-2009) zog nach Frankreich.