Von Kulmbach nach Coburg: Folgenreiches Geleit im Jahr 1562
Autor: Redaktion
Mainleus, Mittwoch, 25. Oktober 2017
Einen Blick ins Staatsarchiv gewährt aktuell eine Ausstellung in München. Darin sind auch unbekannte Schätze aus der Region.
Die Ausstellung "Original! Pracht und Vielfalt aus den Staatlichen Archiven Bayerns" ist aktuell in München zu sehen. Was im Hauptstaatsarchiv an Kulturschätzen aus allen Regionen Bayerns präsentiert wird, bekommt man nicht alle Tage zu sehen.
Insgesamt verwahren die Staatlichen Archive Bayerns rund 46 Millionen Archivalien: Urkunden, Amtsbücher, Akten, Pläne und Karten, Plakate und Fotografien. Auch die neuen Medien und digitales Schriftgut gehören dazu.
Die 126 Ausstellungsstücke bilden also nur einen Bruchteil des gesamten Bestandes. Sie stammen aus der Zeit Karls des Großen bis in unsere unmittelbare Gegenwart. Ziel war es, herausragende, aber auch unscheinbare Originale zu zeigen, die typisch sind für unsere Rechtsgeschichte, die zeigen auf welcher Grundlage sich unser modernes Rechtsleben entwickelt hat.
In neuen Vitrinen optimal beleuchtet, entfaltet sich die ganze Faszination der Originale, ihre unnachahmliche Aura.
Wer die Ausstellungsräume in der Ludwigstraße 14 betritt, sieht als Erstes eine Urkunde Kaiser Karls des Großen aus dem Jahr 807, ein Pergament mit beeindruckendem Wachssiegel, das eine Gemme umschließt. Karl der Große bestätigte einen Tauschhandel, der damit für beide Seiten Rechtsverbindlichkeit erhielt.
Ein Prachtstück der Ausstellung ist natürlich die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. von 1356 mit dem auffälligen goldenen Siegel. Der Kaiser regelte damit die Wahl des deutschen Königs mit dem Anspruch auf die römisch-deutsche Kaiserwürde neu. Sieben Kurfürsten, drei geistliche und vier weltliche, sollten von nun an in einer Mehrheitsentscheidung die Wahl vornehmen. Die "Goldene Bulle" - das Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation - hatte Bestand bis zum Jahr 1806.
Dagegen nimmt sich die bayerische Verfassung von 1946 bescheiden aus. Aber die vergilbten, maschinenbeschriebenen Blätter haben es in sich. Dabei ist nicht das Original zu sehen, das ist verschollen, sondern der umso kostbarere Entwurf der im Dezember 1946 angenommenen Verfassung. Der Entwurf stammt von Ministerpräsident Wilhelm Hoegner, der von der amerikanischen Militärregierung mit der Vorbereitung einer Verfassung gebenden Versammlung beauftragt worden war.
Ob spektakulär oder unscheinbar, entscheidend ist die Bedeutung, die ein Dokument entwickelt. Es kann auch einfach ein Zettel mit dem Wort "Nein" sein. Solch ein an Schlichtheit nicht zu überbietender Stimmzettel entschied 1919 über den Beitritt des Freistaats Coburg zu Thüringen. Wer den Zettel mit dem Wörtchen "Nein" abgab, war für den Beitritt zu Bayern, meinte also "Ja". Alle neun Archive Bayerns haben eine Auswahl ihrer wirkmächtigsten Stücke ausgeliehen.
Eine Entdeckung ist die 455 Jahre alte Geleitstraßenkarte aus dem Staatsarchiv Coburg. Sie sieht so zart und frisch aus, wie soeben gefertigt. Johannes Haslauer, inzwischen stellvertretender Archivleiter in Bamberg, hat sie für die Münchner Ausstellung ausgewählt:
"Die Geleitstraßenkarte von Coburg nach Kulmbach und Bamberg von 1562 ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Einmal ist sie die älteste kolorierte Landschaftsdarstellung im Staatsarchiv Coburg. Zum anderen dokumentiert sich da im Umfeld eines Rechtsfalles eine Landschaftsdarstellung. Die Karte reflektiert einen Verwaltungsakt und ist an eine konkrete Entstehungsgeschichte gebunden."
