Vor dem Landgericht in Bamberg muss sich ein 59-Jähriger Mann erneut wegen sexuellen Missbrauchs seiner Stiefenkelin verantworten. Ein Formfehler führte dazu, dass das Verfahren noch einmal aufgerollt werden muss. Doch eine Formsache wird es nicht, das zeigte der erste Verhandlungstag.
Es war immer der gleiche Ablauf. Jedes zweite Wochenende ging es zu Oma und dem Stiefopa in den Landkreis Lichtenfels. Dann saß man am Abend zusammen im Wohnzimmer und schaute Fernsehen. Der Stiefvater hatte die Lieblingsenkelin auf dem Sofa neben sich sitzen, eine Decke lag auf dem Schoß. Er legte seinen Arm um sie, die Hand unter der Decke. Keiner will gesehen haben, was sich dort abgespielt haben soll. Der Stiefopa kraulte nicht nur den Rücken, er soll dem Kind regelmäßig zwischen die Beine an die Scheide gegriffen haben.
Die Vorwürfe wurden schon einmal im März vergangenen Jahres vor dem Landgericht in Coburg verhandelt. Aber es gab einen Formfehler: Der Angeklagte hatte zwar das letzte Wort, doch dann kam die Zusage zur Prozesskostenbeihilfe. Eine Lappalie? Nein. Hilfe für einen Angeklagten kann auch ein Hinweis sein, dass er vielleicht nicht schuldig sein könnte, sagt die Justiz. So verwies der Bundesgerichtshof das Verfahren an das Landgericht Bamberg zurück.
Zu drei Jahren und sechs Monaten Haft wurde der Mann damals verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er seiner Stiefenkelin in 46 Fällen an die Scheide gegriffen hat. Am Dienstag ging es von vorne los. Für alle. Neue Belastung für die Enkelin, die wieder aussagen sollte. Oder würden sich für den Angeklagten neue Aspekte ergeben, die zu einer neuen Wertung der Tat führen würden? Der schwieg.
"Ich kann es nicht sagen, das zerstört die Familie." Das war der Satz der Enkelin, die im Landkreis Kronach lebt, der immer wieder auftauchte. In ihren Aussagen - und den Aussagen der Mutter. Und stellvertretend für das Zerbrechen einer Gemeinschaft steht, die wohl nie heil war. Denn auch die Mutter gab an, im Alter von neun bis 15 Jahren auf ähnliche Art und Weise von dem 59-Jährigen missbraucht worden zu sein. Doch diese Tat wäre verjährt.
Die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Manfred Schmidt, Staatsanwalt Matthias Kröner, die Verteidiger Till Wagler und Julia Gremmelmaier sowie Anwältin Kristina Imhof als Vertreterin der Nebenklage bekamen oft Antworten, aber nicht immer Erklärungen. Wa rum sie nie Bedenken gehabt habe, ihre drei Kinder bei dem Stiefopa übernachten zu lassen? "Sie waren noch so klein, ich habe mir das nicht vorstellen können." Oder warum sie auch nicht misstrauisch wurde, als die Tochter im Alter von etwa neun Jahren nicht mehr beim Stiefopa übernachten wollte?
Das heute 23-jährige Opfer schilderte die Übergriffe als etwas, was sie damals als ganz normal empfunden habe. "Ich war es ja nicht anders gewohnt." Fünf bis acht Jahre war sie zu der Zeit alt. Das Bewusstsein, dass da etwas nicht stimmte, habe sich erst mit der Entwicklung des eigenen Sexualbewusstseins gebildet. So etwas vergesse man nie, gab sie gegenüber der Sachverständigen an. Als Auszubildende wurde sie kränklich, weinte oft, begann eine Therapie. Als der Therapeut nach Dingen in der Jugend fragte, gingen ihr die Szenen mit dem Stiefopa durch den Kopf. Sagen wollte sie nichts. Einmal, 2010, deutete sie gegenüber einer Bekannten an, dass etwas geschehen war, "ein Geheimnis unter Freundinnen".
Wie kam es ans Licht? Zur Geburtstagsfeier im Dezember 2011 der Mutter kam sie zu spät mit einem Kuchen, der 59-Jährige meckerte sie an. Da fiel die Fassade - sie rannte weinend weg. "Ich konnte die Stimme nicht mehr ertragen." Die Mutter wollte sie trösten. Im Gespräch brach das Eis zwischen beiden. Nach einigen Tagen und Rücksprache mit dem Weißen Ring entschloss sie sich, den Stiefopa anzuzeigen.