Abendessen an Silvester: Linsen in den Suppentopf
Autor: Matthias Einwag
Bad Staffelstein, Montag, 30. Dezember 2013
Was wir an Silvester essen, hat Tradition. Ob Karpfen oder Erbsen, um diese Speisen ranken sich Geschichten und Anekdoten. Der Staffelsteiner Koch Rico Pfitzner empfiehlt eine Linsensuppe - sie ist leicht zu kochen und schmeckt klasse.
Es muss nicht immer Karpfen sein. Sicher, in uns allen ist genetisch gespeichert, was unsere Vorfahren in der Steinzeit erlebten, was sie erlegten und was in ihre Kochtöpfe wanderte. Mag sein, dass Adam Geröllheimer einst die Schuppen jenes Karpfens, den er zur Wintersonnwende verzehrte, in seiner Höhle verlor. Im Frühjahr lernte er Eva Feuerstein kennen. Die beiden wurden ein Paar und schlossen im Sommer vor dem Druiden den Bund fürs Leben. Als Eva Feuerstein-Geröllheimer in den Rauhnächten der darauffolgenden Wintersonnwende die Schuppen eines Karpfens in der Höhle fand, kehrte sie die Reste des Mahls resolut hinaus. Hätte sie das nicht getan, wäre der Familie sicher entgangen, dass just in diesem Moment ein Säbelzahntiger heranpirschte, der sich seinerseits die Familie Feuerstein-Geröllheimers als Silvestermenü auserkoren hatte. Wir wissen es nicht, aber es könnte so gewesen sein.
In Zeiten von Fastfood, Facebook und Twitter hat solcherlei Brauchtum freilich seinen Zenit überschritten. Höchstens älteres Semester verteilen heute noch die Schuppen des Silvesterkarpfens im Haus und erhoffen sich davon Glück fürs ganze Jahr. Ts! Eher schon ist denkbar, dass virtuelle Schuppen, sogenannte Cookies, weltweit im Web verteilt werden und der NSA signalisieren: Entwarnung, Freunde, alles harmlos auf diesem PC, kein Grund zur Panik, hier sind keine Terroristen am Werk ; ). Die Schlapphüte lesen's mit Freude, sind zufrieden und belästigen den jeweiligen PC-Besitzer natürlich nie wieder mit dem Einschleusen neugieriger Trojaner. Das ist die zeitgenössische Variante von Glück.
Erbsen werden zu Euros
Mit Erbsen und Linsen hat es sicher eine ähnliche Bewandtnis: Die Hülsenfrüchte sind Geldmünzen nicht unähnlich. Also schaufeln wir so viel wie möglich davon in unseren Schlund und hoffen auf die autosuggestive Kraft sich selbst erfüllender Profezeiungen. Die tiefere Metaphorik: dass aus Erbsen Euros werden, aus Linsen Penunzen und dass wir all das aus Stroh gesponnene Gold in unsere Geldbörsen scheffeln. Je mehr desto besser. Haben ist besser als brauchen. Man kann gar nicht genug Mammut-Schäuferla in der Höhle bunkern. Die nächste Eiszeit kommt bestimmt.
Genug der Blödelei über unsere Ahnen, die sich nicht mehr wehren können. Wahrscheinlich hatte irgendjemand bloß irgendwann einmal genug von der ewigen Kaninchenkeule und den Ozelotöhrchen zum Jahreswechsel. Oder die pure Not zwang einfach dazu, Schmalhans zum Küchenmeister zu befördern und von Oktober bis Mai Hirsebrei und Erbsenpüree zu verspeisen. Silvester bildete da keine Ausnahme. Egal warum, Bräuche entstehen und sich halten. In unseren Breiten sollte beim klassischen Silvestermenü auf keinen Fall ein Linsengericht fehlen. Wer am Silvesterabend reichlich Hülsenfrüchte verzehrt, so heißt es, dem werden im kommenden Jahr Reichtum und Segen beschert.
Jedenfalls in der Theorie. Hülsenfrüchte enthalten Purine, und diese fördern die Gicht. Doch diese Eigenschaft wird auch Fleisch, Alkohol und einigen anderen Genussmitteln zugeschrieben. Der Volksmund hingegen weiß, dass Erbsensuppe vor Fieber bewahre. Eine investigative Recherche im Internet konnte diese These nicht verifizieren. Weder die Sonnenscheibe von Nebra noch der Fürst vom Glauberg brachten da neue Erkenntnisse ans Licht, und auch Edward Snowden fehlen hierzu Erkenntnisse.
