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Widerstands-Nest zeigt Zivilcourage


Autor: Dagmar Besand

Kulmbach, Freitag, 20. Januar 2017

CVG-Schüler erlebten bei einem Workshop Diskriminierung hautnah. Diese Erfahrung hat ihren Blick für Unrecht geschärft .
Emilia macht im Gespräch mit Trainer Jürgen Schlicher klar, warum sie sich an der Diskriminierung ihrer Mitschüler nicht beteiligen wollte. Foto: Dagmar Besand


Vor sechs Wochen haben sich die Schüler der Klasse 10e des Caspar-Vischer-Gymnasiums dem ungewöhnlichen Experiment unterzogen: Sie haben auf Einladung der Adalbert-Raps-Stiftung an einem von insgesamt drei "Blue eyed"-Workshops in Kulmbach teilgenommen. Gestern besuchte der Trainer die Klasse noch einmal in ihrer Schule. Was hat der Selbstversuch bewirkt? Wie bewerten die Jugendlichen rückblickend das Erlebte?

"Blue eyed" basiert auf der willkürlichen Aufteilung einer Gruppe von Menschen aufgrund ihrer Augenfarbe in Blauäugige und Braunäugige. Mit den Blauäugigen wird so umgegangen, wie es in unserer Gesellschaft häufig Nicht-Weißen, Migranten und Nicht-Christen widerfährt. Alle negativen Klischees, die wir kennen, werden auf sie angewendet. Sie werden wie Unterlegene behandelt, während die Braunäugigen alle erdenklichen Privilegien genießen.

Was passiert mit uns, wenn wir die Macht bekommen, uns über andere zu stellen und diese Position auszunutzen? Jürgen Schlicher und seine Kollegen der Firma Diversity Works führten den Workshop-Teilnehmern dies drastisch vor Augen.

Die Schüler erzählen beim Wiedersehen von ihren Gesprächen mit Freunden, Eltern, Lehrern. "Das hätte ich mir nicht gefallen lassen", ist eine Aussage, die mancher von ihnen spontan zu hören bekam. Eine typische Reaktion, weiß Jürgen Schlicher - und eine fatale obendrein, denn "das heißt ja , ich bin selbst schuld, wenn ich schlecht behandelt werde". Eine solche Aussage komme meist von Menschen, die selbst zu den Privilegierten gehören und die Erfahrung nie machen mussten.

Die Kulmbacher Schüler haben den Trainer sehr beeindruckt - beim Workshop ebenso wie bei der gestrigen Reflexion: "Ich gebe diese Workshops seit vielen Jahren, aber zum ersten Mal hatte ich in der Gruppe der Privilegierten ein Widerstands-Nest, das mich aktiv daran gehindert hat, die Blauäugigen noch schlechter zu behandeln."

Die gezeigte Zivilcourage freut Schlicher, und er wünscht sich, dass diese Haltung sich verbreitet: "Macht verführt dazu, sie zu missbrauchen. Aber das funktioniert nur, wenn wir mitmachen und es zulassen. Erlauben wir es nicht, stehen Täter schnell isoliert da."

Eine wichtige Frage beschäftigt Kathi, die zu denen gehört, die im Experiment aufbegehrten und den Blauäugigen half, statt sie weiter zu demütigen: "Warum hat man in dieser Situation nicht den Mut, mehr zu tun? Warum lassen wir Dinge zu, von denen wir wissen, dass sie nicht in Ordnung sind?"

Jürgen Schlicher erarbeitet mit den Schülern mehrere Antworten: Wir wollen uns nicht blamieren. Wir sind unsicher. Wir wollen gemocht werden und suchen deshalb nach Gründen, die das unfaire Verhalten in diesem Fall rechtfertigen. Wir fallen auf Manipulation herein, die unser Mitfühlen mit den Opfern unterdrücken...

Zur Vertiefung des Themas hat Jürgen Schlicher einen Film mitgebracht: eindrucksvolle Szenen aus dem Original-Experiment der Amerikanerin Jane Elliott, die das "Blue eyed"-Konzept entwickelt und auch Jürgen Schlicher als Trainer ausgebildet hat. Die Grundschullehrerin hatte nach der Ermordung des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King 1968 nach einer Möglichkeit gesucht, ihren Drittklässlern bewusst zu machen, was Diskriminierung anrichtet. Mit Erfolg. Weltweit wird inzwischen nach ihrer Methode gearbeitet.