Bei den Wirtsleuten in Freiberg wird leidenschaftlich gespielt
Autor: Markus Häggberg
Freiberg, Montag, 03. November 2014
In Freiberg verwaltet ein Wirte-Ehepaar eine Sammlung von 500 Spielen. Die Wohnigs glauben nicht, dass elektronische Spiele alle anderen verdrängen könnte. Denn Würfel und Karten sorgen für einen besonderen Reiz.
Von Ebensfeld nach Döringstadt und dann zieht es sich noch eine Weile. Der Ort Freiberg ist sehr entlegen und bildet einen der äußersten Winkel des Landkreises; eine Schnittstelle zu anderen Landkreisen überdies. Anneliese und Gerd Wohnig leben gerne hier, seit 1981 bringen sie hier in ihrem Gasthaus ein recht verspieltes Leben zu.
500, die Hälfte von tausend. So viele Spiele stehen in den Regalen, zu so vielen Spielen hat Anneliese Wohnig die Regeln einigermaßen im Kopf. Dass es so kam, hat auch mit ihrem Lebenslauf zu tun. Fünf Kinder und zehn Enkel hat sie großgezogen, dem Spielen kam dabei immer eine bedeutende Rolle zu. Weil Kinder dabei sprechen und anständig verlieren und anständig gewinnen lernen.
"Ein bisschen Häme und Schadenfreude"
"Und wenn ein bisschen Häme und Schadenfreude auftaucht, dann ist das auch nicht schlimm", sagt die Seniorin lachend. Aber es sind auch andere praktische Fertigkeiten, die durch das Spielen eingeübt werden. Wohnig: "Punkte werden ohne Taschenrechner im Kopf zusammengezählt." Anstrengend und den Spaß verderbend sei das für Kinder darum nicht, weil sie nicht merkten, wie sie gerade wunderbar ausgeschmiert werden.
Weihnachten ist Spielezeit
500 Spiele wollten aber auch erst gekauft und getestet werden. Ihre Begeisterung für Spiele führte Anneliese Wohnig auf manche Spielemesse und zu manchem Spieletesten. Noch heute freuen sich ihre mittlerweile längst erwachsenen Kinder darauf, wenn zu Weihnachten neue Spiele auf dem Gabentisch stehen. "Es gibt so viele Essenstempel ...", beginnt sie einen Satz, der andeuten möchte, dass sie als Wirtsfrau etwas anders machen wollte: Weg vom Essen - hin zum Spiel. Dementsprechend bietet die Küche Pommes und Naschwerk - basta. Und dann kann es noch sein, dass ein Gast am Ende des Abends geduzt wird. Weil er da war und man sich über das Spiel gefunden hat.
Zum Spielen haben hier gut 20 bis 30 Personen Platz, je nachdem, wie man die Tische zusammenrückt. Dass das geht und schon vorkam, belegen die Bilderserien an Wänden. Auf ihnen zu sehen sind fröhliche Menschen aus den Landkreisen Lichtenfels, Haßberge, Bamberg und Coburg. Aber diese Bilder stammen aus einer schon etwas zurückliegenden Zeit, aus dem Beginn der 90er-Jahre. Dennoch: Auch heute kämen noch viele Menschen hierher, um bewusst Karten- oder Brettspiele auszuprobieren.
Dass elektronische Spiele alle anderen verdrängen könnten, dazu macht sich Anneliese keine großen Sorgen. "Über Snobs werden sich Spiele halten. Das Gefühl von Schadenfreude, wenn der Mitspieler verliert, kann keine Elektronik vermitteln."
Lustige Begebenheiten am Spieltisch
Anekdoten kennen Anneliese und Gerd Wohnig viele. Namen auch. Sie sind in Erinnerung geblieben, weil manche Besucher einst sehr oft kamen oder weil sie wieder kommen. Beispielsweise dann, wenn sie zum Studium in die Ferne zogen, dort Kontakte knüpften und nun mit ihren Freunden einen Besuch abstatten. "Freunde bringen Freunde mit", lautet daher ein Slogan im Haus. Die Besucher von einst kommen jetzt auch mal mit ihren Kindern oder Kollegen. Und es gibt Besucher, die zwar zum Spielen kommen, sich aber nicht gleich fallenlassen können. Da hilft Anneliese nach. "Manche kommen und haben schwere Berufe und reden von der Arbeit. Dann stehe ich auf und sage: ,Ich glaub, jetzt spielen wir erst mal‘." Selbst eine alte Dame im Rollstuhl sei häufiger hier gewesen. Deren Kinder und Enkel auch. Das eigene Alter bekümmert das Wirtspaar hinsichtlich des Spielebetriebs nicht. "So lange wir geistig rege sind, spielen wir und bekommen wir gerne Besuch", heißt es.
230 Jahre zählt das Gasthaus. Gasthäuser werden mit Gewinnabsicht betrieben. So ist es üblich. Gerd Wohnig lacht, denn Gewinnabsichten habe man eben nicht. Es gibt nicht einmal einen Verzehrzwang. "Das ist das Spielen uns wert", sagt der Rentner, der lange Jahre auf Montage unterwegs war. Was es aber gibt, sind Grundprinzipien. Die werden beim Spielen auch auf Anneliese Wohnigs Enkel angewendet: "Ich lasse sie nie gewinnen - sie müssen sich anstrengen!"