Viel zu schade fürs Klo
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Freitag, 29. April 2022
Phosphor als Dünger ist endlich und auch wegen des Ukrainekriegs schwerer zu bekommen. Daher wird über die Rückgewinnung aus menschlichem Urin nachgedacht. Igitt oder clever? Die Stadtwerke haben bereits ein Konzept dazu.
Man stelle sich folgende Situation vor: Ein Tankwagen hält vor der Realschule, dann wird ein Schlauch verlegt. Der reicht bis zur Toilettenanlage und saugt aus einem Bottich den gesammelten Urin der Schüler ab. Die Ladung wird zu einer Streuobstwiese befördert und platscht dort in ringförmig ausgehobenen Gräben um die Gehölze. - Was nach einem schlechten Drehbuch zu einem geschmacklosen Film klingt, ist in Chinas Städten gelebte Realität und passiert genau so. Das alles dient einem einzigen großen Zweck: Dünger sparen.
Phosphor ist das Zauberwort. Ohne diesen Stoff kommt die moderne Landwirtschaft nicht aus, gibt es praktisch kein Leben (siehe unten). Aber der Stoff, aus dem die hohen Ernteerträge sind, ist begrenzt. Und jetzt, da Russland - mit geschätzt 500 Millionen Tonnen Phosphor-Reserven unter den Top 12 der Lagerstätten weltweit - auf unbestimmte Zeit als wichtiger Exporteur wegfällt, braucht es Alternativen. Deswegen lautet in Forscherkreisen die Devise: nicht neu abbauen, sondern recyceln. Und im Urin des Menschen lagert ein Schatz, der nur gehoben werden muss.
Das weiß auch Stephan Pröschold, Leiter der Stadtwerke. "In der Klärschlammverordnung von 2017 sind dezidierte Vorgaben zur Rückgewinnung von Phosphor aus dem Abwasser enthalten. Danach muss bis spätestens 2029 dieser Phosphor in vorgeschriebener Menge rückgewonnen werden."
Wie das geht? Den Entsorgern ist bis nächstes Jahr aufgetragen, Konzepte vorzulegen, die beschreiben, wie dies für ihre Anlage erfolgen wird. Die Stadtwerke haben dazu ein Ingenieurbüro mit einer Studie beauftragt. "Derzeit werden zwei Verfahren zur Phosphorrückgewinnung verfolgt: eines gewinnt den Stoff aus der Nassphase und parallel zur Abwasserreinigung, das andere aus der Klärschlamm-Asche nach der Verbrennung." Beides habe wesentliche Einflüsse auf Abläufe in der Kläranlage.
Ob die Kosten steigen?
Bedeutete das höhere Kosten für die Stadtwerke und damit die Bürger? "Da selbst die Verfahren noch nicht endgültig feststehen, ist auch keine belastbare Aussage über die Kosten möglich. Gleiches gilt für die erzielbaren Einnahmen, da diese wiederum davon abhängig sind, in welcher Reinheit der Phosphor gewonnen wird." Pröschold verhehlt aber nicht, dass in der Entsorgungsbranche Zweifel bestünden, ob der Aufwand gerechtfertigt ist. "Vielleicht wäre es einfacher und günstiger, den Phosphorverbrauch bereits beim Einsatz zu reduzieren."
Fest steht: Die Abfallklärschlammverordnung sieht ab Januar 2029 vor, in Kläranlagen über 50.000 Einwohnerwerten solche Klärschlämme mit einem P-Gehalt über 20 Gramm pro Kilogramm Trockenmasse nicht mehr in Müll- oder Zementheizkraftwerken zu verfeuern.
In der Kulmbacher Kläranlage soll, so Pröschold, eine stufenweise Abreicherung des Phosphatgehaltes erfolgen. Dafür benötigt wird zunächst die Installation einer Schlamm-Hydrolyse. "Hierbei erfolgt ein thermisch-chemischer Aufschluss des Belebtschlamms aus der biologischen Reinigungsstufe. Dadurch wird zusätzlicher Kohlenstoff und biologisch gebundener Phosphor freigesetzt." Letzterer werde in einem zweiten Schritt über eine chemische Fällung als Struvit-Salz aus dem Kreislauf gewonnen.