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Vergewaltigungsprozess: Zeuge ignoriert das Gericht


Autor: Stephan Tiroch

Kulmbach, Freitag, 08. April 2016

In dem komplizierten Strafverfahren fahndet die Polizei nach dem 23-jährigen Sohn der Hauptbelastungszeugin.
Die Strafkammer im Missbrauchsprozess am Landgericht Bayreuth - von links: Beisitzer Yves Döll, Vorsitzender Michael Eckstein und Beisitzer Reinhard Schwarz - lässt nach einem Zeugen fahnden, der gestern seine Vorladung ignoriert hat; vorne Diplom-Psychologin Gabriele Drexler-Meyer aus Nürnberg. Foto: Stephan Tiroch


Diese Richter sind keine Unmenschen, und der Vorsitzende der 1. Großen Strafkammer schon gleich gar nicht. Michael Eckstein glättet die Wogen, wenn sich Verteidiger und Nebenkläger-Vertreter oder Staatsanwalt in die Haare geraten, und hat für vieles Verständnis. Aber wenn ein wichtiger Zeuge im Vergewaltigungsprozess vor dem Landgericht Bayreuth seine Vorladung einfach ignoriert, dann hört der Spaß auf.


Ersatzweise fünf Tage Haft

"200 Euro Ordnungsgeld, ersatzweise fünf Tage Haft und sofortige Vorführung", ordnet Eckstein an. Gleichzeitig schickt er zwei Polizeistreifen los, die den jungen Mann suchen sollen.

Bei dem 23-Jährigen handelt es sich um den Sohn der Hauptbelastungszeugin, die ihren Vater der mehrfachen Vergewaltigung bezichtigt.
Der 71-jährige Angeklagte soll außerdem zwei Enkelinnen missbraucht und sich an seiner Ex-Frau vergangenen haben.

Der Enkel, der das Gericht am Freitag unentschuldigt warten lässt, hat bisher von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, sich aber vor einer Woche wieder selbst ins Spiel gebracht. Über den Nebenkläger-Beistand seiner Mutter, Rechtsanwalt Frank K. Peter aus Worms, lässt er ausrichten, dass das Gericht seine Aussage bei der Polizei verwerten dürfe.


Woher der Sinneswandel?

Bevor dazu die damalige Ermittlungsbeamtin befragt worden wäre, hätte die Strafkammer von dem jungen Mann wissen wollen, woher der Sinneswandel kommt. Und der Zeuge wäre belehrt worden, welche Folgen eine Falschaussage hat.

Was hat er bei der Polizei zu Protokoll gegeben? Hat er auch - wie die vier Frauen der Familie - den Patriarchen belastet? Dazu erfahren wir am Freitag erst mal nichts. Der Zeuge ist nicht aufzutreiben. Die Polizei hätte für ihn Taxi gespielt. "Eine Unverschämtheit, der Ladung des Gerichts nicht Folge zu leisten", meint Verteidiger Johann Schwenn aus Hamburg.

Der Vorsitzende versucht im Gerichtssaal, den jungen Mann anzurufen. Auf der Handynummer rührt sich nichts. Der Zeuge habe vermutlich kein Mobiltelefon, sagt Rechtsanwalt Peter. Was den Richter sehr verwundert: "Kann er überhaupt ohne Handy leben?" Die Fahndung nach dem Zeugen läuft jedenfalls weiter. "Er muss hier erscheinen", betont Eckstein.

Auch die Befragung der jüngeren Enkelin des Angeklagten bringt keinen Erkenntnisgewinn. Ihre Aussage "Nö, da war nix" gegenüber ihrer älteren Schwester sei so gemeint gewesen, dass sie selbst - im Gegensatz zu ihrer Mutter - nicht vergewaltigt worden sei, erklärt die Zwanzigjährige.


"Ständig entsicherte Waffe"

Erst am Ende wird es etwas lebhafter. Der Verteidiger will die Hauptbelastungszeugin erneut befragen - zu einer E-Mail, die sie an die Steuerberaterkammer Westfalen-Lippe geschrieben hat. Darin teilt sie laut Schwenn mit, einem Steuerberater, der auch für den angeklagten Unternehmer tätig ist, "wegen Strafverfahren im Sexualbereich" das Mandat entzogen zu haben. Sie habe als Gesellschafterin des Unternehmens an Unterlagen herankommen wollen, die ihr der Steuerberater nicht geben dürfe. "Das belegt abermals die Hemmungslosigkeit der Nebenklägerin, mit der sie ihre wirtschaftlichen Interessen verfolgt. Das Thema Sexualität führt sie als ständig entsicherte Waffe mit sich", so Schwenn. Anwalt Peter hält sofort dagegen: "Wenn hier einer mit entsicherter Waffe unterwegs war, dann der Angeklagte." Er allein verfolge auch wirtschaftliche Interessen.

Der Prozess wird am 25. April fortgesetzt.