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Unser Essen gehört nicht in die Tonne


Autor: Dagmar Besand

Kulmbach, Dienstag, 04. Januar 2022

Am Kulmbacher Kompetenzzentrum für Ernährung sagt man der Lebensmittelverschwendung den Kampf an. Wie jeder ein Essensretter werden kann.
Die App, die Essen retten soll: Stocky wurde am Kompetenzzentrum für Ernährung entwickelt.


Der Kühlschrank ist immer voll, die Vorratsschränke gut gefüllt. Doch vieles von dem, was wir alltäglich an Lebensmitteln einkaufen, essen wir nicht. Es landet im Müll. Lebensmittelverschwendung ist ein großes und globales Problem, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, vor allem auch auch unter ökologischen und ethischen Aspekten. Dabei wäre es ganz einfach, die Menge an Essen in der Tonne zu verringern. Fast die Hälfte könnte man retten, sagt Anita Nadas, wissenschaftliche Projektleiterin am Kompetenzzentrum für Ernährung, das seinen Hauptsitz in Kulmbach und einen weiteren Standort in Freising hat. Anita Nadas koordiniert das das bayerische Bündnis "Wir retten Lebensmittel" und achtet auch ganz privat darauf, sorgsam jedem einzelnen umzugehen.

Weltweit werden unvorstellbare 1,3 Milliarden Tonnen an Lebensmitteln weggeworfen, sagt die 46-Jährige. Das ist ein Drittel der insgesamt produzierten Lebensmittel. Allein in Deutschland sind es zwölf Millionen Tonnen. Das entspricht einem Warenwert von 25 Milliarden Euro. Pro Person sind das umgerechnet 75 Kilogramm - jedes Jahr.

Um das Problem zu verdeutlichen wählt, die Expertin ein Bild: "Man stelle sich eine Flotte von 55.000 voll beladenen Lastwagen vor: So viel Essen wird allein in Bayern jährlich weggeworfen - rund eine Millionen Tonnen."

Woher man das so genau weiß? Bis vor einigen Jahren war die Datenlage zu diesem Thema tatsächlich sehr dünn, sagt Nadas. Deshalb hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2015 eine nationale Initiative gestartet, um die tatsächlichen Mengen zu messen. Dafür werden seither Datenbanken, Fachliteratur, Unternehmensdaten und Abfallanalysen ausgewertet.

Bayern sei als Vorreiter mit dem Bündnis "Wir retten Lebensmittel" noch einen Schritt weiter gegangen und erfasse kontinuierlich entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Verluste. "Inzwischen haben wir deutlich verlässlichere Daten, aber es gibt immer noch Lücken in den Bereichen Landwirtschaft, Verarbeitung und Handel. Da sagt man nicht so gerne, wie viel man wegschmeißt."

Was man aber inzwischen genau weiß, ist, dass die größten Verluste in privaten Haushalten entstehen. In Zahlen: 39 Prozent, also rund 390.000 Tonnen. Das bedeutet, dass jeder Bürger einen nennenswerten Beitrag dazu leisten könnte, das Problem zu lösen. Und genau da setzt das das Team des Kompetenzzentrums an und zeigt, wie man es besser machen kann. "Um Verhaltensänderungen zu bewirken, muss zuerst ein Bewusstsein für die Notwendigkeit geweckt werden", sagt die 46-Jährige.

Gründe für ein Umdenken gibt es genug: "In vielen Ländern gibt es Lebensmittel im Überfluss, aber es gibt auch 800 Millionen Menschen auf der Welt, die Hunger leiden." Werden Lebensmittel produziert, aber nicht genutzt, gehe das außerdem mit einer dramatischen Ressourcenverschwendung einher. Je stärker das Produkt verarbeitet wurde, desto mehr:

Das Umweltbundesamt hat berechnet, wie viel Fläche für vermeidbare Lebensmittelverluste benötigt werden. 4,3 Millionen Hektar werden mit Agrarrohstoffen angebaut, die im Müll landen, 38 Millionen Tonnen Treibhausgase werden ohne Nutzen ausgestoßen, 216 Millionen Kubikmeter Wasser verschwendet.

