Druckartikel: Unverständnis über diese Regeln

Unverständnis über diese Regeln


Autor: Christine Fischer

Kulmbach, Freitag, 19. November 2021

Geimpfte enge Kontaktpersonen müssen nicht in Quarantäne, und auch die Nachverfolgung wurde auf den Hausstand beschränkt. Viele Menschen verstehen das nicht.
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Drei Szenarien, die sich genau so in den vergangenen Tagen in Kulmbach abgespielt haben und die exemplarisch für viele andere stehen.

Fall 1: Ein Großraumbüro: Die Frau eines Kollegen ist positiv auf Corona getestet worden und liegt krank zu Hause. Ein Impfdurchbruch, denn sowohl sie als auch der Kollege sind geimpft. Deshalb muss er - er hat (noch) keine Symptome - auch nicht in Quarantäne und arbeitet fast eine ganze Woche weiter im Großraumbüro, teilt Kantine und Toilette mit den anderen. Dann fühlt auch er sich krank, geht zum Arzt und lässt sich testen. Das Ergebnis: Corona-positiv.

Fall 2: Der Mann einer Kosmetikerin wird positiv auf Corona getestet, muss mit Krankheitssymptomen das Bett hüten. Beide sind geimpft, ihr geht es gut, auch sie muss als Geimpfte (ohne Symptome) nicht in Quarantäne. Weil sie selbst es aber nicht verantworten kann und will, unter diesen Umständen weiterhin ihrer körpernahen Dienstleistung nachzugehen, macht sie für einige Tage ihr Studio dicht, bis alles überstanden ist.

Fall 3: In einer vierköpfigen Familie wurden die Eltern und der 14-jährige Sohn positiv auf das Coronavirus getestet, sind zum Teil auch erkrankt, die etwas ältere Tochter nicht. Eltern und Tochter sind geimpft, die junge Frau müsste also weiterhin ihre Ausbildungsstelle aufsuchen, in der sie auch mit behinderten Menschen, einer vulnerablen Gruppe, arbeitet. Die Eltern wollen dies nicht verantworten und lassen sie krank schreiben.

"Ich finde das unmöglich", sagt die 41-jährige Mutter über die Regelung, dass geimpfte enge Kontaktpersonen wie ihre Tochter nicht auch automatisch in Quarantäne müssen. Und auch die geänderte Strategie bei der Kontaktnachverfolgung kann sie nicht nachvollziehen. Seit 4. November sollen die Gesundheitsämter nach Vorgaben des Gesundheitsministeriums nur Haushaltsangehörige und vulnerable Personen, wie Bewohner in Alten- und Pflegeheimen, informieren. Alle anderen engen Kontakte sollen positiv Getestete selbst verständigen. "So werden keine Infektionsketten unterbrochen", klagt die Kulmbacherin an.

Sie hat die Vermutung, dass sich ihr Mann - er war der erste, der Symptome hatte und positiv getestet wurde - bei einem Arbeitskollegen angesteckt hat, dessen Corona-Infektion auf der Arbeit nicht bekannt war. Hätte es von Anfang an eine konsequente Nachverfolgung gegeben, "hätte ich meine Schwiegereltern nicht angesteckt, zum Glück sind sie geimpft".

Viele Menschen verstehen die derzeit gültigen Regelungen nicht, und den Gesundheitsämtern sind quasi die Hände gebunden, denn sie sind gehalten, die Vorgaben des Gesundheitsministeriums umsetzen. Das hat die Quarantäne-Vorgaben für Geimpfte per Allgemeinverfügung am 31. August geändert. Darin heißt es: "Die Quarantänepflicht (...) gilt nicht für enge Kontaktpersonen, die vollständig gegen Covid-19 geimpft sind (ab Tag 15 nach der abschließenden Impfung)." Das Gesundheitsministerium setzt stattdessen auf Eigenverantwortung. Geimpfte Kontaktpersonen sollten bei typischen Symptomen wie Husten, Fieber oder Geschmacks- und Geruchsverlust unverzüglich das zuständige Gesundheitsamt informieren.

