Weiger: "Windkraftdebatte in Franken ist verlogen"
Autor: Dieter Hübner
Trebgast, Sonntag, 04. August 2013
Für BN-Vorsitzenden Hubert Weiger ist die Windkraft als Alternative zur konventionellen Energiegewinnung unverzichtbar. Die Nutzung muss allerdings am richtigen Standort erfolgen. Die Debatten in Franken nennt er "verlogen".
Das Thema "Erneuerbare Energien", insbesondere die Nutzung der Windkraft und die dafür vorgesehenen Vorranggebiete, bewegt derzeit die Bürger im Landkreis Kulmbach und darüber hinaus. Die Bayerische Rundschau hatte am Wochenende Gelegenheit, darüber mit Hubert Weiger zu sprechen. Der Vorsitzende des Bund Naturschutz (BN) in Bayern und Vorsitzende des deutschen Dachverbandes Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) nutzte den Besuch einer Vorstellung auf der Naturbühne zu einer Stippvisite in der Umweltschule SchlöNZ, die in Schlömen stationiert ist.
Herr Professor Weiger, Sie sind seit 2002 Bayerischer Vorsitzender des BN. Was hat sich seither verändert?
Hubert Weiger: Eines ist klar: Der Stellenwert des Natur- und Umweltschutzes ist kontinuierlich angestiegen.
Was uns natürlich einen gewaltigen Schub gebracht hat, war die Reaktor-Katastrophe von Fukushima, die zum endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie, nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland geführt hat. Inzwischen gibt es dazu, anders als noch 2000, wo das heftigst umstritten war und nur mit knappen Mehrheiten durchgesetzt worden ist, innerhalb der demokratischen Parteien keinen Dissens mehr. Heute geht es nur noch darum, ob man sofort aussteigen kann oder muss, oder ob das noch bis Anfang des nächsten Jahrzehnts dauern soll. Ich hätte es nie für möglich gehalten, es selbst noch zu erleben, dass sich die CSU in Bayern offiziell von der Atomenergie verabschiedet. Sie war ja die Partei, die sich am massivsten dafür in Bayern und Deutschland eingesetzt hat. Von daher hat sich in den letzten elf Jahren sehr vieles auch durchaus positiv für uns verändert.
Vielfach werden durch die Abschaltung der Atomkraftwerke (AKW) Energieengpässe herauf beschworen. Müssen wir uns Sorgen machen?
Mit Sicherheit nicht, ganz im Gegenteil. Wir sind eine der führenden Stromexportnationen Europas. Wir exportieren im Jahresdurchschnitt die Leistung von nicht mehr nur zwei, sondern von drei bis vier Atomkraftwerken. Das hängt natürlich mit dem erfreulichen Ausbau der erneuerbaren Energien zusammen, der wesentlich rascher erfolgt als prognostiziert. Das heißt, die Energiewende "von unten" läuft, auch entgegen vielfältiger Bemühungen, sie kaputt zu reden. Aufgrund dieser absolut positiven Entwicklung könnten wir tatsächlich ernst machen mit dem, was der Verband 2011 gefordert hat. Nämlich spätestens 2013 aus der Atomenergie auszusteigen. Das wäre möglich gewesen, denn wir haben mit der Verringerung des Stromverbrauchs und mit rationeller Energienutzung noch gar nicht begonnen. Wir wissen ja, dass wir landesweit ein Stromersparnis-Potenzial von 40 Prozent haben. Unsere größte Quelle ist eigentlich die Verringerung unseres Verbrauchs und damit einfach ein vernünftiger Umgang mit den knappen Ressourcen.
Was ist unter dem "Energieeffizienzpakt" (EEP) der Bayerischen Staatsregierung zu verstehen?
Leider nur ein allgemein unverbindliches Sammelsurium von Dingen, die ohnehin in Fluss sind. Wir waren hier von Anfang an beteiligt, weil es eine Schlüsselaufgabe ist, gleiche Leistung mit geringerem Energieeinsatz zu erzielen. Aber wenn man den Versuch, Monster-Lkw auf die Straße zu bringen, als einen Beitrag zum EEP betrachtet, dann ist das schon absurd. Deswegen haben wir uns als Verband, wie im Übrigen auch die bayerische Bau-Industrie, nicht mehr daran beteiligt. Wir stehen zur Energieeffizienz, aber sie muss mit klaren Zielen verknüpft werden, und zwar, um wie viel Prozent Strom weniger wollen wir pro Jahr verbrauchen. Allein der Austausch von alten, ineffizienten elektrischen Pumpen würde in kürzester Zeit den Stromverbrauch um 30 Prozent reduzieren. Nicht nur in den Haushalten, auch in der Wirtschaft.