Ausgangspunkt für den Rechtsstreit war die Grenze am Zentbach in Schwarzach. Dorothea Susanna Herzogin von Sachsen-Weimar, gerade einmal 17 ½ Jahre alt, reiste am 10. April 1562 von Kulmbach zurück in die sächsische Amtsstadt Coburg. Erst anderthalb Jahre zuvor hatte die pfälzische Kurfürstentochter den 14 Jahre älteren Johann Wilhelm Herzog von Sachsen-Weimar geheiratet.
Ihr Mann gehörte mit seinem Bruder Johann Friedrich dem Mittleren der ernestinischen Linie an, die für die reformatorische Lehre Martin Luthers eintrat. Ihr Glaubensbekenntnis mag bei dem folgenden Streit eine Rolle gespielt haben.
Am Zentbach bei Schwarzach, der Grenze des Markgrafentums Kulmbach zum Hochstift Bamberg, wurde die junge Herzogin, wie es ihr gebührte, von 40 Reitern der ernestinischen Herzöge von Sachsen empfangen. Sie verabschiedete sich von den zwei markgräflichen Geleitleuten, die sie gebracht hatten, und wurde auf der anderen Seite des Baches willkommen geheißen.
Wenige Tage nach der Durchreise gab es jedoch Ärger. Der Bamberger Fürstbischof beklagte sich über die Verletzung seiner Hoheitsrechte, die Reisenden hätten sein Territorium ohne seine Erlaubnis und ohne sein Geleit durchquert.
Die sächsischen Herzöge ließen daraufhin Zeugen den Verlauf dieser und vorheriger Reisen zu Protokoll geben. Ergebnis: Schon immer habe der Wechsel des Geleits in Schwarzach stattgefunden. Noch nie habe man dem Bamberger Bischof ein Geleitrecht auf der Strecke nach Coburg zugestanden. Ältere Quellen, die Trübenbach als sächsische Geleitgrenze nannten, wurden im Verfahren ignoriert. Zur weiteren Klärung und weil sie hinsichtlich der Orte etwas unkundig seien, regten die herzoglichen Räte im Mai 1562 an, der Coburger Amtmann möge eine Karte für den Akt anfertigen lassen.
Daraufhin aquarellierte ein unbekannter Kartograph, der ein Künstler gewesen sein muss, mehrere Blätter im Folioformat. Sorgfältig sind Bäume und Sträucher erst hell, dann dunkel-grün hingetupft, die hügelige Landschaft erscheint in Ockerfarben und der Main in hellem graublau. Häuser charakterisiert der Kartograph mit feinem, schwarzen Federstrich und rot kolorierten Hausdächern.
Die Darstellung ist vereinfachend, alle wesentlichen Wegemarken auf der Strecke von Kulmbach bis Coburg sind jedoch wiederzuerkennen. Schließlich wurden die Blätter zu einer fragilen Karte von mehr als einem Meter Länge aneinandergeklebt. Als sei sie erst jüngst entstanden und nicht vor mehr als 400 Jahren, erkennt man die Plassenburg, die Stadt Kulmbach, die Burg Wernstein, den Main, die Schwarzacher Kirche, Burgkunstadt und so weiter die aufgesuchten Orte bis Coburg.
Die in alten Verzeichnissen als Geleitgrenze erwähnte Feldmarter bei Trübenbach ist ebenfalls eingezeichnet. Der Kartograph stellte noch eine zweite Geleitstrecke dar, die über die Mainbrücke bei Lichtenfels in die Stadt Bamberg führt. Über dem Horizont stehen die Hoheitsgebiete: marggrevisch und bambergisch. Die Geleitansprüche überschnitten sich jedoch bei beiden Routen.
