Das Orakel der Oberküpser Obi-Orgel
Autor: Redaktion
Oberküps, Donnerstag, 04. August 2016
Günter Dippold und Georg Hagel wussten Humorvolles und Betrübliches aus der St.-Katharinen-Kirche zu berichten.
Es ist weder Heiligabend noch Ostern. Dennoch drängten sich die Leute dicht an dicht in den Kircheingang und suchten sich ein freies Plätzchen auf dem "Emporentrepperla" oder den leeren Ministrantenstühlen. Wer schafft es gegen alle Normen, die Kirchenbänke des Kleinods Oberküps zu füllen? Günter Dippold, "sein" Colloquium Historicum Wirsbergense (CHW) und Basilikaorganist Georg Hagel.
Über 120 Interessierte folgten dem Geheimnis der St.-Katharinen-Kirche und ihrem ganz besonderen Schmuckstück: der "Banzer Winterorgel". Die Kirche St. Katharina wurde von 1798 bis 1802 nach den Plänen des Bamberger Hofbaumeisters Johann Lorenz Fink errichtet. "Über Jahrzehnte versuchte die Oberküpser Bevölkerung, einen Neubau zu bekommen.
Verschuldung und vergebliches Bitten endeten mit der Grundsteinlegung 1798, wo mit ,6 Gattungen von Confect mit gutem Coffee, Wein, Bier und Kalbsbraten mit Hiffenmark‘ gefeiert wurde", erzählte Dippold. Dann aber Probleme beim Weiterbau. Zu großer Steinbedarf, zu niedrige Kostenschätzung. Dippold zitierte den damaligen Pfarrer "auf eine allzu gelind schmeichelnd und anziehende Art vorgelegt" und fügt lachend hinzu "Stuttgart 21 lässt grüßen." Trotz schleppendem Baufortschritt folgte 1803 die Kirchweihe. Dippold erklärte zum Kirchengewölbe: "Es wurde hier einiges zusammengewürfelt. Die beiden Seitenaltäre aus den 1730er Jahren standen ehemals in der Johanniskapelle bei St.
Stephan in Bamberg und wurden vom Bildhauer Franz Anton Schlott aus Bamberg gefertigt.
Barocke Banzer Winterorgel
Die Gemälde der beiden Altarblätter zeigen die Offenbarung des Johannes und Jesus inmitten seiner Familie und wurden von Johann Joseph Scheubel dem Älteren aus Bamberg gemalt. Beide Altäre wurden während der Säkularisation 1803 von den Oberküpsern käuflich erworben, ebenso die barocke Banzer Winterorgel, die 1743 vom berühmten Hoforgelbaumeister Johann Philipp Seuffert aus Würzburg für das Kloster Banz gefertigt wurde.Nachdem Dippold von der Kirchenhistorie die Verbindung zur Orgel geknüpft hatte, gab er den Vortzragsfaden weiter an den Organisten. "Als seine Beine lang genug waren, begann er sich an die Orgel zu setzen. Er studierte Kirchenmusik am Mozarteum in Salzburg, war in Paris Schüler des Organisten von Notre Dame. Seit 25 Jahren spielt er die Orgel in der Basilika Vierzehnheiligen. Er durfte die neue Orgel, die er 1999 einweihte, mitgestalten. Georg Hagel machte den LKW-Führerschein nur um ,seine Orgel, mit ihren 5000 Pfeifen selbst mit einem Sattelzug nach Vierzehnheiligen zu transportierten", übergab ihm Dippold das Wort.
Es folgte die unverblümte, teils erschreckende Wahrheit. Nachdem die Orgel nach Oberküps verkauft wurde, begann eine Verschandelung der Orgelseele, die tiefe Narben im Klangbild hinterließ. "Diese Orgel hat ein böses Schicksal, sie wurde ihrer Schönheit komplett beraubt. Sie sehen das wunderbare Gehäuse, die glänzenden Pfeifen - doch der Glanz trügt.", erzählte Hagel. "Ohne zu überlegen griff man zu Handkreissäge und Flex, um die Orgel hier reinzubekommen, wurde sie einfach unten abgesägt. Mit der Stichsäge wurde ein großer Teil des Gehäuses weggenommen und mit einem Holzspieltisch aus funiertem Eichensperrholz mit Plastik-Registerschildchen ersetzt - alles beste Obi-Heimwerkerqualität."
"Das Schlimmste, man hat auch noch die Seele der Orgel herausgerissen und die Windlade mit Aluminiumventilen versehen. Es sind zwar noch alte Pfeifen vorhanden, aber der ursprüngliche Klang ist unwiderbringlich verloren." Geblieben sind Teile des Gehäuses, Schnitzereien und drei bis vier originale Innenregister. Berühren durfte das Publikum das "vergewaltigte Schmuckstück" auch. Hagel legte die alten "Rathgeberpfeifen" frei, aber nur zum Gucken. Man erkennt sie am matten, bleifarbenen Blech und der handgravierten Einschrift. Die neuen Orgelpfeifen wurden ausschließlich mit Schlagbuchstaben geprägt.
Nachdem die Pfeifen wieder in Reih und Glied standen, durften sie noch einmal die rund 250 Ohren erfreuen. Nicht nur Mozart kannte musikalische Späße, die "Toggenburger Hausorgeltänze" aus der Schweiz boten eine ähnlich humoristische Alternative. Zum Abschluss spielte der Organist eine der bekanntesten Ouverturen aus der Feder Bachs: Air. Hagel schaffte es, den hohlen Blech- und Bleipfeifen Leben einzuhauchen. "Jede Pfeife - ob Tenor oder Sopran - singt ihr eigenes Lied, in Moll auch mal ihr Leid. Im Chor verschmelzen Melancholie und Euphorie zu einem Hochgenuss der Sinne." In dieser Achterbahn der Gefühle sitzt Georg Hagel jedesmal, wenn er aus den schwarz-weißen Tasten bunte Melodien zaubert. Es ist ein Handwerk, ein Talent, eine Kunst. Nicht umsonst steht Orgelbau und -musik als immaterielles Unesco-Kulturerbe seit diesem Jahr unter besonderem Schutz.