Leider fehlen hier konkrete Maßnahmen, deshalb haben wir uns an diesem Pakt nicht mehr beteiligt. Vor allem die FDP ist da nicht müde geworden, auf europäischer Ebene entsprechende Richtlinien zu verzögern, zu verschleppen und im eigenen Land unverbindlich zu machen. Ein klassisches Beispiel dazu: Das "Top-Runner-Prinzip" wäre ein ganz tolle Maßnahme, wirklich zu einer flächendeckenden Maßnahme zu kommen. Es ist in Japan entwickelt worden und hat dort Hervorragendes bewirkt: Das energieeffizienteste Gerät gibt den Standard vor, dem sich alle "Generationen" gleicher Geräte nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren anpassen müssen. In der Praxis heißt das, es gibt in der Wirtschaft einen Wettbewerb, möglichst stromsparende Geräte zu bauen. Wir haben bei uns zwar auch Effizienzklassen, aber keinen Wettbewerb. Das japanische Prinzip führt dazu, dass wenig energieeffiziente Geräte automatisch vom Markt verschwinden, weil sie gar nicht mehr angeboten werden. Das wäre ein echter Innovationsschub und Motor, weil alle Ingenieure in diesem Bereich ihr Gehirnschmalz einsetzen würden. Das wäre besser, als wenn der Staat irgendwelche gesetzliche Vorgaben machen muss.
Gegen die Ausweisung von Vorrangflächen für Windkraftanlagen (WKA) formiert sich zunehmend Widerstand. Viele befürchten eine "Verspargelung" der Landschaft.
Die Windenergie ist eine Basis für die Stromproduktion. Der BN fordert seit Jahren, Windkraft nach Plan, also innerhalb der Regionalpläne. Genau deswegen, um den so genannten "Verspargelungs-Effekt" zu verhindern. Oberfranken ist da bayernweit führend, weil es schon vor zehn bis fünfzehn Jahren damit begonnen hat. Dieser Weg darf nicht verlassen werden. Im Gegenteil, er muss konsequent weitergegangen werden. Diese Festlegung erfordert Ausschluss-Kriterien: Keine Windkraft in FFH-Gebieten und in Gebieten mit besonderer landwirtschaftlich ästhetischer Bedeutung. Die Höhen des Fichtelgebirges sind freizuhalten.
Dass Windkraft auch in besonders prägnanten Gegenden möglich ist, beweist die kleine Gemeinde Wildpoldsried bei Kempten. Sie wurde als Energiedorf bundesweit und auch international bekannt, weil sie mittels erneuerbarer Energien fünf Mal so viel Energie erzeugt, wie sie selbst verbraucht. Im absoluten Einzugsbereich der Allgäuer Alpen stehen dort, mit voller Akzeptanz der Bevölkerung, inzwischen acht Windkraftanlagen.
Wir in Franken haben das Gefühl, dass wir die Energiewende in Bayern alleine schultern sollen.
In den Alpen wird es wegen der fehlenden Rentabilität ohnehin keine Windkraftanlagen geben. Das hat rein topografische Gründe. Im Voralpenraum laufen die Regionalpläne allerdings erst an, im Donau-/Iller-Bereich sind sie bereits abgeschlossen. Absolute Defizite gibt es zugegebenermaßen in Rosenheim (Planungsverband München). Wir bedauern, dass das Landesentwicklungsprogramm (LEP) hier nicht flächendeckend gefordert hat: Innerhalb eines Jahres sind entsprechende Standorte vorzuschlagen und festzulegen. Oberfranken-Ost dient als klares Leitbild. Ein Standortproblem haben wir im Steinwald bei Hohenberg, weil es sich dabei um den einzigen, schutzwürdigen Laubwaldbereich im Fichtelgebirge handelt. In der Region Oberpfalz-Nord läuft keine Regionalplanung. Das führt zum Beispiel dazu, dass die Gemeinde Kemnath in ihren eigenen Wäldern im Hohen Fichtelgebirge WKA vorsieht und festlegen will. Damit werden letztlich die Vorgaben des Regionalplans Oberfranken-Ost völlig unterlaufen.
Wir sehen eine abgestimmte Planung als zentrale Aufgabe der Staatsregierung und des Landtags, der sie allerdings in der Fortschreibung des LEP nicht nachgekommen sind.
Eines ist allerdings klar: Das Landschaftsbild wird sich verändern. Aber die Veränderungen kann man landschaftsverträglich gestalten. Das Landschaftsbild würde sich auch durch einen andererseits massiven Bau von Hochspannungsleitungen verändern, die für die Vogelwelt nicht weniger schädlich sind als die WKA. Im Unterschied zur Atomkraft können WKA nach und nach wieder abgebaut werden, wenn die Technik fortschreitet. Der Widerstand gegen WKA in Franken wird unter anderem von führenden Angehörigen des AKW Grafenrheinfeld angeführt. Sollte dieser Widerstand erfolgreich sein, werden wir im Jahr 2014 darüber diskutieren, dass dieses AKW eine Laufzeitverlängerung bekommt. Von daher ist die Debatte um die Windkraft eine verlogene Debatte.