Was haben uns die Vorfahren nicht alles eingebrockt mit ihren zu Traditionen vergorenen Bräuchen? In Italien zum Beispiel ist rote Unterwäsche in der Neujahrsnacht ein absolutes Muss. Wer glücklich und erfolgreich sein möchte (Berlusconi hat hier Bedarf), sollte mit roter Wäsche ins neue Jahr rutschen. Kaufhäuser und Dessous-Läden stellen daher nach Weihnachten ihre Wäscheauslage um. Egal ob Spitzenhöschen oder Boxershorts - Hauptsache rot. Nun dürfen Sie selbst spekulieren, welcher Fruchtbarkeitsritus unserer Vorfahren diesen Brauch hervorgebracht haben mag.
Zu essen gibt es in Italien traditionell Schweinshaxe mit Linsen. Berlusconis Landsleute meinen, dass die deftige Kost Glück in Gelddingen bringt. Pecunia non olet, Geld stinkt nicht, sagten die alten Römer. Eine Linsensuppe beginnt aber sehr wohl zu müffeln, wenn man sie nach einer Bunga-Bunga-Silvesterparty zu lange stehen lässt. Die Tradition wiederum verlangt, von den Silvesterspeisen etwas bis Neujahr stehen zu lassen - sonst hat man das ganze Jahr über Mangel auf dem Tisch.
Weder Linsensuppe noch Mehlspatzen gönnen sich die Spanier. Auf der Iberischen Halbinsel wird's hingegen kurz vor Mitternacht ein wenig stressig, denn bei jedem Glockenschlag wird eine Weintraube verspeist, und nur wenn um Punkt 12 alle gegessen sind, steht dem Glück im kommenden Jahr nichts mehr im Wege.
Rezept von Rico Pfitzner für die pürierte Linsensuppe zu Silvester
Zutaten Wer für vier Personen kocht, der benötigt 200 gr rote Linsen, drei mittlere Zwiebeln, eine Knoblauchzehe, ein Stück Ingwer, drei mittlere Kartoffeln, einen Gemüse-Suppenbund (eine Karotte, Sellerie, zwei Zentimeter Lauch), Saft von zwei Limonen, 800 ml Kokosmilch (ersatzweise auch süße Sahne), Olivenöl, Salz, schwarzen Pfeffer, Rohrzucker, Sesambrötchen zum Anrösten der Bröggerla, Kreuzkümmel (Cumin) und ca. ein Liter Wasser.
Zubereitung Rote Linsen haben den Vorteil, dass sie nicht eingeweicht werden müssen; das Waschen empfiehlt sich dennoch. Zunächst Olivenöl in den Topf geben; den gehackten Ingwer und Knoblauch hineingeben und zusammen mit dem Suppengemüse glasieren (kurz anschwitzen), dann die Zwiebeln dazugeben, mit Wasser und Kokosmilch ablöschen und wenn es zu köcheln beginnt die Linsen zufügen. Während der Kochzeit der Linsen keine Säure und kein Salz verwenden. Zum Schluss die gewürfelten Kartoffeln in den Topf geben. Beim Abschmecken kommen Kreuzkümmel und Rohrzucker hinzu. Die Kochzeit bemisst sich an der Zeit, die Linsen zum Garwerden brauchen - etwa 45 Minuten. Während des Garens immer wieder nach eigenem Ermessen Wasser hinzu geben, damit es keine dicke Pampe wird. Wenn die Linsen aufgequollen sind, das Ganze pürieren und mit Limonensaft, schwarzem Pfeffer und Salz abschmecken, wer es pikant mag, kann noch etwas Cayenne oder Chili hinzugeben.
Hintergrund Das Rezept hat Rico Pfitzner, Chefkoch im Staffelsteiner Hotel-Restaurant Rödiger, eigens für die FT-Leser zusammengestellt. Dabei hat sich der 34-Jährige leiten lassen von dem Gedanken, dass an Silvester ein traditionelles Mahl auf den Tisch kommen sollte, das dennoch leicht und schnell zuzubereiten ist und das nicht unter dem Motto "the same procedure as every year" entstanden ist. Richtig abgeschmeckt, stellt die Suppe manches aufwendigere Mahl in den Schatten, denn die Gewürze und Inhaltsstoffe entzünden ein Feuerwerk für die Geschmacksnerven. Am Silvesterabend kann die Linsensuppe zu vorgerückter Stunde oder nach dem Böllern schnell aufgewärmt werden und schmeckt dann sicher noch besser.