Vergewaltigungsprozess Bayreuth: Falschaussage nicht ausgeschlossen
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Mittwoch, 30. März 2016
Im Bayreuther Mammutverfahren geht es um die Frage, ob die Hauptbelastungszeugin glaubwürdig ist oder nicht.
"Keine Fragen." Rechtsanwalt Johann Schwenn hat gehört, was er hören wollte. Bei diesem Gutachten kann der Verteidiger nicht meckern. Denn die psychologische Sachverständige Gabriele Drexler-Meyer bescheinigt der Hauptbelastungszeugin im Bayreuther Vergewaltigungsprozess weder Glaubwürdigkeit noch Unglaubwürdigkeit. Sie stellt fest, dass falsche oder belastende Angaben mit aussagepsychologischen Methoden nicht ausgeschlossen werden könnten.
In dem Mammutprozess, der schon seit September andauert, geht es unter anderem darum, dass der 71-Jährige Angeklagte seine Tochter sexuell missbraucht und vergewaltigt haben soll. Zeugen dafür oder Beweise wie DNA-Spuren gibt es nicht. Die Verteidigung bezeichnet die Vorwürfe als erfunden und als Intrige. In der Gesamtschau aller Umstände spielt daher das Glaubwürdigkeitsgutachten eine große Rolle.
84 Seiten Gutachten
Die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Bayreuth hört gestern die Psychologin aus Nürnberg, die ihr 84-seitiges Gutachten vorlegt. Sie muss prüfen, ob die Angaben der Hauptbelastungszeugin konstruiert und erfunden sein könnten.Laut Psychologin handelt es sich bei der Tochter des Angeklagten um eine außergewöhnlich gut vorbereitete Zeugin. Die 48-Jährige habe überdurchschnittliche verbale Fähigkeiten und hätte sich durch die fortlaufende psychotherapeutische Behandlung, durch die Lektüre einschlägiger Literatur, durch die intensive Betreuung der Opferhilfeorganisation Weißer Ring und durch ihre Teilnahme an einer Schreibwerkstatt ("um mir mal alles von der Seele zu schreiben") spezifische Kenntnisse aneignen können.
Echt oder angelernt?
Fazit von Drexler-Meyer: "Man kann hier keine Aussagen mehr treffen, ob es sich um echte Erlebnisse handelt oder um angelerntes Wissen. Es gibt keine wissenschaftliche Untersuchungsmethode, die man anwenden könnte, wenn man auf einen derart trainierten Zeugen trifft."Was der Gutachterin aber aufgefallen ist: Die Zeugin betone ihre völlige Hilflosigkeit und ihre Opferrolle. Ihr Vater werde stereotyp als "Tier" oder "Teufel" bezeichnet. Im Widerspruch zu ihrer sozialen Kompetenz und ihrer Fähigkeit, strategisch zu handeln, stehe die Vorstellung, dass sie sich Hilfe von anderen erwartet hätte.
Was die Gutachterin noch verwundert: Die Tochter des Angeklagten berichte von jahrzehntelangem Inzest. Dennoch habe sie keine Vermeidungsstrategie entwickelt, um den Nachstellungen zu entgehen. Korfu, Fuerteventura oder Kreuzfahrt - sie fährt bei gemeinsamen Urlauben mit. Man trifft sich zum Shoppen in München, speist im "Tantris" und bei "Käfer" - alles Gelegenheiten, bei denen es zu Übergriffen gekommen sein soll und bei denen auch wieder Übergriffe zu erwarten sind.
Gedächtnispsychologisch besonders auffällig sei die Tatsache, dass die Zeugin bei der Polizei die angeblichen Übergriffe mehrmals mit wirtschaftlicher Abhängigkeit in Verbindung gebracht hat. Abweichend dazu habe sie finanzielle Zusammenhänge beim Ermittlungsrichter und in der Hauptverhandlung in Abrede gestellt. Daher spricht Drexler-Meyer von einem "problematischen Befund". Eine zunehmende Belastungsintention und eine verfälschende Tendenz seien nicht auszuschließen.
Weitere Ungereimtheiten
Die Sachverständige spricht weitere Ungereimtheiten an. Trotz der angeblich massiven sexuellen Gewalt habe die Zeugin erklärt, dass ihr Sexualleben nicht beeinträchtigt gewesen sei. Keine schlüssige Antwort habe sie auf die Frage einer Polizeibeamtin gewusst: Wie halten Sie es in dem Haus aus? Dort, wo mehrere Übergriffe stattgefunden haben sollen. Oder: Warum hat sie bei den Begegnungen mit ihrem Vater immer wieder Kleider getragen? Auch von der Polizei sei sie gefragt worden, wieso sie keine Hosen angezogen habe, um sich zu schützen.
Zeitplan geplatzt
Geplatzt ist der Zeitplan des Gerichts: keine Urteilsverkündung am 8. April. Das Verfahren - gestern war der 30. Verhandlungstag - wird sich mit Sicherheit bis Ende Mai hinziehen. "Wir haben noch so viele Tage vor uns", meint Vorsitzender Richter Michael Eckstein.Offenbar zieht es das Gericht in Erwägung, das Tagebuch einer Enkelin kriminaltechnisch untersuchen zu lassen. Darin will die heute 26-Jährige den Missbrauch durch ihren Großvater verarbeitet haben. Die Aufzeichnungen sollen größtenteils aus dem Jahr 2006 stammen - also lange vor dem Prozess.
Die zeitliche Einordnung zweifelt der Verteidiger an. Nach seiner Einschätzung werde die chemische Analyse von Papier und Tinte ergeben, dass es sich bei der "Schreibleistung" um ein von der Enkelin selbst geschaffenes falsches Beweismittel aus der jüngeren Vergangenheit handelt.
Der Haken an der Geschichte: Laut Landeskriminalamt dauert so ein Gutachten mindestens sechs Wochen.