Druckartikel: Camille lernt so viel sie kann

Camille lernt so viel sie kann


Autor: Ramona Popp

Lichtenfels, Montag, 14. März 2016

Eine junge Amerikanerin widmet sich an der Berufsfachschule für Flechtwerkgestaltung in Lichtenfels intensiv einem alten Handwerk.
Gastschülerin Camille Labarre aus den Vereinigten Staaten ist wahrlich keine Anfängerin, was das Flechten angeht. Hier flicht sie die Sitzfläche eines Hockers aus. Die Handtasche links hinten im Bild hat sie während ihres Frankreich-Aufenthaltes geflochten, an der Schale aus feinen Weidenschienen rechts im Bild arbeitet sie noch. Foto: Popp


Die Yale University im US-Bundesstaat Connecticut ist eine der renommiertesten Universitäten der Welt. Dort hat Camille Labarre vor zehn Monaten ihren Abschluss gemacht. Während ihres Kunststudiums, in einem Workshop, den ein dänischer Flechter hielt, hatte sie ihren ersten Korb geflochten. Als sie durch ein Stipendium die Chance bekam, das Flechthandwerk in Europa näher zu erforschen und Grundtechniken zu erlernen, machte sie sich auf den Weg. Die ursprüngliche Idee war, das Erlernte für eigene Skulpturen nutzen zu können. Das ist ihr heute nicht mehr so wichtig.


Handwerk "in Schwierigkeiten"

"In Frankreich habe ich gesehen, dass dieses Handwerk mehr Schwierigkeiten hat, als ich dachte", berichtet die 22-Jährige, die wir in Lichtenfels treffen konnten. Sie macht gerade ein einmonatiges Praktikum an der Berufsfachschule für Flechtwerkgestaltung. Dass es die überhaupt gibt, hat sie durch die Suche im Internet erfahren. Nach Aufenthalten in Dänemark und Frankreich ist es die dritte Station ihrer Studienreise. Da ihre Eltern französischstämmig sind und sie die Sprache fließend spricht, war die Kommunikation dort einfacher als in Deutschland.

In Fayl-Billot, wo sich die französische Schule für Weidenanbau und Korbflechterei befindet, erlernte Camille drei Monate traditionelle und aufwendige französische Techniken wie das (durchbrochene) A-Jour-Geflecht. Bleibenden Eindruck hinterließ bei ihr aber vor allem der verwahrloste Zustand des Schul-Hauptgebäudes, das vor fünf Jahren geschlossen wurde. "Es hat mich traurig gemacht, diese einstmals so etablierte Schule so heruntergekommen zu sehen, mit zerbrochenen Scheiben, eingebrochenem Dach und abblätternder Farbe." Nur noch acht Flechtschüler werden in dem Ort ausgebildet. "Es war ein Schock, das zu sehen und zu erkennen, dass es ein verschwindendes Handwerk ist." Gleichzeitig war das, was sie in Frankreich gesehen hat, ein Auftrag. "Das motivierte mich, so viel zu lernen, wie ich kann. Ich möchte die traditionellen Techniken lernen, dieses Wissen in die Staaten bringen und helfen, dieses Handwerk zu erhalten."


Mehrere Techniken erlernt

Mit den Fähigkeiten in verschiedenen Techniken, die sie jetzt schon hat, beeindruckt die New Yorkerin auch ihre Fachlehrer. "Sie ist mindestens so schnell wie unsere schnellste Schülerin und schon recht fit", beschreibt Günter Mix ihre Art, das Gezeigte umzusetzen.

Neue Erfahrungen waren für die Gastschülerin in Lichtenfels das Biegen von Rattan unter einer Flamme, das Herstellen einer "Schanze" (Rippenkorb) und natürlich die für die Gegend am Obermain besonders spezielle Feinflechterei mit Weidenschienen, bei der schon die Materialvorbereitung fast eine Wissenschaft für sich ist. "German willow skein work" heißt die Feinarbeit in ihrer Muttersprache. Die Weide ist ihr das liebste Material.
Ihre Familie und Bekannte lässt sie an ihren flechterischen Fortschritten durch regelmäßige Veröffentlichungen über den Online-Dienst Instagram teilhaben (siehe: https://www.instagram.com/mamacamz). Sie ist glücklich, in ihren Eltern große Unterstützer zu haben. "Sie sind nach Connecticut aufs Land gezogen und bauen für mich Weiden im Garten an", erzählt sie. Beide haben selbst einen handwerklichen Hintergrund, auch wenn sie heute in den erlernten Metiers nicht mehr tätig sind.


Fortschritte im Internet zu sehen

Mittlerweile ist Camilles letzte Woche an der Fachschule angebrochen und längst haben auch ihre Freunde gemerkt, wie ehrgeizig sie das Flechten betreibt. Dazu muss man wissen, dass es in Amerika eine Redewendung gibt, die man in Bezug auf vermeintlich nutzlose (Studien- )Fächer oder generell auf ein niedrig eingeschätztes Bildungsniveau verwendet. "Underwater basket weaving" (zu deutsch: Unterwasserkorbflechten) ist der Ausdruck dafür. "Als ich sagte, ich will Korbflechten lernen, wussten sie deshalb nicht, ob das ein Witz ist oder nicht", berichtet die Hochschulabsolventin. Und fügt lächelnd hinzu: "Ich musste ihnen sagen, dass ich es ernst meine."

Die junge Frau kann sich durchaus vorstellen, dass ihre berufliche Zukunft mit diesem Handwerk zu tun hat. Sie weiß um die Herausforderung, davon leben zu können, und in ihrer Heimatstadt New York erscheint das zunächst beinahe utopisch. Ihre Überlegungen zielen auf Menschen ab, die bereit sind, für gutes Design und Handwerk etwas mehr zu zahlen, die gewillt sind, handgemachte Möbel zu kaufen. Solche Gruppen gibt es dort, da ist sie sicher. Das Internet könnte ihr behilflich sein. Zusätzlich möchte sie gerne unterrichten.
Und schon wieder ist ein weiteres Bild auf Instagram erschienen, das den Fortschritt in der Fertigung des Hockers zeigt, an dem Camille Labarre eben noch gearbeitet hat. Die Bemerkung dazu ist, natürlich, in Englisch verfasst. Eine aber findet sich dort auch auf Deutsch, die ihr Bemühen auf den Punkt bringt: "Ich gebe mein Bestes!"