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Vulkanausbruch inklusive: Was Michael Arnold an Island fasziniert


Autor: Jochen Nützel

Thurnau, Donnerstag, 24. Sept. 2015

Der Thurnauer Michael Arnold hat vor 25 Jahren sein Herz an das Eiland unterm Polarkreis verloren. Vor allem beeindruckt hat den 54-Jährigen das Live-Erlebnis Vulkanausbruch.
Den Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull hat Michael Arnold im März 2010 live erlebt. Fotos: privat/Michael Arnold


Bei Michael Arnold gehen sogar die Uhren isländisch. Wobei: Derzeit stehen sie eher, zeigt doch der Reykjavik-Chronograf über der Tür seines Büros exakt dieselbe Zeit an wie der Thurnauer daneben, nämlich 22 Minuten vor zehn. War da nicht was? Anderer Breitengrad, Kontinentaldrift, Zeitverschiebung? "Ich weiß, es müssten zwei Stunden Unterschied sein", bekennt der Thurnauer, verweist aber auf ein Kuriosum, das die Zeitmesser verbindet: "Die beiden Uhren sind fast auf die Sekunde genau zur gleichen Zeit stehen geblieben." Daher also der Einklang. Island ist momentan zwei Stunden zurück (wegen der Sommerzeit bei uns), sonst hinkt es 60 Minuten hinterher.
Was die Lebensuhr des 54-Jährigen angeht, so tickt und schlägt die seit einem Vierteljahrhundert für das Eiland unterm Polarkreis. Eine Foto-Reise mit einem Uralt-Campingbus ist 1990 der Auslöser, Michael Arnold braucht Bildmaterial für eine Dia-Schau. Er kam, sah - und blieb hängen. Drei Monate verbringt er zwischen Fjorden, Gletschern, Seen und spärlicher Vegetation, seinen Sohn Sebastian im Schlepptau, damals ein Knirps von vier Jahren. Den hat das Virus auch erfasst. "Der ist mittlerweile genauso Island-bekloppt wie ich."
Michael Arnold lädt auf seinem Rechner eine Datenbank mit Aufnahmen seiner Reisen hoch. Ein kalbender Gletscher im Gegenlicht der untergehenden Sonne; ein Leuchturm, umspült von der Gischt; zwei turtelnde Papageitaucher, deren Schnäbel aussehen, als habe der Herrgott persönlich seinen Schöpfungsfarbkasten darüber ausgekippt.
Wer sich durch die Fotoreihen klickt, der bekommt einen Hauch von Ahnung, was einen Thurnauer dazu bringt, mindestens einmal im Jahr die mehr als 2000 Kilometer Distanz zurückzulegen. Michael Arnold bietet über seine Agentur "Ice-Zeit" geführte Reisen nach Island an. Wer sich ihm anschließt, der muss sich gefasst machen auf die Outdoor-Variante von Urlaub, schmutzige Finger und Seitenstechen inklusive. Man watet durch Flüsse mit Kneipp-Kur-Temperatur, turnt in Schluchten, vergräbt die Füße in Lavaerde, sieht das flirrende Polarlicht über dem Kopf und - mit besonders viel Glück - spürt hautnah die Magie eines aktiven Vulkans.
Jener unaussprechliche Asche-Puster namens Eyjafjallajökull, den viele in Deutschland im März des Jahres 2010 vor allem als Ursache für abgesagte Flüge kennen lernten, bescherte dem 54-Jährigen die, wie er sagt, unglaublichste Erfahrung überhaupt. "Du stehst auf Schnee bei minus 15 Grad, der Wind bläst dir in den Rücken. Aber du spürst in nicht einmal 300 Metern Entfernung diese Wärme, die von den Glutfontänen ausgeht. Der Boden vibriert, es riecht nach Asche und Schwefel." Natur so mächtig und ungezähmt: Das verleitet den urbanen Mitteleuropäer zu einer gewissen Demut.


So viele Einwohner wie Bonn

Nicht immer tut einer der in 30 Systeme eingeteilten aktiven Vulkane Michael Arnold und seinen Mitreisenden den Gefallen, zum richtigen Zeitpunkt auszubrechen. "Aber auch ohne Eruption sind diese Berge gigantisch schön." Mehr als 80 Prozent der Fläche Islands sind bedeckt von Gebirgszügen, von Wüsten, Gletschern, Wasser. Von den 330 000 Einwohnern (so viel hat die Stadt Bonn) leben 60 Prozent in der Hauptstadt Reykjavik. "Auch auf Island hält seit Jahren eine Landflucht an." Die Farmbetreiber hätten es schwer, Nachfolger zu finden.
Exportschlager Islands ist, wie fast zu erwarten, Fisch. Dorsch, Schellfisch, Saibling, der in Farmen gezüchtet wird. "Umgekehrt stehen die Isländer total auf made in Germany", weiß der Thurnauer. Jüngst hat in der Hauptstadt der Insel der erste deutsche Baumarkt eine Niederlassung eröffnet.


