Waschbären werden zur Gefahr für heimische Arten
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Sonntag, 19. Januar 2014
In Hessen entern Waschbären massenhaft die Städte. Auch in Oberfranken nimmt ihr Bestand zu, selbst in Kulmbach wurden Exemplare gesichtet. So possierlich die Pelztiere auch sein mögen: Für heimische Arten sind sie eine Gefahr.
Der Optiker in der Fußgängerzone in Gemünden am Main staunte nicht schlecht: Ein Waschbär hatte zur Mittagszeit seinen Laden betreten und sich einige Minuten darin aufgehalten, ehe er - offenbar enttäuscht vom Nahrungsangebot (oder dem Brillen-Sortiment) - wieder hinaus spazierte.
Hans-Dieter Ernst ist nicht erstaunt darüber, dass sich der eigentlich eher nachtaktive Geselle mittlerweile auch tagsüber blicken lässt und sich sogar in die Nähe des Menschen wagt. Der Kulmbacher ist Jagdpächter des Reviers "Links des Weißen Mains" und hat auf seinen Streifzügen bereits mehrfach Waschbären am Stadtrand beobachtet. "Die Kerlchen sind Allesfresser.
Da brauchen nur unvorsichtige Zeitgenossen ein paar Essensreste auf dem offenen Kompost entsorgt haben - schon bedankt sich der Waschbär und bedient sich."
Kein Wunder, dass es die schlauen Tiere zu solchen Quellen immer wieder hinzieht, auch ohne den Schutz der Dunkelheit. Hunger und Überlebenswille seien irgendwann stärker als die Angst, und der nahe Wald als schneller Rückzugsort liegt nicht fern.
Ernst kann sich das Auftauchen des Waschbären im Kreis nur dadurch erklären, dass offenbar einige Exemplare ausgebüxt sind oder bewusst ausgesetzt wurden. "Mir fehlen da immer die Worte, wenn ich sehe, wie leichtfertig sich Menschen so ein Lebewesen zu sich holen und dann erkennen müssen, dass sie damit nicht klarkommen. Ein Waschbär ist alles andere als ein Haustier. Die sind am Anfang ja possierlich und putzig, werden aber irgendwann groß und bisweilen aggressiv."
Die Folge: Das Tier wird "entsorgt", also entweder getötet oder ausgesetzt. "Offenbar geht manchen in unserer Gesellschaft jegliches Mitgefühl für unsere Mitgeschöpfe ab."
Einmal in der freien Wildbahn, werden Waschbären zu einem ganz anderen Problem, sagt Ernst. Die tierischen Einwanderer entwickelten schnell Überlebensstrategien. "Die Kerlchen sind extrem clever." Dann aber hätten heimische Arten nichts zu lachen. Der Kleinbär vergreift sich an Gelegen von brütenden Vögeln, er kann aber auch Niederwild bedrohen. "Rebhühner und Fasane kommen bei uns ja kaum noch vor - und jetzt kommt noch ein Raubtier mehr hinzu, dass die Bestände zu dezimieren droht."
Uhu auf der Speisekarte
Vor einigen Jahren bemerkte ein Imker im Raum Stadtsteinach, dass einer seiner Stöcke geplündert worden war. Schon damals kam ein Waschbär als möglicher Verursacher in Betracht. In anderen Bundesländern wie etwa Thüringen melden Naturschützer, dass die Bären mittlerweile jeden fünften Horst des Uhus erobert und dessen Population stark dezimiert haben. In Hessen und Mecklenburg-Vorpommern ist der Waschbär in den Status einer Plage erhoben worden, weil er in großer Zahl wie marodierende Banden die Vorstädte aufsucht und auf der Suche nach Futter angeblich Zwergkaninchen und sogar Schildkröten nicht verschmäht.
Laut Bundesjagdgesetz darf der Bär hier zu Lande geschossen werden - und zwar ganzjährig, ohne Schonzeit. Auch Kreisjagdberater Clemens Ulbrich möchte den pelzigen Gesellen nicht in großer Zahl hier im Landkreis haben. "Der Waschbär ist ein Neozoon, also eine Art, die ursprünglich nicht in unsere Umwelt gehört. Aus Sicht des Naturschutzes ist er eine Spezies, die in harter Konkurrenz zu heimischen Arten steht und diese zu verdrängen droht, da er hier so gut wie keine natürlichen Feinde hat."
