Druckartikel: Von wegen vorbildlich

Von wegen vorbildlich


Autor: Jochen Nützel

Kulmbach, Freitag, 04. Juni 2021

Friedrich Mülln arbeitet undercover für die Soko Tierschutz, einer Aktivistengruppe. Sie hatte zusammen mit "Report Mainz" Aufnahmen aus dem Schlachthof veröffentlicht, die womöglich grobe Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zeigen.
Die TV-Aufnahmen bei "Report Mainz"  zeigen ein Schwein in der Betäubungsgondel. Laute Schreie voller Panik sind zu hören. Das Material stellte die Soko Tierschutz der ARD zur Verfügung.


Friedrich Mülln gehört zur "Soko Tierschutz" und deckt zusammen mit seinem Team Missstände beim Umgang mit Tieren auf. Die Soko hatte jüngst dem ARD-Magazin "Report Mainz" das Videomaterial aus der Schweinebetäubungs-Gondel im Kulmbacher Schlachthof zur Verfügung gestellt (siehe Seite 12). Wir haben uns mit dem Aktivisten darüber unterhalten, wie er auf die Einrichtung aufmerksam wurde, was es mit rechtlichen Konsequenzen seiner Tätigkeit auf sich hat - und warum er solche harten Bilder für wichtig hält.

Herr Mülln, Sie arbeiten bundesweit und decken Verstöße gegen das Tierschutzgesetz auf. Wie sind Sie auf den Kulmbacher Schlachthof aufmerksam geworden? Gab es Informationen aus Insiderkreisen?

Friedrich Mülln: Wir haben in der Tat in den vergangenen Jahren immer wieder Hinweise auf angebliche Probleme beim Schlachthof Kulmbach bekommen. Das waren in der Regel Dinge, die wir als weniger gravierend einstuften oder die sehr schwer zu beweisen waren. Nun aber kam hinzu: Die Einrichtung hatte sich jüngst als besonders vorbildlich geriert - dann weckt das natürlich unsere Aufmerksamkeit. Es gab im vergangenen Jahr Kritik an einigen Schlachthöfen, und just dazu erfolgte in den sozialen Netzwerken eine Stellungnahme der Stadt Kulmbach, dass es solche Dinge hier nicht gebe. Da waren wir dann doch neugierig geworden. Der Schlachthof in Kulmbach hat durch seine Kooperation mit dem Institut für Fleischforschung noch eine ganz besondere Bedeutung, was die Betäubung mit Kohlendioxid angeht: Wir gehen davon aus, dass Kulmbach vor Jahrzehnten aufgrund dieser Konstellation eine Keimzelle der umstrittenen Betäubungsart für die gesamte Republik war. Da geht man doch wenigstens davon aus, dass solche Modellprojekte gut funktionieren. Die Aufnahmen zeigen etwas anderes.

Also kein Hinweis aus dem näheren Umfeld oder gar von innen?

Wir hatten vor zwei Jahren eine Information über mögliche Verstöße bekommen, die aus dem Schlachthof direkt kommen musste, denn die Hinweise waren sehr präzise. Es ging damals um unsachgemäße Schlachtungen von Rindern. Wir müssen da genau prüfen, denn wir werden mittlerweile überschüttet mit solchen Verdachtsmeldungen, denen wir unmöglich allen nachgehen können. Wir brauchen auch Möglichkeiten, in die Einrichtungen reinzukommen, du kannst da nicht überall einfach reinmarschieren. Wir wollen das auch nicht.

Apropos Zugang: Diese Kamera wurde unmittelbar in der Gasgondel des Schlachthofs installiert, heimlich und vermutlich ohne Genehmigung. Wie steht es da mit möglichen gesetzlichen Konsequenzen?

Es waren versteckte Kameras, allerdings nicht von uns dort aufgestellt, sondern von Tierrechtsaktivisten, die uns das Material weiterleitet haben. Es ist der einzige Weg, wie man zeigen kann, was dort vor sich geht. Ich sage mal so: Wenn es dem Schlachthof um Transparenz ginge, könnte er ja eine eigene Webcam installieren, damit die Leute vor Ort mal sehen, wie die Tiere sterben.

Was die Strafbarkeit angeht: Das ist in Deutschland eine interessante Rechtslage. Inzwischen haben wir da ein gutes Standing bei der Justiz. In den USA könnte man für einen solchen Undercover-Einsatz unter Umständen mehrere Jahre ins Gefängnis wandern. Dort hat die Agrarlobby extra Gesetze dafür verabschieden lassen. Bei uns hingegen ist mir kein Fall bekannt, in dem ein Tierschutzaktivist für eine solche Handlung rechtskräftig verurteilt wurde. Auch ich bin schon angezeigt worden, unter anderem, weil ich in Ställen gefilmt habe.

Wonach richtet sich die Bewertung?

Die Staatsanwaltschaft geht hier einem höchstrichterlichen Urteil nach: Man spricht hier von einem rechtfertigenden Notstand. Zur Erläuterung: Das ist derselbe Grundsatz, der gilt, wenn jemand einen Hund aus einem überhitzten fremden Auto rettet und dafür die Scheibe einschlägt, also eigentlich Sachbeschädigung begeht. Die gezeigte extreme Misshandlung eines Schweins mittels Elek­troschocker rechtfertigt das ebenfalls. Ich muss sagen: Ich habe wirklich schon viel an tierverachtendem Verhalten gesehen, aber das Tun dieses Mitarbeiters habe ich bis dato so ganz selten erlebt.

Wäre da nicht die Behörde in der Pflicht?

Natürlich. Der Schlachthof Kulmbach ist groß genug, um dort regelmäßig einen Veterinär vor Ort zu haben. Immerhin stehen wir mit der KBLV, der Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen, in Kontakt deswegen.

Sie haben Anzeige erstattet.

Ja. Einige haben uns gefragt: Was wollt ihr gegen CO2-Betäubung vorgehen, die ist in Deutschland doch legal. Das stimmt, aber wir sehen hier einen anderen Ansatz: Die Legebatterien mit 25 Tieren pro Quadratmeter waren über 40 Jahre auch legal - bis ein Richter nach diversen Aufdeckungen mal aufgewacht ist und gesagt hat: Das ist verfassungswidrig. Es gibt ein großes Vollzugsdefizit bei uns. Staatsanwaltschaften ahnden Tierquälerei oft nicht, auch wenn sie davon Kenntnis haben und es eindeutige Beweise gibt. Zum anderen haben wir ein großes Problem mit dem, was ich institutionalisierte Tierquälerei nenne. Das heißt: Wer seinem Kalb die Hörner ausbrennt oder einem Schwein nicht mal 0,75 Quadratmeter Platz bietet, handelt zwar rechtswidrig, wird aber von der Lobby geschützt und bisweilen leider auch von Parteien und dem Gesetzgeber. Dagegen gehen wir juristisch an. Das gilt im Kulmbacher Fall für die Betäubung mit CO2 allgemein, aber auch für den speziellen und offenkundig strafrelevanten Umgang eines Mitarbeiters mit einem Tier.

Was droht dieser Person?

In Deutschland muss er so gut wie nichts befürchten. Selbst für die grausamsten Tierschutzverbrechen kamen nie mehr als ein paar 1000 Euro Strafe raus. Tierschutzrecht ist häufig ein Recht dritter Klasse, wenn es überhaupt zur Anwendung kommt. Es wäre mal ein Signal, wenn jemand, der einem Lebewesen, das Todesangst hat, ins Gesicht tritt und danach noch Stromschläge versetzt, für ein paar Monate eingebuchtet würde.