Bei den Lebensmittelabfällen unterscheidet die Essensretterin zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren. Knochen, Eierschalen, Gräten, Kaffeesatz, Schalen von Zitrusfrüchten und vieles mehr sind zwar Teil der Lebensmittel, aber nicht für den Verzehr geeignet. Vermeidbare Abfälle entstehen dagegen durch alles, das zum Zeitpunkt der Entsorgung oder bei rechtzeitiger Verwendung genießbar gewesen wäre.

Und genießbar ist oft sehr viel mehr als man denkt: Vom Radieschengrün bis zur Brokkoli-Strunk - vieles wird aus Gewohnheit weggeworfen, obwohl es sogar kulinarischen Wert hat. Den aktuellen Trend, beispielsweise bei Nahrungsmittelpflanzen vom Blatt bis zur Wurzel möglichst alles zu verwenden, findet Anita Nadas deshalb sehr positiv. "Viele Kochbücher bieten da spannende Inspiration. So kann man überraschendes Potenzial entdecken und sogar kulinarisch Akzente setzen."

Die wichtigste Frage bleibt jedoch: Wie kann jeder einzelne dafür sorgen, dass weniger Essen unnötig weggeworfen wird? Anita Nadas und ihre Kollegen haben zwei praktische Hilfen für alle konzipiert, die im Alltag bewusster handeln wollen - und damit auch noch eine Menge Geld sparen können.

Zum einen gibt es "10 goldene Regeln gegen Lebensmittelverschwendung", die als Plakat angelegt sind und auf einen Blick zeigen, wie kleine Verhaltensänderungen einen großen Effekt bewirken können. Das Plakat kann man sich kostenlos herunterladen unter www.kern.bayern.de.

Die schlaue App

Richtig aufwendig ist Projekt Nummer zwei: Die Lebensmittelretter haben "Stocky" entwickelt, eine App für nachhaltige Essensplanung. "Unsere App ist kostenlos, leicht zu benutzen und hilft gerade bei größeren Vorräten, den Überblick zu behalten", sagt Anita Nadas. "Um Lebensmittel vor dem Müll zu retten, verbindet Stocky mehrere Anwendungen miteinander." Die Funktion des Wochenplans bietet die Möglichkeit, Gerichte für eine ganze Woche zu planen. Die dafür benötigen Lebensmittel lassen sich, den Rezepten entsprechend, automatisch in eine Einkaufsliste übertragen. Mit der optionalen Funktion "Vorräte erfassen" hat man eine schnelle Übersicht. Durch Scannen der Codes auf den Lebensmittelverpackungen, deren manuelle Eingabe oder Eingabe per Stimme, legt die App eine Liste aller Lebensmittel im Haushalt an und erfasst gleichzeitig die geschätzte Haltbarkeit. So sieht man schnell, was man möglichst bald verbrauchen sollte.

Ein paar Vorräte im Haus zu haben, ist immer gut. Doch wer regelmäßig viel mehr einkauft als gegessen wird, wird immer wieder Lebensmittel wegwerfen müssen. Anita Nadas wichtigster Tipp, für jeden ist deshalb: "Kaufen Sie bewusst ein und im Zweifel eher etwas weniger." Leicht werde einem das nicht gemacht, weiß die Expertin: "Überall locken Sonderangebote und Aktionen, die uns dazu verleiten sollen, möglichst viel in den Einkaufswagen zu legen. Es ist gut, wenn man lernt, da zu widerstehen."

Beim Kochen gibt es für die 46-Jährige zwei Strategien, mit denen sie selbst gut fährt: Entweder man kocht wirklich nur die Menge, die gegessen wird, oder gezielt für zwei Tage oder eine zusätzliche Portion, die ich am nächsten Tag mit zur Arbeit nehmen kann. Gemüsereste wandern bei Anita Nadas in einen Eintopf, eine Pastasauce oder werden überbacken schnell zu einer leckeren Mahlzeit. "Und wenn Sie trotzdem mal zu viel haben, vor dem Urlaub oder nach den Feiertagen: Verteilen Sie es weiter. Geben Sie Freunden oder Nachbarn etwas oder organisieren Sie eine Reste-Party, wo jeder mitbringt, was gerade übrig ist."