Verdächtiger trug Amulett mit Peggys Bild
Autor: Jochen Nützel
Lichtenberg, Dienstag, 03. Sept. 2013
Die Spur ist zwölf Jahre alt, aber offenbar wieder heiß: Die Staatsanwaltschaft Bayreuth ermittelt im Fall des verschwundenen Lichtenberger Mädchens Peggy gegen einen 29-Jährigen aus Halle.
Er war 17, als Peggy Knobloch verschwand an jenem 7. Mai 2001. Er kannte die Knoblochs bereits aus einer Zeit, als Susanne Knobloch mit ihrer Tochter noch in Halle wohnte. Er hatte auch später Kontakt zur Familie, als diese ins oberfränkische Lichtenberg (Landkreis Hof) gezogen war. Und: Er stand angeblich in einem sehr engen Verhältnis zur damals Neunjährigen, sei verschossen in sie gewesen. Dieser Mann, Holger E., ist heute 29 - und sitzt seit Februar eine sechsjährige Haftsrafe ab. Er hatte seine zweijährige Tochter missbraucht und Kinderpornografie verbreitet.
Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Bayreuth gegen den Hallenser zusätzlich im Fall Peggy. Die Spur ist nicht neu, aber mittlerweile offenbar wieder heiß. Schon 2001 hatte die damalige Sonderkommission II Holger E. befragt. Jüngst hat das Autorenduo Ina Jung und Christoph Schlemmer in ihrem Buch "Der Fall Peggy" Holger E. als Tatverdächtigen präsentiert.
"Es stimmt, dass wir in die Richtung des besagten Mannes aus Halle ermitteln", bestätigte der Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Potzel gestern auch Nachfrage. Es hätten sich - nicht nur aufgrund der Buchveröffentlichung - zusätzliche Hinweise ergeben. Laut Potzel aber lägen gegen mehrere Personen Verdachtsmomente vor, denen nachgegangen werde.
Ein Verdächtiger scheidet unterdessen wohl aus: Robert E., auf dessem Privatgrundstück in Lichtenberg die Polizei im April vier Tage lang nach Peggys sterblichen Überresten graben ließ. Es wurden zwar Knochenstücke gefunden - doch sie stammen nachweislich nicht von ihr. Die Staatsanwaltschaft wird die Untersuchungen gegen den Mann in Kürze einstellen.
Mehr als 120 Zeugen gehört
Die Behörde in Bayreuth ist seit einem Jahr zuständig für den Fall Peggy. Staatsanwalt Potzel ist seit Mai der neue Leiter. "Ich kenne die Vorgeschichte zu diesem Verbrechen auch nur aus den Medien. Es sind aber bereits über 120 Zeugen von unserer Behörde dazu gehört worden."
Dies geschah unter anderem auch vor dem Hintergrund, dass der Anwalt von Ulvi Kulac, Michael Euler aus Frankfurt, im Mai Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens eingereicht hatte. Euler sagt, es gebe hinreichende Beweise für die Unschuld des geistig zurückgebliebenen Ulvi Kulac. Der heute 35-jährige Sohn eines Gastwirt-Ehepaars in Lichtenberg war 2004 nach einem Indizienprozess wegen Mordes an Peggy zu einer lebenslangen Haft verurteilt worden. Er hatte gestanden, die Neunjährige ermordet zu haben, dieses Geständnis aber später widerrufen. Eine Leiche wurde nie gefunden.
Derzeit sitzt Kulac in der Psychiatrie in Bayreuth noch eine Haftstrafe ab wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern. Die Strafe für den angeblichen Mord hat er bislang nicht angetreten.
Holger E. war spätestens zum Zeitpunkt des Geständnisses von Kulac im Juli 2002 aus dem Fokus der Ermittler verschwunden. Dabei ergaben sich aus der ersten Befragung des Hallensers vom Sommer 2001 einige Widersprüche und Lügen.
Verdächtiger trug Amulett mit Peggys Bild
Ein Amulett verdutzt die Ermittler der Soko II: eine Halskette mit Foto-Anhänger. Darin ein Bild von Peggy Knobloch. Holger E. trägt diese Kette. "Wir haben uns öfter gesehen, in Halle und in Lichtenberg. Sie war wie eine kleine Schwester für mich", sagt der damals 17-Jährige den Beamten, als die ihn Ende Mai 2001 im Wohnhaus seiner Zieheltern in Halle aufsuchen. Das Mädchen ist zu dem Zeitpunkt seit zwei Wochen verschwunden.
Ein Zettel führt die Polizei auf die Fährte nach Sachsen-Anhalt. Beim Durchsuchen der privaten Gegenstände der Vermissten taucht in einem von Peggys Schulheften ein Papierfetzen auf - mit Holger E.s Adresse und Telefonnummer. Es soll der Moment sein, in dem er zu einem potenzielle Verdächtigen im Mordfall Peggy Knobloch wird.
Er wurde es jüngst wieder, nachdem die Staatsanwaltschaft Bayreuth ein Ermittlungsverfahren gegen den heute 29-Jährigen eingeleitet hat, wie Leitender Oberstaatsanwalt Herbert Potzel gestern bestätigte. Hintergrund: Holger E. wurde rechtskräftig wegen sexuellen Missbrauchs seiner Tochter zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Das Journalisten-Duo Ina Jung und Christoph Schlemmer hat in seinem aktuellen Buch "Der Fall Peggy: Die Geschichte eines Skandals" Holger E. (unter dem Namen Thorsten) als einen Haupttatverdächtigen beschrieben, unter anderem wegen seiner besonderen Hingezogenheit zu minderjährigen Mädchen.
Pädophile Neigungen
Schon 2001 wurde Holger E. zu seiner vermuteten pädophilen Neigung befragt. Er verneinte damals. Und er tischte - nachweislich - Lügen auf über seinen Aufenthaltsort am 7. Mai, dem Tag, an dem Peggy verschwunden ist. So jedenfalls beschreiben es die beiden Autoren. Sie beziehen sich nicht auf offizielle Vernehmungsakten, die mittlerweile vernichtet worden seien, sondern auf spätere Aussagen aus Ermittlerkreisen.
Das angebliche Alibi des Verdächtigen für den Tattag fällt wie ein Soufflé zusammen. Dass er morgens in der Schule gewesen sei und sich später mit Freunden getroffen haben will, stellt sich nach Angabe anderer Zeugen als falsch heraus. Bei einer Durchsuchung der Wohnung entdecken Polizisten kinderpornografisches Material.
Zwölf Jahre später, während des Missbrauchsprozesses, wird Holger E. wieder gefragt, ob er mit Minderjährigen intim geworden sei. Auch mit Peggy. Seine Antwort erstaunt auch die beim Prozess anwesenden Polizeibeamten aus Bayreuth: "Das würden Sie jetzt gern wissen."
Holger E. soll bereits mit 15 eine Beziehung zu einer Neunjährigen unterhalten haben. Besagtes Mädchen wohnt in Halle - im gleichen Haus wie Peggy Knobloch. Der Vater der Neunjährigen zeigt Holger E. wegen sexuellen Missbrauchs an. Der Vater ist Holger E.s Onkel.
Auch von ihm will die Staatsanwaltschaft wissen, ob er und sein Neffe mit Peggys Verschwinden zu tun hätten. Der Onkel gibt eine bemerkenswerte Aussage zu Protokoll: Wenn er hätte Peggy verschwinden lassen wollen, dann so, dass man sie nie finde.