Der Ködnitzer würde im Ernstfall den Waschbären im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bejagen. Erlegt hat, er wie er sagt, noch keinen. "Die Tiere sind in ihrem Revier fast nur nachts unterwegs. Da ist es Zufall, wenn man einen zu Gesicht bekommt. Wenn, dann würde ich die Elterntiere schonen und nur das Jungtier schießen."
Dass sich die Einwanderer aus Nordamerika auch in Oberfranken offenbar prächtig vermehren, zeigen die so genannten Streckenzahlen der vergangenen Jahre, die Heinrich Rauh von der Unteren Jagdbehörde vorliegen.
Der Experte spricht von so genannten Abgängen: Das bedeutet, dass aus der Auflistung nicht hervorgeht, ob ein Tier geschossen, gefangen oder beispielsweise von einem Auto überfahren wurde. "Im Jagdjahr 2012/2013 vermerkt die Statistik 48 Exemplare, in den Vorjahren waren es 32 beziehungsweise 27." Zum Vergleich die Zahlen für den Kreis Kulmbach: Zwischen April 2012 und März 2013 ist ein Abgang verzeichnet, für die Jahre zuvor sind es maximal zwei Exemplare, die aufgeführt sind.
Geringe Zahlen, betrachtet man die Daten des Deutschen Jagdschutzverbands für das gesamte Bundesgebiet: Waren es demnach vor zehn Jahren gerade mal 200 dieser Tiere, die Jägern vor die Flinte kamen, stieg die Zahl erlegter Waschbären im Jahr 2011/2012 auf über 71000.
Die Bejagung des Waschbären ist keine leichte Übung, denn die Tiere sind gute Baum-Kletterer. Deswegen bereiten ihnen auch Mauern kaum Probleme. Aus anderen fränkischen Regionen sind Fälle bekannt, wo sich Tiere durch Fenster und Kamine gezwängt und so ins Haus eindrangen, wo sie auf der Suche nach Nahrung großen Schaden anrichteten. Vor allem Besitzer von Katzen klagen über den unerwünschten Besucher - Katzenfutter gehört nämlich zur Lieblingskost. In Gemünden am Main haben Tierhalter schon umzäunte Futterplätze für ihre Stubentiger eingerichtet.
Andere Hausbesitzer wunderten sich über nächtliches Trappeln im Dachboden. Kein Marder, sondern ein Waschbär war durch eine gekippte Dachluke eingestiegen und hatte sich im Boden eingenistet. Dort zerstörte er die Isolierung.
Aus Zwei mach Viele: Wie der Waschbär Deutschland eroberte
Namensherleitung: Wenn ein Waschbär (lateinisch Procyon lotor) im Wasser nach Nahrung sucht, dann scheint es, als ob er mit seinen langen Fingern der Vorderpfoten seine Beute wäscht. Ursprünglich stammt das Tier aus Nordamerika. Er erreicht eine Körperlänge bis 70 Zentimeter und ein Gewicht von rund zehn Kilogramm.
Görings Schuld? Dass der Waschbär in Deutschland in die freie Wildbahn gelangte, daran trägt angeblich auch Hermann Göring Anteil: Die Nazi-Größe war passionierter Jäger und soll 1934 zwei Paare am hessischen Edersee ausgesetzt haben, um die heimische Tierwelt zu bereichern. Etwa zur gleichen Zeit soll in Berlin ein Waschbär-Pärchen aus einer Berliner Zucht ausgebüxt sein. Laut Schätzungen ist der Waschbär-Bestand in Deutschland unterdessen auf etwa eine halbe Million Tiere angewachsen.
Nicht anfüttern! Einen Waschbär in Pflege nehmen musste Tierheim-Leiterin Susanne Schilling noch nicht. Sie weiß aber um das Knuddelpotenzial der Tiere - und die daraus resultierenden Folgen. "Wer sich Waschbären als Haustiere halten will, findet genügend Züchter, die Tiere vermitteln. Ich persönlich halte das für bedenklich, denn sobald diese putzigen Gesellen geschlechtsreif werden, können sie aggressiv reagieren und heftig beißen." Die Expertin warnt davor, umherstreunende Bären anzufüttern. "Sie haben ein sehr gutes Gedächtnis und kommen wieder - auch wenn man sie nicht mehr haben will. Dann können sie sich ziemlich rabiat Zutritt aufs Grundstück verschaffen."