Johannes Haslauer: "Die Karte war zwar bekannt, aber ihr Hintergrund wurde erst für die Ausstellung ,Original' im Münchner Hauptstaatsarchiv näher beleuchtet. Die Geografie ist stark vereinfacht, aus unserer heutigen Sicht verfälscht. Es ist keine topografische Karte, sondern der Versuch, Landschaft auf Papier zu bringen. Die Orte waren die Wegmarken, dadurch ergab sich der Straßenverlauf. Der Straßenverlauf ist nicht das Entscheidende bei dieser Karte, sondern die passierten Orte. Die Geleitstraßenkarte hat keine Weltpolitik gemacht, ist nicht aus einem prominenten Ereignis heraus entstanden, aber ein kleiner Baustein, wie sich das Rechtsleben im Alltag entwickelt hat. Heutzutage gibt es zwar keine Geleitstraßen mehr, aber heute haben wir Bundes- und Landstraßen, um die sich der Staat kümmert. Hier können wir die rechtliche Tradition nachvollziehen."
Die Geleitgrenze zwischen markgräflichem und fürstbischöflichem Gebiet am Zentbach hatte im 18. Jahrhundert ihren Wert als Einnahmequelle verloren, der Bach blieb aber die Grenze. Das wusste auch Karl Erdmann von Künßberg. Als reichsunmittelbarer Freiherr hatte er von einem alten Hoheitsrecht Gebrauch gemacht, für den "Kirchweihfrieden" in seiner Herrschaft Wernstein zu sorgen.
Dieses Recht gestand ihm die markgräfliche Verwaltung aber nicht zu. Im Juli 1752 kam es zwischen der Künßbergschen Hausarmee und den Markgräfler Soldaten zur "Kirchweihschlacht von Veitlahm", mit einem Toten auf Seiten der Kulmbacher. Um der drohenden Verhaftung zu entgehen, zog sich Karl Erdmann nach Schloss Schmeilsdorf zurück, etwa hundert Meter jenseits des Zentbachs auf Bamberger Territorium. Es nutzte ihm aber nichts. Ein Husarenkommando überquerte die Bachgrenze nach Schmeilsdorf und führte ihn nach Kulmbach in den Arrest. Dieser Streitfall, der den jungen Baron noch teuer zu stehen kam, wurde im Familienarchiv in Wernstein durch den Historiker Erich Freiherrn von Guttenberg (1888-1952) entdeckt und beschrieben. Das Wernsteiner Familienarchiv befindet sich inzwischen im Staatsarchiv Bamberg, wo es der Forschung zugänglich gemacht wird.
Minister Spaenle betonte bei der Eröffnung der Ausstellung in München: "Bayern ist ein Kulturstaat. Seine kulturellen Schätze wollen wir schützen und bewahren." Dazu gehört auch der zukunftsorientierte Aufbau eines Digitalen Archivs. Häufig genutzte Bestände stehen bereits jetzt digital im Internet zur Verfügung, was die Benutzung ungeheuer erleichtert.
Die Archive Bayerns sind das Gedächtnis von Jahrhunderten. Ihr identitätsstiftender Wert kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die persönliche Begegnung mit einer Vielfalt an Originalen wird empfohlen, ob mit oder ohne Geleit auf der Reiseroute.
Anita Eichholz
Die Ausstellung
"Original! Pracht und Vielfalt aus den Staatlichen Archiven Bayerns. Eine Ausstellung im Bayerischen Hauptstaatsarchiv", Schönfeldstraße 5, 80539 München (Eingang Ludwigstraße 14). Die Ausstellung läuft noch bis 5. Dezember 2017. Führungen jeden Dienstag (17 Uhr), Anmeldung für Gruppen: Telefon: 089-28638-2575 oder per E-Mail unter poststelle@bayhsta.bayern.de.