Nicht die deutschen Tugenden

Island ist trotz seiner vermeintlichen Randlage Mitglied des europäischen Wirtschaftsraums. "Allerdings darf man die Arbeitsmoral dort mit deutscher Gründlichkeit und Anstrengung nicht vergleichen", sagt Michael Arnold. Auch er habe lernen müssen, Abstriche bei klassischen Tugenden wie Ordnung, Organisation und Pünktlichkeit zu machen. "Ich nenne die Isländer die Südeuropäer Nordeuropas. Easy going ist der Lebensstil. Damit hatte ich, gebe ich zu, anfangs meine Schwierigkeiten. Mittlerweile genieße ich es fast ein wenig, mir für ein paar Wochen im Jahr diese scheinbar unperfekte Lebensart zu eigen zu machen."
Mit seinem "unperfekten" Isländisch kommt der 54-Jährige nicht immer weiter, aber mit Englisch. Manchmal geht es sogar auf Deutsch. "Ich traf vor Jahren auf einen Einheimischen, der meine Muttersprache ganz gut beherrschte. Er sagte mir, er habe das von Stefan gelernt." Stefan wer? "Stefan Derrick." Des Rätsels Lösung: Die Krimiserie war auf Island ein Hit. Da sich aber nur wenige Produzenten die Mühe machen, eine Extra-Tonspur Isländisch zu erstellen, laufen Filme oder Serien in der Originalsprache des Herkunftslandes und werden lediglich mit isländischen Untertiteln versehen.
Der Rest von Europa und der Welt nimmt von Island dann Notiz, wenn entweder ein Vulkan ausbricht, die Finanz- und Bankenkrise beinahe das letzte Island-Moos aufzehrt und den Staat an den Rand der Pleite drängt oder, wie jüngst geschehen, Sänger Justin Biber mit freiem Oberkörper ein Selfie vor einem Fjord postet. Die jungen Isländerinnen haben in ihrer Heldenverehrung sogar die Tankstelle und das Klo aufgesucht und fotografiert, auf dem der vermeintliche Star gesessen hat. Michael Arnold schüttelt den Kopf. "Aber an der Tankstelle war ich auch schon", tupft der Thurnauer hin und grinst von hier bis zum Nordkap.
In nicht viele Ecken Islands hat er noch nicht seinen Fuß hingesetzt oder wahlweise den Tourbus hingelenkt. Auf der Riesenlandkarte in seinem Thurnauer Büro fährt er mit dem Finger hin und her, markiert die Orte seines Lieblingsvulkans Hekla, deutet auf den Hvannadalshnúkur, die höchste Erhebung der Insel mit 2110 Metern (sie ist damit niedriger als die Zugspitze), umreißt die großen Gletscherschilde Langjökull, Vatnajökull und Mýrdalsjökull, auf die man mit Motorschlitten und Jeeps fahren kann, und landet schließlich beim Geothermalgebiet in Haukadalur im Süden mit seinen Geysiren. "Die Erdheizung in Island ist genial. Wenn ich dagegen meine jährliche Ölrechnung betrachte..."


Honeymoon unterm Polarlicht

Warm ums Herz wird auch der Dame aus Düsseldorf, die sich am Telefon über die Reisemöglichkeiten informiert. Die Eltern der Frau waren schon mit Michael Arnold auf Tour und so begeistert, dass die Tochter jetzt ihre Hochzeitsreise nach Island plant. Honeymoon unterm Polarlicht? Im Februar? Da ist es doch höchstens kalt und dunkel. Ob das die beiden größten Missverständnisse über Island sind? "Eine gute Frage", sagt Michael Arnold, lehnt sich in seinem Stuhl zurück, klopft mit dem Finger an die Wange. "Diese Insel ist nie dieselbe. Sie ist einem ständigen Wandel unterworfen und hat so viele Gesichter, die man gar nicht alle kennen kann, egal wie oft man schon dort gewesen ist."
Das ist es auch, was den Thurnauer immer wieder die Koffer packen lässt. Auch wenn er sich nicht vorstellen kann, eines Tages auszuwandern. "Nein, dafür fühle ich mich in Thurnau dann doch zu wohl und heimisch." Island ist ja auch nur einen Flugzeugwurf entfernt. Und kein Flecken der Welt könnte ihn verleiten, dem Eiland aus Lava und Eis untreu zu werden. "Naja", sagt er betont langsam, "also die Ecke Kamtschatka..."