Noch einmal in aller Deutlichkeit: Wenn wir aus der Atomenergie raus wollen - und wir müssen raus -, wenn wir gleichzeitig aus Klimaschutz-Gründen keinen verstärkten Einsatz von Braun- und Steinkohle wollen, dann müssen wir Alternativen entwickeln. Und da ist die Windenergie unverzichtbar. Wer einmal die sächsischen Tagebauflächen, die Absiedlung von Dörfern, gesehen hat, für den relativiert sich auch der Widerstand gegen Windkraft im Lande. Wenn Bayern jetzt wieder eine andere Politik einschlägt und der Ministerpräsident eine Abstandsentfernung von Siedlungen von 2000 Meter fordert, wäre beispielsweise im Landkreis Haßberge überhaupt keine WKA möglich. Und das gilt für viele Regionen Bayerns. Das würde bedeuten: WKA nur noch in großen, geschlossenen Waldgebieten. Das lehnen wir als Naturschützer ab.
Im Norden ist genug Windkraft vorhanden.
Windkraft kann nicht nur ausschließlich an küstennahen Standorten beziehungsweise auf dem Meer genutzt werden. Wir brauchen nicht den großen Verbund, sondern dezentrale Konzepte. Wir müssen den Strom flächendeckend produzieren. Von daher gilt es, Windenergie auch in Süddeutschland und damit in Bayern auszubauen. Wichtig ist dabei die aktive Beteiligung der Bürger, gemeinsam mit ihren Gemeinden. Damit wird sichergestellt, dass die Erträge überwiegend den Bürgern vor Ort zugute kommen und nicht über Investitions- und Abschreibungs-Projekte abfließen. Das ist die Chance, diesen Bereich selbst in die Hand und damit eigene Verantwortung zu übernehmen.
Enoch zu Guttenberg war 1975 Mitgründer des BUND und ist 2012 ausgetreten, weil er die seiner Meinung nach landschaftszerstörenden WKA ablehnt und den Verdacht der Käuflichkeit des BUND nicht länger mittragen wollte.
Wir bedauern seinen Austritt, weil er ja auch immer wieder großen Einsatz gezeigt hat. Seine Begründung können wir allerdings nicht nachvollziehen. Wenn er es ernst meint mit dem absoluten Nein zur Atomenergie, muss er auch klar Ja zur Windenergie sagen. Das bedeutet: Kein grenzenloses, sondern ein differenziertes Ja. Windkraft am richtigen Standort. Und nicht: Windkraft ja, aber an der Küste. Dort haben wir nicht weniger Landschaftsbild und nicht weniger Heimat, als bei uns.
Seine immer wieder geäußerten Unterstellungen, wir sagen deshalb Ja zur Windenergie, weil wir dafür Geld bekämen, treffen nicht zu. Und das weiß er genau. Als BN und BUND lehnen wir ganz bewusst Öko-Sponsering ab - und damit auch Geld von einzelnen Unternehmen. Auch dann, wenn wir die Ziele solcher Unternehmen unterstützen. Er soll dann auch dazu sagen, wer Geld für die Standorte bekommt: Das sind die Unteren Naturschutzbehörden bei den Landkreisen für so genannte Kompensationsmaßnahmen. Sie verwenden dieses Geld für landschaftlich pflegerische Ausgleichsmaßnahmen. Das hat aber mit uns nichts zu tun.
Die Einwohner von Kauerndorf und Untersteinach kämpfen seit Jahren für eine Umgehung. Ist Ihnen dieser Vorgang bekannt?
Dieser permanente Ruf nach Umfahrungen führt zu immer weiteren Belastungen der Landschaft. Wir brauchen andere Systemlösungen. Wir müssen endlich dazu kommen, dass wir Durchgangs-Lkw-Verkehr intelligenter als bisher regeln. Da gibt es in Oberfranken bekannte Defizite. Wir haben zwar eine hervorragende Schienen-Infrastruktur, die aber für Gütertransporte so gut wie nicht mehr zur Verfügung steht. Das halten wir für eine absolute Fehlentwicklung im Bereich der Bahn, die dann automatisch zu entsprechenden Umfahrungen führt. Der ständige Ruf nach überteuerten Umgehungsstraßen verhindert einfach innerörtliche Lösungen. Jeder überbietet sich mit Forderungen, jeder hofft auf Maximallösungen. Der Bundesverkehrswegeplan ist maßlos überfüllt. Bei den derzeitigen finanziellen Mitteln würde es 400 Jahre dauern, wenn man alles bauen würde, was darin gefordert ist. Unsere dazu aufgestellten Forderungen, liegen seit 20 Jahren auf dem Tisch und werden auch von den Kommunen unterstützt. Aber es passiert nichts.
Welche Erfolge kann sich der Bund Naturschutz auf seine Fahnen heften?
Die Rettung von Landschaften ist sicherlich der entscheidende Erfolg, dass heute Natur und Umweltschutz in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Und dass es in unserem Lande niemanden mehr gibt, der sagt, das ist etwas Überflüssiges, darauf können wir verzichten.
Ich denke an die Debatten in der Landwirtschaft vor 20, 30 Jahren denke, wo wir bei Fragen zur Zukunft von Heckenlandschaften und Flurbereinigungen gerade hier im Landkreis Kulmbach ziemlich alleine standen. Hier haben wir inzwischen zunehmend Akzeptanz für unsere Positionen und kämpfen gemeinsam gegen Fehlentwicklungen in der Agrarpolitik.