Gottschalks Lieblingspauker wird 90
Autor: Wolfgang Schoberth
Kulmbach, Dienstag, 14. Februar 2017
Wer noch mal ist Hiketeus? Alfred Biedermann, früherer MGF-Lehrer, feiert am Mittwoch seinen 90. Geburtstag.
"Ich bin meinem altphilologischem Ziehvater Alfred Biedermann auf ewig dankbar, dass er mir noch auf dem Gang vor dem Klassenzimmer entweder aus Mitleid mit meinem Schicksal oder aus Verzweiflung über sein pädagogisches Versagen leise zuraunte, dass ,der Schmied' im Griechischen ,hiketeus' heißt. Ich habe diese Vokabel nur einmal im Leben gebraucht, dafür aber dringend. Dr. Biedermann hat mit seiner Hilfestellung wahrscheinlich gegen diverse Beamtengesetze verstoßen, sich aber als wahrer Humanist erwiesen."
Phänomenales Gedächtnis
Eine Liebeserklärung, von der viele Lehrer nur träumen können. Sie findet sich in Thomas Gottschalks Autobiografie "Herbstblond", die er am 23. September 2015 an seiner alten Schule vorgestellt hat. Gefeierter Ehrengast: sein alter Griechisch-Lehrer. In einem Punkt irrt jedoch der zum Abitur durchgepaukte Entertainer: Ein Doktor seines Zeichens ist Alfred Biedermann nicht.Der Grund für den Irrtum mag in dessen enzyklopädischem Wissen und phänomenalen Gedächtnis liegen. Schon manchen seiner ehemaligen Schüler hat das bei einer Wiederbegegnung zum Schlucken gebracht: "Du heißt Meier, hast 1976 Abitur gemacht und in der zweiten Latein-Ex in der 10. eine schwache Vier gehabt."
Spitzname "Ammon"
Alfred Biedermann, der eine viertel Stunde vor seiner Zwillingsschwester Irene in Bayreuth das Licht der Welt erblickt hat, verkörperte einen herrlich altmodischen Lehrer-Typus. Nicht nur dadurch, dass er auch ohne Google und Internetzugriff nicht am Ende seines Lateins war, dass er niemals ohne Anzug und Krawatte vor die Leute trat, sondern auch in seinem Unterrichtsstil, wie ihn viele Schüler in seinen 37 Jahren am MGF (1953 bis 1990) erlebt haben: Kein autoritäres Gehampel, keine bloße Grammatik- und Vokabelpaukerei, sondern immer wieder hat er seinen Schülern den Blick geöffnet für die antike Rhetorik, Geschichte und Philosophie. Wenn es seine Schützlinge interessierte, konnte er locker mal eine Stunde über die Vorsokratiker, das Götterbild der Griechen oder die Bacchanalien im alten Rom extemporieren. Wohl deswegen wird jemand für ihn den Spitznamen "Ammon" erfunden haben - nach dem strahlenden König am ägyptischen Götterhimmel.
Heitere Gelassenheit
Aufgebracht, hektisch, erregt hat man ihn an seiner Schule nie erlebt. Stets hat er die Wogen geglättet, mochte das Chaos noch so wüten. Stets ausgeglichen, begabt mit Engelsgeduld - es scheint dies die Zauberformel für sein über Jahrzehnte gleichbleibendes Äußeres zu sein. Er verkörperte, wie wenig andere, die "Ataraxia", Epikurs Ideal heiterer Gelassenheit und Unerschütterlichkeit. Für viele Schüler war er eine Vertrauensperson, die man immer ansprechen konnte. Einer, der zuhörte, vielleicht auch Rat wusste. Noch heute trifft er sich mit vielen Ehemaligen.Zu seiner inneren Ruhe trägt gewiss auch seine Familie bei, seine fürsorgliche, selbst den Musen zugetane Frau Margarete aus Guhrau in Schlesien (mit der er 1958 die Ehe schloss) und ihre Tochter Beate (verheiratete Braess), die als Ärztin in Kulmbach praktiziert. Zu seinem runden Geburtstag möchten ihm gewiss viele "ad multos annos" wünschen und ihm zurufen: "Nunc est bibendum", lasst uns anstoßen auf einen feinen Menschen.
Karl-Heinz Ramming berichtet von einer Lateinstunde
Die alte Turnhalle des MGF hatte bis 1963 eine Galerie, die über die ganze Vorderseite ging. Von unserem Klassenzimmer im Raum T 3 ging eine Tür hinaus, vor der normalerweise ein Schrank stand. Irgendjemand kam auf die Idee, die Tür auszuprobieren. Der Schrank wurde weggerutscht. Die Tür war nicht abgeschlossen. Es war eine Doppeltür, deren Seite zur Turnhalle jedoch abgeschlossen. Ein Schüler, der für jeden Blödsinn bereit war, wurde zwischen die beiden Türen gestellt und der Schrank wieder davorgeschoben. Dann kam die Lateinstunde. Biedermann fing an mit dem Unterricht. Plötzlich Stimme aus dem Untergrund "Ich will raus, ich will raus." Biedermann stoppte, horchte, setzte jedoch den Unterricht fort. Wieder kam die Stimme: "Ich will raus, ich will raus". Wieder unterbrach Biedermann, blieb aber weiter cool. So setzte sich das Spielchen fort bis zum Ende der Latein-Stunde.