"Wer viel testet, findet viel"
Autor: Christine Fischer
Kulmbach, Freitag, 02. April 2021
Der Inzidenzwert im Landkreis Kulmbach ist seit Wochen überdurchschnittlich hoch. Das Landratsamt äußert sich zu den möglichen Ursachen.
Der Landkreis Kulmbach hat seit Wochen mit extrem hohen Inzidenzwerten zu kämpfen. Eine genaue Erklärung, warum das so ist, gibt es nach wie vor nicht. Wir haben deshalb bei Oliver Hempfling, Leiter der Führungsgruppe Katastrophenschutz im Landratsamt Kulmbach, nachgefragt.
Gibt es neue Erkenntnisse, warum die Inzidenz so hoch ist, zum Beispiel aus der Kontaktnachverfolgung? Haben wir es in bestimmten Bereichen mit besonderen Missständen oder Fehlverhalten zu tun, die den hohen Wert erklären könnten?
Oliver Hempfling: Es kommen nach wie vor mehrere Faktoren zusammen, die zu dem diffusen Infektionsgeschehen im führen. Nicht nur die Neuinfektionen sind in den Blick zu nehmen, sondern auch die daraus resultierenden weiteren Ansteckungen, insbesondere von Arbeitskollegen und Familienmitgliedern. Was seit einiger Zeit verstärkt auffällt: Ein Indexfall steckt, anders als noch im vergangenen Jahr, im Durchschnitt etwa drei weitere Personen und damit regelmäßig große Teile der Familie an. Das Gesundheitsamt erklärt nachdrücklich, dass man sich zeitlich und räumlich trennen sollte - gerade auch innerhalb eines Hausstands. Eine Analyse der Zahlen der letzten Wochen zeigt, dass über zwei Drittel der Infektionen auf Kontaktpersonen zurückzuführen sind, die nach wenigen Tagen ebenfalls positiv getestet wurden. Zudem spielt die zunehmende Verbreitung der britischen Variante B.1.1.7 eine Rolle. Über 80 Prozent der Fälle der vergangenen Wochen sind dieser Mutation und der damit einhergehenden höheren Infektiosität zuzuschreiben. Ein Blick auf die bayerische Landkarte zeigt zudem, dass derzeit die unmittelbar an der Grenze zu Tschechien gelegenen Regionen und deren Nachbarlandkreise noch immer besonders stark betroffen sind. Erst weiter Richtung Westen ebben die Zahlen ab. Dies führt zu der beschriebenen diffusen Infektionslage. Das heißt, dass - anders als im Herbst - die Fälle nicht einigen Ursachen zuzuordnen sind. Oft wissen die Indexfälle selbst nicht, wo sie sich angesteckt haben könnten.
Zunehmend ist eine mangelnde Disziplin bei der Maskenpflicht zum Beispiel in der Kulmbacher Innenstadt zu beobachten, und auch die Kundendichte in manchen Supermärkten ist bisweilen alles andere als Pandemie-konform. Sind hier verstärkte Kontrollen und härtere Strafen geplant?
Derartige Kontrollen werden regelmäßig durch Polizei, Gewerbeaufsichtsamt und Lebensmittelüberwachung vorgenommen, insbesondere dann, wenn konkrete Hinweise auf infektionsschutzrechtliche Verstöße vorliegen, auch wenn dafür häufig kein Verständnis aufgebracht wird. Anlasslose Überprüfungen durch eigenes Landratsamts-Personal finden aus Kapazitätsgründen nur selten statt. Die Regeln sind hinlänglich bekannt, es muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass diese befolgt werden. Sollte es zu einer Anzeige kommen, wird ein Ordnungswidrigkeiten-Verfahren eingeleitet. Beim Ausmaß der Strafe sind die Behörden an den aktuellen Bußgeldkatalog des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege gebunden.
Immer mehr Städte und Kommunen gehen eigene Wege in der Pandemiebekämpfung. In Köln zum Beispiel darf man nur noch mit negativem Schnelltest zum Friseur oder zur Kosmetikerin, der Ordnungsdienst kontrolliert verstärkt in Geschäften. Auch das Tübinger Modell ist in aller Munde. Wären ein solch härteres Vorgehen oder ein Pilotprojekt mit verpflichtenden Schnelltests nicht auch für Kulmbach denkbar?
