Waffenkauf: Rüsten die Bürger aus Sorge auf?
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Mittwoch, 30. Dezember 2015
Wer das neue Jahr nicht mit Raketen begrüßen will, der kann mit sogenannten Schreckschusswaffen Farben und Funken in den Himmel malen. Doch scheint das nicht der einzige Grund für deutlich gestiegene Absatzzahlen. Steckt ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis dahinter?
Die Waffe sieht aus wie ein Revolver, davor geschraubt ein Aufsatz, einem Mini-Schalldämpfer nicht unähnlich. Darin verschwindet eine bronzefarbene Patrone. Der Schütze richtet den Lauf gen Himmel. Es knallt kurz - dann ein Funkenregen. Feuerwerk nach jedem Durchladen: Eine Schreckschusspistole macht es möglich.
Wer damit in der Silvesternacht - vom Balkon aus oder in Nachbars Garten - mit Sternenhagel und Glitzerfunken das neue Jahr begrüßen möchte, darf dies tun; allerdings benötigt er dafür seit April 2003 den kleinen Waffenschein. In Kulmbach gibt es den gegen eine einmalige Gebühr von 60 Euro (siehe auch Infobox). Das Verschießen spezieller Kartuschenmunition ist dann laut Gesetz auf "befriedetem Besitztum" und mit Genehmigung des Haus- oder Grundstücksbesitzers erlaubt.
Nach Auskunft des Landratsamts steigt gerade zum Jahreswechsel die Zahl der Anträge auf Erteilung des kleinen Waffenscheins.
Könnte ein Grund für die Zunahme in einer gestiegenen Furcht begründet liegen? Die Verkaufszahlen bundesweit belegen: Mehr Bürger als früher holen sich Schreckschusspistolen ins Haus, aber auch Abwehrstoffe wie Pfeffersprays und CS-Gas. Privatkunden erstehen, was an frei verkäuflichen Waffen und Verteidigungsmitteln angeboten wird. Ingo Meinhard vom Verband deutscher Büchsenmacher und Waffenhändler (VDB) erklärt: "Das persönliche Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung ist enorm gestiegen."
Der Absatz an frei verkäuflichen Verteidigungsmitteln habe sich demnach heuer im Schnitt verdoppelt, einige Geschäftsleute verkauften gar die vierfache Menge. Vor allem nach den Terroranschlägen von Paris gebe es mehr Menschen, die Waffengeschäfte aufsuchen und sich dort beraten lassen. "Die Leute erklären, sie würden unsicher fühlen", sagt Meinhard.
Ministerium bestätigt Zuwachs
Diese Entwicklung untermauern offizielle Zahlen. Das bayerische Innenministerium bestätigt einen Zuwachs bei der Erteilung der kleinen Waffenscheine. Ende Oktober 2015 gab es laut Statistik 46 690 solcher Berechtigungen - 3161 mehr als noch ein Jahr zuvor.Peter Schall, bayerischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, sagt zu dieser vermeintlichen Aufrüstung privater Haushalte: "Hier kann es durchaus sein, dass die Bürger glauben, sich gerade nachts mal wehren zu müssen. Es ist ja nun selbst auf dem Land so, dass Fremde ins Blickfeld rücken, gerade in Zeiten der Flüchtlingsströme, die flächenmäßig verteilt werden müssen."
Auch wenn die polizeilichen Statistiken nichts dafür hergeben, scheint das Sicherheitsgefühl bei manchem doch beeinträchtigt. Ursache dafür sind nach Meinung von Peter Schall die vielen bösartigen Mails und Einträge in sozialen Netzwerken, mit denen massiv Stimmung gegen die Flüchtlinge gemacht und Kriminalität herbei geschrieben werde. "Genau diese Gerüchte führen aber dazu, dass der Bürger glaubt, sich bewaffnen zu müssen", so Schall.
Es geht also um Angst. Die Leute fragen sich: Bin ich sicher? Fallzahlen von Einbrüchen und Überfällen machen die Menschen anscheinend nervöser. Offenbar gebe es in der Bevölkerung ein gesunkenes Sicherheitsgefühl und herrsche zunehmend der Eindruck, man müsse seinen Schutz selbst in die Hand nehmen. Die Polizeigewerkschaft warnt hier jedoch explizit vor jeglicher Art von Selbstjustiz.
Tierabwehr und Notwehr
Was den Umgang mit Schreckschussmunition angeht, so ist dieser gesetzlich geregelt. Pfefferspray etwa ist ausschließlich als Abwehrmittel gegen Tiere erlaubt, also beispielsweise bei der Attacke eines Hundes. Nur dann sind der Besitz und das Mitnehmen in der Öffentlichkeit erlaubt. CS- oder auch Tränengas darf in Notwehrsituationen verwendet werden, wenn kein anderes Abwehrmittel zur Verfügung steht.
Laut Paragraf 227 Bürgerliches Gesetzbuch ist eine Notwehrhandlung "ein gerechtfertigter Eingriff in die Rechtsgüter des Angreifers und damit kein strafbares Unrecht". Sämtliche Individualrechtsgüter, etwa die auf die geschützten Rechtsgüter Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum, werden davon abgedeckt.
CS-Sprays als Verkaufsrenner
Das bereits genannte CS-Gas-Spray zählt übrigens zu den meistverkauften Artikeln. 40 Milliliter gibt es für zehn Euro. 90 Prozent der Kunden sind Frauen. Für den Kauf, den Besitz und das Mitführen gilt in Deutschland ein Mindestalter von 14 Jahren. Laut Bundesverwaltungsamt sind 5,79 Millionen legale Waffen im Besitz von Privatpersonen und Vereinen im Waffenregister gespeichert - 290 000 mehr in nicht einmal drei Jahren.Das sagt der Gesetzgeber
Kleiner Waffenschein class="artFett"> Er gilt seit April 2003 und berechtigt zum Führen von Signal-, Reizstoff- und Schreckschusswaffen. Diese müssen allerdings mit dem PTB-Prüfzeichen versehen sein. Zum bloßen Erwerb einer Waffe mit PTB-Zeichen F genügt in Deutschland die Volljährigkeit, der Besitz ist erlaubnisfrei.
Eignungsprüfung Folgende Kriterien werden an den Antragsteller eines kleinen Waffenscheins gestellt: keine Vorstrafen (höchstens eine Freiheits-, Jugend- oder Geldstrafe von weniger als 60 Tagessätzen), eine fachgerechte Aufbewahrung der Waffen, Mindestalter 18 Jahre sowie keine Drogen- und Alkoholabhängigkeit.
Gefahren Eine Schreckschusswaffe kann aufgrund ihrer Bauart keine scharfe Munition (Projektile) verschießen - und dennoch besteht Verletzungsgefahr. Wird die Waffe nahe an der Haut abgefeuert, können Verbrennungen die Folge sein. Es gibt Berichte darüber, dass bei einem aufgesetzten Schuss direkt am Kopf Menschen an den Folgen der starken Druckentwicklung gestorben sind.