Wiener Geschichten am Wehlitzer Berg
Autor: Dieter Hübner
Trebgast, Donnerstag, 16. Juni 2016
Am Freitag, 17. Juni, steigt die letzte Premiere an der Naturbühne Trebgast. Gezeigt werden "Geschichten aus dem Wiener Wald".
Jetzt wird es langsam eng auf der Naturbühne. Pfarrer, Mörder, Maler, Ärzte, eine schrullige alte Dame, Räuber, Graugnome, Rumpelwichte, Wilddruden, AutoexpertenDorfratsch'n, Verliebte und Verlobte - eine illustre Gesellschaft hat sich in den letzten vier Wochen angesiedelt. Und alle haben angedeutet, bis Mitte August auch hier bleiben zu wollen.
19 Akteure permanent auf der Bühne
Doch damit nicht genug. Bereits für heute Abend um 20.30 Uhr hat sich eine weitere Gruppe mit 19 Personen angekündigt, die für die nächsten zwei Monate ihr Quartier auf dem Trebgaster Kulturhügel aufschlagen will.
Begleitet wird dieses Ensemble von Regisseurin Jasmin Sarah Zamani, einer gebürtigen Österreicherin. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint das, was sie vorhat, gar nicht so verwunderlich.
Obwohl man allein mit den bereits anwesenden Typen aller Couleur eigentlich einige "Geschichten aus dem Wehlitzer Wald" schreiben könnte, setzt sie noch einen drauf und will dem Publikum "Geschichten aus dem Wiener Wald" anbieten.
Dafür stehen ihr als Personal unter anderem ein Fleischerei- und ein Puppenklinik-Besitzer, ein Rittmeister, ein Onkel aus Amerika, eine Baronin, eine in gewissen Dingen zu kurz gekommene reifere Beamtenwitwe, leichte Mädchen sowie Geschäftsfreunde zur Verfügung. Ein Querschnitt aus der so genannten kleinbürgerlichen Gesellschaft.
Rein aus finanziellem Kalkül
Mittendrin das süße Wiener Mädel Marianne, Tochter eines unumschränkten Patriarchen. Sein Motto: "Die Unabhängigkeit der Frau vom Mann ist der letzte Schritt zum Bolschewismus." Aus diesem finanziellen Kalkül heraus hat er bereits einen Mann für sie ausgesucht. Dem läuft Marianne aber bei ihrer Verlobung davon. Direkt in die Arme des Hallodri Alfred.
Was erwartet die Zuschauer? "Obwohl der Titel darauf schließen lassen könnte, ist dieses Volksstück keine Komödie, sondern ein Klassiker, eine bitterböse, tragikomische Gesellschaftssatire", drückt es die Regisseurin aus.
Eine Handlung an ständig wechselnden Orten: ländliche Idylle in der Wachau, eine Straße im achten Wiener Bezirk, ein Vergnügungsetablissement, ein Caféhaus, Heurigen-Szene. Hinter der trügerischen Fassade der "Wiener Gemütlichkeit" spielen sich Gemeinheit und Bösartigkeit ab.
Von Scheinheiligkeit keine Spur
Der Alltag wird von Verlogenheit, gespielter Höflichkeit und Scheinheiligkeit bestimmt. Es herrscht Kleingeist-Denken, eine Gesellschaft, in der jeder nur an sich denkt. Am Ende wird nicht die Wendung zum Guten markiert, sondern Sozialkritik. "Es ist zwar keine leichte Kost. Aber die Leute müssen sich nicht auf das Stück vorbereiten, sie können sich bequem zurücklehnen. Jeder kann es anschauen", ermutigt Jasmin Sarah Zamani alle, die noch zaudern.
Die Regisseurin lobt ihr Ensemble in den höchsten Tönen. "Von der Qualität der Akteure hier an der Bühne bin ich immer wieder fasziniert." Für diese wird es auch eine Herausforderung, denn alle 19 stehen permanent auf der Bühne. Dazu werden alle Höhen und Tiefen der Naturkulisse genutzt.
Auch wenn sie gerade nicht in Aktion sind, sind alle präsent, symbolisieren die Gesellschaft, die immer nur zuguckt und nichts unternimmt, wenn Leuten Unrecht geschieht.
Horváths Meisterwerk
Der österreichisch-ungarische Schriftstellers Ödön von Horváth (1901 - 1938) erhielt für sein bekanntestes Theaterstück "Geschichten aus dem Wiener Wald", das bis heute mehrfach verfilmt wurde, auf Vorschlag von Carl Zuckmayer den Kleist-Preis.
Ende der 1920er Jahre in der Zeit katastrophaler Arbeitslosigkeit und der Weltwirtschaftskrise geschrieben, demaskiert Horváth das Klischee von der "Wiener Gemütlichkeit" und stellt auf grausame Weise deren Verlogenheit zur Schau. "Man lacht vor so viel trauriger Zoologie", schrieb ein Kritiker 1931 nach der Uraufführung am Deutschen Theater in Berlin. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden alle Stücke Horváths an deutschen Bühnen abgesetzt und mit Aufführungsverbot belegt.