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Wodka, Wut und Weihnachten: So wurde er zum Brandstifter


Autor: Stephan Tiroch

Oberzettlitz, Montag, 14. Sept. 2015

Ein Mann aus Bad Kissingen muss sich für den Brandanschlag von Oberzettlitz vor dem Landgericht Bayreuth verantworten. Er ist unter anderem wegen versuchten Mordes in vier Fällen angeklagt.
An den Füßen gefesselt, wird der Brandstifter von Oberzettlitz in den Gerichtssaal geführt. Der 65-jährige Angeklagte aus Bad Kissingen hat sich bei den Opfern entschuldigt. Foto: Stephan Tiroch


War das Feuer zu nachtschlafender Zeit am 21. Januar im Kulmbacher Stadtteil Oberzettlitz ein Mordanschlag? Sollte die in dem Haus wohnende vierköpfige Familie aus Rache sterben? Aber warum wollte sich der Angeklagte aus Bad Kissingen erst mit dem Abstand von sechs Jahren an dem Mann rächen, den er dafür verantwortlich macht, dass sein Leben und seine Existenz ruiniert sind? Diese und eine Reihe weiterer Fragen muss die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Bayreuth klären, die seit Montag den Brandanschlag aufarbeitet.

In dem Haus in Oberzettlitz schliefen nachts um 2.30 Uhr die Bewohner: der Vater, der Geschäftsführer einer Fleisch- und Wurstfabrik in Hammelburg war, seine Frau und die beiden Töchter, 17 und 20 Jahre alt. Der 56-jährige Familienvater wurde zuerst wach: Er bemerkte Krach und Brandgeruch und ging nach unten. Die Haustür und die Terrassentür brannten. Draußen sah er jemand weglaufen und schrie: "Du Schwein!" Er hatte den früheren Geschäftspartner aus Hammelburg erkannt.

Die Familie konnte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Mit vereinter Hilfe - Nachbarn, Polizei und Feuerwehr - gelang es, den Brand zu löschen. Das Haus war verraucht und verrußt und für Wochen unbewohnbar. Der Schaden belief sich auf rund 80.000 Euro.


Seelisch immer noch belastend

Verletzt wurde niemand. Aber die Familie leidet noch heute. "Seelisch war es belastend und ist auch noch nicht vorbei", sagte der Familienvater.

Laut Anklageschrift soll der Brandstifter "mit unbedingtem Vernichtungswillen" vorgegangen sein. Er habe gezielt bei den Türen Benzin ausgegossen und Feuer gelegt, damit den Bewohnern der Fluchtweg versperrt war. Sein Motiv, so Oberstaatsanwältin Juliane Krause, sei Rache gewesen.

Hier geht es um ein Ereignis aus dem Jahr 2008. Damals beendete die Fleischfabrik in Hammelburg die Zusammenarbeit mit der Firma des Angeklagten. Deren Mitarbeiter beinten als Leiharbeiter Schinken aus und stellten Convenience-Produkte her. Der gelernte Metzgermeister hat nach eigenen Angaben viele Jahre gut verdient. Danach sei er ruiniert gewesen und nie mehr auf die Beine gekommen.

Nach den Worten des Geschäftsführers sei die Kündigung aufgrund von Vorgaben aus der Vion-Konzernzentrale erfolgt. Die Stundenlöhne von 13 Euro seien nicht marktüblich gewesen. "Ich musste so handeln, sonst hätte es ein anderer gemacht", so der Zeuge.


Weihnachten kam alles hoch

Für den Angeklagten brach damals wohl eine Welt zusammen. Im Laufe der Jahre verschärfte sich die Situation. 2014 griff der Mann immer öfter zur Flasche. Täglich goss er größere Mengen einer Wodka-Eierlikör-Mischung in sich hinein. Keine Arbeit, die bevorstehende Scheidung und gesundheitliche Probleme durch eine beginnende Parkinson-Erkrankung sowie eine Nervenentzündung an der Halswirbelsäule - das habe ihm zugesetzt. "Weihnachten ist mir alles hochgekommen, das ganze Leben", sagte der Mann.

Am Heiligabend rief er in Oberzettlitz und in Oberthulba beim früheren technischen Betriebsleiter der Fleischfabrik an und drohte, beide Männer zu erschießen. Eine Pistole hatte er sich schon besorgt. Woher, das wollte er nicht verraten. Tags darauf fuhr er zum ersten Mal nach Oberzettlitz und beobachtete das Haus. Er wurde aber von der Polizei geschnappt und nach Hause geschickt.

Die Anklagevorwürfe - versuchte Nötigung, Bedrohung, versuchter Mord in vier Fällen und schwere Brandstiftung - stritt der bisher nicht vorbestrafte 65-Jährige nicht ab. "Weiß ich nicht", lautete aber wiederholt seine Antwort, wenn er nach Einzelheiten gefragt wurde. "Weil die Taten so persönlichkeitsfremd sind, hat er alles verdrängt", meinte sein Verteidiger, Rechtsanwalt Johannes Driendl, zu den Erinnerungslücken.


Entschuldigung bei Opfern

Eine nachvollziehbare Erklärung für seine Taten hatte der in Fußfesseln vorgeführte Angeklagte, der seit der Festnahme am 22. Januar in der "Bleaml-Alm" bei Fichtelberg wegen seiner Alkoholprobleme im Bezirkskrankenhaus untergebracht ist, nicht zu bieten. Er entschuldigte sich bei den Opfern: "Das war nicht ich selber, der Sie und Ihre Familie in Todesgefahr gebracht hat."

Offenbar hatte er nach dem Brandanschlag geplant, sich selbst umzubringen. Er habe vorher seinen Laptop und alle persönlichen Unterlagen weggeschmissen. "Ich wollte, dass nichts von mir übrigbleibt", sagte er gestern. An seinen Sohn und seine Tochter richtete er einen Abschiedsbrief, den Vorsitzender Richter Michael Eckstein verlas: "Macht Euch keine Gedanken wegen mir. Ich bin es nicht wert. Zerstreut meine Asche in alle Winde."

Seine Selbstmordabsicht setzte er dann nicht in die Tat um, sondern warf die Waffe auf der Flucht weg. Warum er seinen Plan geändert hat? Wieder nur Schweigen.

Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt. Viel wird auf das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Thomas Wenske aus Erlangen ankommen, den das Gericht zur Schuldfähigkeit des Brandstifters befragen will.