Zwischen Frust und Hoffnung
Autor: Dagmar Besand
Menchau, Montag, 17. Januar 2022
Jürgen Keller aus Menchau ist schwerstpflegebedürftig und leidet seit seiner Jugend an Muskeldystrophie. Fast sieben Monate kämpfte er mit der AOK um einen vollwertigen Ersatz für seinen defekten Spezialrollstuhl. Gibt es jetzt endlich eine befriedigende Lösung?
Jürgen Keller, seine Ärzte, Therapeuten und Angehörigen, verstanden die Welt nicht mehr. Sieben lange Monate kämpften sie um einen vollwertigen Ersatz für den defekten Spezialrollstuhl, ohne den der 36-Jährige noch hilfloser ist, als es seine Krankheit ohnehin schon mit sich bringt. Immer wieder wurden Briefe, Stellungnahmen und Gutachten geschrieben. Und immer mehr wichtige Details fielen dem Rotstift zum Opfer.
Jürgen Keller leidet an einer Emery-Dreifuss-Muskeldystrophie - einer Erbkrankheit, die zu einem unaufhaltsamen Muskelschwund führt und nicht heilbar ist. Der Menchauer ist dadurch seit Jahren schwerstpflegebedürftig, braucht rund um die Uhr Atem-Unterstützung und Hilfe bei allem. Das letzte bisschen Freiheit gibt ihm die Restbeweglichkeit des Daumens, mit dem er via Mini-Joystick einen Elektrorollstuhl selbst steuern kann - wenn er denn eine funktionstüchtige Steuerung hat. Elf Jahre lang nutzte Jürgen Keller den Spezial-Rolli, der seit Juli vergangenen Jahres irreparabel defekt ist. Ersatzteile sind nicht lieferbar, den Hersteller gibt es nicht mehr.
Ablehnung, Genehmigung, Kürzung
Bereits im Oktober berichtete die Bayerische Rundschau über Kellers schwierige Situation und die Frustration seiner Pflegekräfte und Therapeuten: Keller sollte nachweisen, dass er den Elektro-rollstuhl mit spezieller Zusatzausstattung wirklich braucht. Dazu sollte er aktuelle Befunde von Fachärzten beibringen. Arztbesuche sind dem Schwerstkranken jedoch nicht möglich - und so kam nach monatelangem schriftlichem Hin und Her die Ablehnung der AOK "aufgrund fehlender medizinischer Voraussetzungen".
Jürgen Keller und alle, die ihn betreuen und versorgen, konnten diese Argumentation nicht nachvollziehen. Das Krankenfahrzeug wurde vor mittlerweile zwölf Jahren in der speziellen Ausstattung bewilligt, weil er es schon damals unbedingt brauchte. Eine Verbesserung seines Zustandes ist ausgeschlossen. "Bis Juli konnte ich mich mit dem Rollstuhl noch selbst in der Wohnung und nach draußen bewegen. Jetzt kann ich alleine gar nichts mehr tun", sagt Jürgen Keller.
Auch für Volker Seitter, seit 27 Jahren Kellers Hausarzt, war die Haltung der AOK "völlig unverständlich". Es handele sich ja nicht um eine Neuverordnung, sondern um eine Ersatzbeschaffung. "Jeder, der sich vor Ort umschauen würde, würde die Notwendigkeit sofort erkennen." Nicht zuletzt aufgrund seiner Stellungnahme wurde schließlich ein Gutachter in Kellers Haus im Thurnauer Ortsteil Menchau geschickt. Die Pressestelle der AOK Bayern hatte damals auf Nachfrage der Bayerischen Rundschau mitgeteilt, dass der Krankenkasse Kellers schwierige Situation natürlich bewusst sei und man schnellstmöglich versuche, eine gute Lösung zu finden.
Mitte November freute sich Jürgen Keller über die Aussage, dass grundsätzlich alles genehmigt sei. Doch wenig später folgte die Ernüchterung: Es wurden wieder Abstriche gemacht. Nicht nur die Hubfunktion (Höhenverstellbarkeit der Sitzfläche) wurde abgelehnt, sondern auch die Liegefunktion gestrichen. Die Pflegekräfte könnten ihn ja zum Ausruhen ins Bett transferieren, so die Begründung. Gerade die Liegefunktion allerdings ist für Jürgen Keller extrem wichtig: Ob es nun darum geht, sich zur Abwechslung mal im Garten aufhalten zu können, oder darum, unterwegs sein zu können - Liegepausen sind unverzichtbar für den 36-Jährigen. "Außerdem ist der Transfer für meine Pflegekräfte und auch für mich sehr anstrengend." Belastungen, die vermeidbar seien.
"Die AOK hat uns dann aufgefordert einen anderen Rollstuhl auszusuchen, der keine Hub- und keine Liegefunktion hat. Sie hat uns ein Modell vorgeschlagen, das wir Anfang Dezember zusammen mit meinem Therapeuten und mit meinem Sanitätshaus getestet und so angepasst haben, wie es aus unserer Sicht nötig ist", erzählt Jürgen Keller weiter.