Dampfende Relikte alter Zeit rasten in Lichtenfels
Autor: Klaus Oelzner
Lichtenfels, Sonntag, 17. Mai 2015
Ein Sonderzug meistert die Marathonstrecke von Berlin nach Wirsberg und macht in Lichtenfels Station. Der Besucher aus der Vergangenheit beschert Bahnfans und Fotografen einen unvergesslichen Festtag.
Der Wettergott meinte es gut mit den zahlreichen Fotografen, Videofilmern, Eisenbahn- und Dampflokfans. Unterwegs an der Strecke (bis auf den Abschnitt zwischen Hochstadt und Endbahnhof unter elektrischem Fahrdraht), bei den wenigen Zwischenhalten und erst recht während der Rangierarbeiten in Lichtenfels verfolgten zahlreiche Bahnfans die seit dem 140. Jahr Deutscher Eisenbahngeschichte nicht mehr alltägliche Betriebsszene.
Schließlich erließ die damalige Bundesbahn 1975 ihr Dampflokverbot. Forcierte in der Folge Elektrifizierung, leistungsfähige Diesellokbaureihen und die heute auf den Gleisen verkehrsbeherrschend eingesetzten Triebwagengarnituren.
Genau 42,195 Kilometer misst eine Marathonstrecke, deren Ursprünge bis 500 vor Christus zurückreichen, als ein griechischer Bote in zwei Tagen von Athen nach Sparta gelaufen sein soll, um Hilfe im Krieg gegen die Perser zu holen. Inzwischen ist Marathon zur anspruchsvollen sportlichen Freizeitdisziplin mutiert.
Start bei Dunkelheit
Rund 20 mal so lang war die Tagestour des Sonderzugs, für den in Berlin noch bei Dunkelheit die Signale auf freie Fahrt sprangen. In Lichtenfels war nach 360 Kilometern planmäßig ein Zwischenhalt erforderlich, bevor die nostalgische Wagengarnitur ihrem Zielbahnhof Neuenmarkt-Wirsberg zustreben konnte. Für die vorgespannte Dampflokomotive aus der legendären Baureihe 03 (beschafft von den Deutschen Reichsbahn ab 1930 in 298 Exemplaren) wird die Langstreckenreise eines privaten Betreibers als erfolgreich bestandener Leistungstest ins Betriebsbuch eingehen.
Am Lichtenfelser Bahnsteig erläuterten Opas ihren Enkeln geduldig die Funktionsweise einer Dampflokomotive, berichteten über schwere Knochenarbeit und die Schaufeltricks des Heizers, die Tätigkeiten des als "Meister" gewürdigten Lokführers, schnupperten die besondere Duftmischung aus verdampfendem Schmieröl, ausgestoßenen Dampffahnen und Kohleabgasen. Und lobten die Präzision, mit der Dampf über kompliziert anmutende traditionell rot lackierte Treibstangen die genau zwei Meter hohen Treibräder des über 150 Tonnen schweren Koloss' samt Wagengarnitur in Bewegung setzen kann.
Zur Erinnerung waren natürlich Familien- und Gruppenbilder oder auch Selfies mit miniaturisierten Kameras und Handys vor dem gepflegt wirkenden schwarzen Dampfross angesagt.
Alt und neu rollen vereint
Unbeeindruckt von der immer seltener werdenden Bahnnostalgie lief auf den übrigen Bahnhofsgleisen der planmäßige Wochenend-Reisebetrieb mit Intercitys, Regio- und Agilis-Triebwagen. Bei kaum verminderter Geschwindigkeit rollten außerdem Güterzüge durch den Korbstadtbahnhof.
Während im Endbahnhof Neuenmarkt-Wirsberg die Sonderzugteilnehmer Fahrzeugsammlung und im Freigelände fotogen aufgestellten Museumsobjekten im nahen Deutschen Dampflokomotiv Museum einen Besuch abstatteten, war das Triebfahrzeug zu warten und für die Rückfahrt vorzubereiten. Akribisch kümmerten sich Lokführer und Heizer, Techniker und Helferteam darum, kontrollierten bewegliche Teile und Radreifen, versorgten Triebwerksgestänge mit Schmieröl, ergänzten den Wasservorrat, bunkerten im Tender rund sechs Tonnen Steinkohle.
Schadstelle beseitigt
Mit Ortung und Beseitigung einer kleinen Schadstelle an der Lok wurde die eingeplante Aufenthaltsdauer im DDM Betriebshof schließlich außerplanmäßig überzogen. Mit mehr als einer Stunde Verspätung setzte sich die Maschine wieder vor die aus nostalgischen Vierachsern der ersten, zweiten und bei der DB längst abgeschafften dritten Klasse gebildete Wagengarnitur.
Geduldig harrten heimische Bahnfans an der Strecke aus, um das Ereignis der Vorbeifahrt bei immer schwächer werdendem Licht erleben und für die Nachwelt festhalten zu können ...