Das Kulmbacher Gesundheitsamt macht allen geimpften engen Kontaktpersonen das Angebot für einen kostenlosen PCR-Test, verpflichtend ist er laut Rechtslage allerdings nicht. Bei geimpften Kontaktpersonen mit Symptomen sieht es anders aus: Sie müssen zum PCR-Test und (bis zum Ergebnis) in Quarantäne. Corona-Krisenstabsleiter Oliver Hempfling appelliert an alle, sich verantwortlich zu verhalten; an geimpfte Kontaktpersonen, auch ohne Symptome zum PCR-Test zu gehen, und an Arbeitgeber, in diesem Fall auch mal ein Auge zuzudrücken und die betreffende Person für diesen einen Tag (vom Test bis zum Ergebnis) freizustellen. "Die Pandemiebekämpfung ist eine gemeinschaftliche Aufgabe."

Die Kontaktermittlungsstrategie wurde geändert, nachdem in den oberbayerischen Hochinzidenz-Gebieten deutlich geworden war, dass eine umfangreiche Nachverfolgung bei mehreren hundert Neuinfektionen pro Tag schlicht nicht leistbar ist. Auf Nachfrage der Bayerischen Rundschau betont das Bayerische Gesundheitsministerium aber: "Bestehen in einem Gesundheitsamt darüber hinaus ausreichend Kapazitäten, um weitere Kontaktpersonen-Nachverfolgung zu gewährleisten, kann diese selbstverständlich fortgesetzt werden."

Darum bemüht man sich in Kulmbach nach Kräften. Und so werden nach Auskunft des Gesundheitsamts zum Beispiel nicht nur die direkten Haushaltsangehörigen informiert sondern auch das weitere Familienumfeld. "Wir versuchen, die Kreise möglichst weit zu ziehen, aber im Bereich Arbeit und Freizeit stoßen wir ehrlicherweise an unsere Grenzen", erklärt Oliver Hempfling. Acht Mitarbeitende sind im Gesundheitsamt ausschließlich für die Kontaktnachverfolgung im Einsatz, jeden Tag ab 6 Uhr morgens. Mit Fallzahlen von 30 bis 40 Neuinfektionen pro Tag kommt das Team gut zurecht, "bei 60 bis 70 wird es schon eng", so Hempfling. Dann gebe es aber kurzfristige und unbürokratische Unterstützung durch Kollegen des Landratsamtes.

Ob die Quarantäne-Regelungen und die Kontaktermittlungsstrategie angesichts der aktuellen Lage wieder geändert werden, dazu gab das Gesundheitsministerium auf Nachfrage der BR keine Auskunft.

Kommentar: Freiheit contra Verstand

Geimpfte Menschen sollen alle Freiheiten haben - Pandemie hin, tägliche Rekord-Neuinfektionen her. Was einst als Anreiz für das anscheinend impfmüde Volk gedacht war und zu Beginn der Impfkampagne durchaus Sinn machte, ist von der vierten Welle längst weggespült worden. Für diese Wunschvorstellung haben sich schlichtweg die Voraussetzungen geändert. Zum einen wütet auch hierzulande die hochansteckende Delta-Variante, und zum anderen ist mittlerweile bekannt, dass Geimpfte das Virus weitertragen können. Sie schützen sich mit einer Impfung zwar selbst vor einem schweren Verlauf, anstecken können sie andere aber trotzdem.

Warum also muss der geimpfte Partner eines positiv Getesteten, mit dem man (bis zum Befund) Tisch, Bett und Bad geteilt hat, nicht sofort auch zum Test oder in Quarantäne - noch bevor er oder sie Symptome entwickelt und bis dahin das Virus an Kollegen, Verwandte oder wen auch immer weitergegeben hat? Wäre das nicht die klassische Unterbrechung einer Infektionskette? Passiert so aber nicht mehr seit einer entsprechenden Allgemeinverfügung des Bayerischen Gesundheitsministeriums vom 31. August. Da drängt sich schon der Verdacht auf, dass der staatliche Impfdruck über alles gestellt wird und steigende Infektionszahlen billigend in Kauf genommen werden.

Es ist unbestreitbar, dass wir eine möglichst hohe Impfquote brauchen - denn es sind die Ungeimpften, die die Intensivstationen füllen. Tatsache ist aber ebenso, dass angesichts der aktuellen Entwicklung auch uns Geimpften nicht mehr alle Freiheiten zustehen können. Vielen ist das bereits klar, und sie handeln aus Verantwortung für sich und andere bereits entsprechend, ohne dass sie es müssten. Es ist höchste Zeit, dass auch die Politik diese unbequeme Wahrheit ausspricht und entsprechend reagiert.