Die Überlegungen gehen bereits in diese Richtung. Mit unserer Teststrategie haben wir die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um ein Leben mit dem Virus zu ermöglichen. Das Modell sieht vor, dass man mit einem bestätigten negativen Schnelltest ein Tagesticket erhält, mit dem man zum Beispiel einkaufen gehen oder die Gastronomie nutzen kann. Dies würde Öffnungen ermöglichen und eine konkrete Perspektive für die gesamte Bevölkerung bieten, ist sich auch Landrat Söllner sicher. Seit fast zwei Monaten haben wir zusätzliche Schnellteststrecken in Betrieb. Wer viel testet, findet viel. Derzeit gehen die Zahlen in ganz Oberfranken und in weiten Teilen Bayerns in Richtung einer 300er Inzidenz. Öffnungen sind deshalb unter den gegebenen Umständen schwer möglich. Leider müssen wir auch über Ostern mit konsequenten Kontaktbeschränkungen leben. Öffnung kann gegenwärtig nicht auf der Tagesordnung stehen.
Aus der vorangegangenen ergibt sich natürlich die alles entscheidende Frage: Wieviel Handlungsspielraum hat eine Kommune bei den Corona-Maßnahmen? Was könnte der Landkreis tun? Welche rechtlichen Voraussetzungen bräuchte es, um härtere Bandagen anzulegen oder weitere Öffnungen mit verpflichtenden Schnelltests zu ermöglichen?
Es ist nicht so, dass jedes Gesundheitsamt unabhängig vom Freistaat eigene Öffnungsstrategien verfolgen kann. Entscheidend für Öffnungen sind alleine die Inzidenzwerte. Die Landratsämter handeln als weisungsgebundene untere staatliche Verwaltungsbehörde, maßgebend ist die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung. Dies gilt natürlich auch für uns in Oberfranken.
Kommen wir zu den Impfungen: Wird die Priorisierung bei der Vergabe der Impftermine beibehalten oder rückt man davon ab, zumal das Robert-Koch-Institut aktuell festgestellt hat, dass in dieser dritten Welle hauptsächlich jüngere Menschen von einer Infektion betroffen sind?
Durch die Änderung der Coronavirus-Impfverordnung haben auch Personen, die in Kindertageseinrichtungen, heilpädagogischen Tagesstätten und in der Kindertagespflege tätig sind sowie die Lehrer an Grund-, Sonder- und Förderschulen mit hoher Priorität einen Anspruch auf eine Corona-Schutzimpfung. Berechtigt sind alle Beschäftigten der Einrichtungen, also beispielsweise auch Verwaltungs- oder Hauswirtschaftskräfte, soweit diese unmittelbar in den Einrichtungen tätig sind. Ein vollständiges Abrücken von der geltenden Verordnung ist in Bayern derzeit nicht angedacht.
Wie ist die aktuelle Statistik beim Impfen im Landkreis nach Altersgruppe? Sind die 80-Jährigen mittlerweile alle durchgeimpft?
Die Impfquote im Landkreis Kulmbach liegt bei den Erstimpfungen schon über 15 Prozent. Die bisherigen Impfungen lassen sich wie folgt aufschlüsseln: etwa 4300 Personen mit Altersindikation, 3500 Personen mit beruflicher Indikation, 800 Personen mit medizinischer Indikation und 1200 Personen in stationären Einrichtungen.
Wann kann die nächste Prioritätengruppe mit einem Impfbeginn rechnen?
Das ist pauschal nicht zu beantworten. Dies lässt sich nicht genau differenzieren, da nach der Corona-Impfverordnung zusätzlich zum Alter etliche weitere Kriterien für die Einstufung in die geltenden Prioritätsgruppen eine Rolle spielen. Das bayernweit einheitlich eingesetzte Impfportal arbeitet mit einem ausgewogenen und aufwändig programmierten Algorithmus, der besonderen Wert auf eine faire Verteilung innerhalb der Priorisierungsgruppen legt.
Geht es in Kulmbach mit dem Impfen bald schneller, weil wir als Hochinzidenz-Gebiet zusätzliche Impfdosen bekommen? Was lässt sich zur zeitlichen Abfolge und Versorgung mit Vakzinen sagen?
Bisher gingen mehr als 2500 Dosen zusätzlich in den Landkreis Kulmbach, die uns durch den Freistaat Bayern als Sonderzuteilung zur Verfügung gestellt wurden. Und auch in den nächsten zwei Wochen wird die Regelzuteilung für das Kulmbacher Impfzentrum um 3220 weitere Zusatzrationen für Erst- und Zweitimpfungen aufgestockt werden. Am 26. März wurde in Kulmbach bereits die 10 000. Person geimpft. Inzwischen ist es gelungen, die Gruppe der über 80-Jährigen mit einer Impfung zu versorgen. Unter Berücksichtigung der Bewohner der Senioren- und Pflegeheime waren das rund 5400 Menschen.