Druckartikel: Wenn der Nachbar ein Messie ist ...

Wenn der Nachbar ein Messie ist ...


Autor: Christine Fischer

Kulmbach, Montag, 27. Juni 2022

Die Kulmbacher Feuerwehr musste vor kurzem einen verstorbenen Hausbesitzer aus seinem zugemüllten Grundstück bergen.
Die Einfahrt des Hauses in einer beschaulichen Kulmbacher Wohngegend ist komplett zugemüllt Foto: Christine Fischer


Eine beschauliche Wohngegend in Kulmbach. Die Häuser sind gepflegt, die Gärten liebevoll angelegt, die Einfahrten einladend - bis auf eine. Dort rosten zwei ausgediente Transporter vor sich hin, der Müll stapelt sich meterhoch in der Einfahrt, im Garten, einfach überall. Ein Weg zum Haus oder die Haustür sind nicht mehr zu erkennen. Unvorstellbar, dass hier bis vor kurzem jemand gelebt haben soll. Ein Nachbar bringt es so auf den Punkt: "Ich habe Fremden den Weg zu mir immer so beschrieben: das nächste Haus hinter der Müllhalde."

Diese "Müllhalde" war unlängst Schauplatz eines Großeinsatzes von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst, ein polizeiliches Absperrband zeugt noch davon. Denn der 86-jährige Besitzer, der sein Haus und sein Grundstück über Jahrzehnte komplett zugemüllt hat, war gestorben. Damit er geborgen werden konnte, mussten die Rettungskräfte eine regelrechte Schneise durch gigantische Müllberge schlagen. Das Bild, das sich Feuerwehrleuten und Polizeibeamten am Einsatzort bot, soll unbeschreiblich gewesen sein. Einige sollen geäußert haben, so etwas hätten sie noch nie gesehen.

Durch Zufall tot entdeckt

Entdeckt wurde der Tod des Mannes quasi zufällig von Polizeibeamten. Dem Vernehmen nach hatten sie den 86-Jährigen als Halter eines Fahrzeuges ausfindig gemacht, das seit geraumer Zeit an einem Waldstück bei Untersteinach abgestellt war. Auch dieses Wald-Grundstück war im Besitz des Rentners und soll in einem ähnlich katastrophalen Zustand sein. Als die Polizisten den Mann Zuhause aufsuchen wollten, fanden sie ihn leblos auf seinem Grundstück vor. Wie er ums Leben kam, klärt nun die Kripo Bayreuth, die standardmäßig bei ungeklärten Todesumständen wie in diesem Fall ermittelt. Fremdverschulden werde jedoch ausgeschlossen, heißt es von der Pressestelle des Polizeipräsidiums Oberfranken.

Die aufsehenerregende Bergungsaktion markiert das vorläufige Ende eines jahrelangen Dramas, das nicht nur die Behörden beschäftigte, sondern auch die Nachbarn gehörig Nerven kostete. Seit 25 Jahren schaue man diesem Messie-Schauspiel schon zu, berichtet ein Anwohner. In der Nachbarschaft wird erzählt, dass der alte Mann - er war alleinstehend und soll ein Eigenbrötler gewesen sein - vor lauter Müll nicht einmal mehr seine Haustür nutzen konnte, sondern immer über eine Leiter durch ein Fenster ins Haus gelangt sei.

Ratten und Marder

Das zugemüllte Grundstück ist nicht nur optisch eine Zumutung für die Nachbarschaft. Durch den Unrat werden Ratten angezogen, berichten Anwohner. Auf dem zugewucherten Grundstück, eine einzige Wildnis, wimmele es außerdem vor Mardern, die mit ihrem nächtlichen Geschrei die Straße wach hielten. Ein Nachbar sagt sogar halb im Scherz: "Dort leben bestimmt auch Tiere, die schon längst ausgestorben sind." Doch zum Lachen zumute ist den Anwohnern schon lange nicht mehr. Mehrfach haben sie in der Vergangenheit die Behörden verständigt.

"Das Grundstück war der Stadt bekannt", bestätigt Pressesprecher Jonas Gleich, von Nachbarn seien vereinzelt Hinweise zu den ungepflegten Außenanlagen gekommen. "Eine Kontaktaufnahme durch die Stadt mit dem betroffenen Herren war allerdings nicht möglich, er war weder telefonisch noch persönlich zu erreichen", so Gleich. Grundsätzlich könne die Stadt in solchen Fällen nur eingreifen, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht. Dazu zählen zum Beispiel die Sichtung von Ratten oder eine Hecke, die nicht zurückgeschnitten wurde, sodass Sichtbehinderungen im Straßenverkehr entstehen. "In diesen Fällen können sich Anwohner an die Stadt wenden", sagt Gleich.

Es gab etliche Termine und Aufforderungen

Auch für das Landratsamt Kulmbach war der 86-Jährige kein Unbekannter, wie der Leiter der Abteilung für öffentliche Sicherheit, Bauwesen, Natur- und Umweltschutz, Oliver Hempfling, erklärt. Seit Ende der 1990er-Jahre beschäftigte der Mann in der Kreisverwaltungsbehörde die Fachabteilungen für Abfallrecht, Umweltrecht, Baurecht, die fachkundige Stelle für Wasserwirtschaft und auch das Gesundheitsamt, das sich vergeblich um eine Betreuung bemühte. Es habe etliche Ortstermine, Gespräche und Beseitigungsaufforderungen gegeben, so Hempfling, denen der 86-Jährige nach einer ersten Zusage später mit dem Verweis auf eine Erkrankung nicht nachgekommen sei.

Ein Strafverfahren

Der nächste Schritt von Amtsseite sei eine förmliche Aufforderung, erläutert der Jurist. Aber dazu brauche es eine "Rechtsgrundlage, die trägt und hält, sollte es vor Gericht gehen, und das war häufig schwierig". Immerhin: Einmal hat es zum vermüllten Wald-Grundstück bei Untersteinach, mit dem das Landratsamt hauptsächlich befasst war, nach einer Anzeige ein Strafverfahren wegen eines Umweltdelikts gegeben, das mit einem Strafbefehl endete.

Im Fall des Wohn-Grundstücks in Kulmbach waren der Behörde dagegen oft die Hände gebunden. Auch wenn der Anblick für die Nachbarn alles andere als schön ist, "von dem Grundstück geht keine Gefahr aus", so Oliver Hempfling, der betont: "Für die Behörden ist es nicht immer einfach, mal eben schnell eine Anordnung zu erlassen, um für Zustände zu sorgen, die im subjektiven Auge des Betrachters in Ordnung wären."

Was geschieht nun mit den Grundstücken?

Was passiert nun mit dem Haus und den Grundstücken? Zuerst muss die Erbfolge geklärt werden. Der 86-Jährige besaß keine Angehörigen in der Nähe, hat aber wohl immer von Verwandtschaft in Amerika erzählt. "Wenn es vor Ort keine Verwandten gibt, liegt es in der Zuständigkeit der Kommune, Angehörige ausfindig zu machen", erklärt Gleich. Bis da ein Nachlass geregelt ist und die Müllhalde verschwindet, das kann dauern ...