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Wie verhält man sich in Notsituationen am besten?


Autor: Rebecca Vogt

Kulmbach, Montag, 15. Juli 2019

In Notsituationen ist es wichtig, anderen zu helfen. Um sich dabei nicht selbst in Gefahr zu bringen, sollte man überlegt vorgehen.
Zivilcourage ist ein wichtiger Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Hier wird diese bei einer Kundgebung auf einem Plakat eingefordert. Foto: Archiv/Christoph Soeder, dpa


Eine junge Frau sitzt in einem Linienbus. Hinter ihr steht ein Mann, der sie beobachtet. Plötzlich nähert er sich der Frau, bedrängt sie, versucht wiederholt, die Frau über ihre Schulter hinweg zu greifen. Die Frau wehrt sich und fordert den Mann lautstark auf, sie in Ruhe zulassen. Ohne Erfolg.

An einer Ecke steht eine Gruppe von vier Jugendlichen. Drei von ihnen haben sich zusammengeschlossen und bedrohen den Vierten. Sie drücken ihn gegen die Wand und erheben ihre Fäuste.

Solche oder so ähnliche Situationen kommen in unserer Gesellschaft immer wieder vor. Im Idealfall zeigen Passanten, die Zeugen des Vorfalls werden, Zivilcourage und kommen der Person, die sich in Not befindet, zu Hilfe.

"Zivilcourage ist sozialer Mut", erklärt Klaus Kozuch, Präventionsbeauftragter des Weißen Rings für den Bereich Bayern-Nord. Zivilcourage sei eine Haltungsfrage. Es erfordere Mut, sich in Gefahrensituationen oder gegen Mehrheitsmeinungen für andere einzusetzen. "Zivilcouragiertes Handeln geschieht in unberechenbaren Situationen, in denen zentrale Wertüberzeugungen sowie Würde und Integrität einer Person verletzt werden."

Durch rechtzeitiges Einschreiten könne man verhindern, dass Menschen zu Opfern werden, betont Kozuch. Zunächst müsse man jedoch "die Situation als echte Notsituation erkennen", erklärt er. Wann eine solche Notsituation gegeben ist und wann nicht, dafür hätten die meisten Menschen ein natürliches Gespür.

Polizei verständigen, Passanten ansprechen

Beobachtet man eine Notsituation, soll man sich, wie Kozuch erklärt, zunächst "überlegen, welche Verhaltensweisen gegen die Gefahr möglich sind." Und erst dann handeln. Es gelte das Motto: "Kleine Schritte, statt Heldentaten." Außerdem solle man Ruhe bewahren. "Oft genügt es schon, zum Telefon zu greifen und die Polizei zu verständigen", sagt der Präventionsbeauftragte. "Ein Handy hat heutzutage ja eigentlich jeder dabei."

Da die Polizei meist nicht sofort vor Ort ist, empfehle es sich außerdem, Unterstützung zu organisieren - sprich, ein Publikum herzustellen. Wie Kozuch berichtet, lässt die Hilfsbereitschaft mit der Anzahl der Anwesenden nach. "Weil dann jeder denkt, ein anderer wird sich schon kümmern." Indem man andere Passanten gezielt anspricht und auf die Situation aufmerksam macht, könne man dies ändern.

Um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen, sei es wichtig, genau abzuwägen, welche Handlungen sich selbst und dem Opfer Sicherheit bringen beziehungsweise welche Handlungen ein Risiko darstellen. Der Präventionsbeauftragte empfiehlt, aus der Distanz zu handeln und deeskalierend einzuwirken. Man solle mit dem Täter nicht diskutieren und ihm nicht drohen.

Zivilcourage lässt nach

"Wichtig ist auch, sich die Situation einzuprägen", sagt Kozuch. "Wie sieht die Person aus? Was hat sie an? In welche Richtung ist der Täter geflüchtet?" Es sei ein Manko der heutigen Gesellschaft, dass viele sich eher wegduckten, anstatt als Zeuge zur Verfügung zu stehen. Dabei seien Zeugenaussagen ein wichtiges Instrument der Polizeiarbeit.

"Auch die Zivilcourage scheint etwas zurückzugehen", stellt der Präventionsbeauftragte fest. Man denke immer mehr an sich selbst und weniger an die Allgemeinheit. Gleichzeitig nehme die Zahl der Gaffer zu. "Die Bereitschaft, beherzt einzugreifen, geht zurück, während im gleichen Maß die Neugierde größer wird. Dabei gehört es doch eigentlich zur Grundausstattung des Menschen, helfen zu wollen."

Wer in Notsituationen anderen nicht hilft, könne sich unter Umständen sogar wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen. Oft sei Zivilcourage auch in Situationen gefragt, in denen schon etwas passiert ist und es zum Beispiel Verletzte gibt. Auch bei Personen, die hilflos am Boden liegen, solle man nicht einfach annehmen, dass es sich um einen Betrunkenen handelt, sondern fragen, was los ist.

Es sei natürlich nicht immer leicht, den Mut aufzubringen, in gefährlichen Situationen einzugreifen, räumt Kozuch ein. Aber einfach wegzuschauen und nichts zu tun, sei "die schlechteste aller Entscheidungen". Schließlich brauche eine demokratische Gesellschaft Bürger mit Zivilcourage.

Die wichtigsten Tipps im Überblick

Der Weiße Ring führt auf seiner Website folgende Verhaltensregeln für Notsituationen, in denen Zivilcourage gefragt ist, auf:

- Situation genau beobachten,

- andere zum Mithelfen auffordern,

- sich Tätermerkmale einprägen,

- den Notruf 110 wählen,

- sich um das Opfer kümmern,

- als Zeuge am Tatort bleiben und

- sich nicht selbst gefährden.

Gerät man selbst in eine Notsituation, rät der Weiße Ring dazu, Passanten direkt anzusprechen und diese zum Beispiel dazu aufzufordern, die Polizei zu rufen. Man solle sich laut bemerkbar machen und so Aufmerksamkeit erzeugen. "Siezen Sie den Täter", empfiehlt der Weiße Ring weiter. Beim Handy sollte man vorab den Notruf einspeichern, um diesen im Ernstfall schnell aktivieren zu können. Auch der Überraschungseffekt lasse sich nutzen: "Tun Sie etwas, womit der Täter nicht rechnet."