"Und plötzlich bist du wie im falschen Film"
Autor: Jochen Nützel
Stadtsteinach, Dienstag, 30. November 2021
Ralf Pettella war als Techniker weltweit tätig - bis ihn 2019 eine extrem seltene Krebsform aus der Bahn wirft. Mit eisernem Willen will sich der 58-Jährige ins Leben zurückkämpfen, für seine Frau und die kleine Tochter gesund werden. "Franken helfen Franken" möchte helfen.
Wenn es im Kreuz sticht - wer denkt sich schon etwas dabei? Eine falsche Bewegung, ein eingeklemmter Nerv. Nichts, was zu größerer Sorge Anlass gibt, oder? Das glaubte Ralf Pettella auch. Beim Stadtsteinacher Maschinenbautechniker zwickt es im Dezember 2018 zum ersten Mal, er bekommt Rückenschmerzen. Ungewohnt, das kannte er so nicht. Weil er zu diesem Zeitpunkt in den Niederlanden beschäftigt ist, geht er dort zum Arzt. Der verschreibt Medikamente und gibt Spritzen. "Es war alles wieder gut - leider nur für drei Monate", sagt Ralf Petella. Dann kommt der Schmerz unheimlich stark zurück - und plötzlich kann er nicht mehr laufen.
Von diesem Zeitpunkt an ist er unfähig zu arbeiten und steht quasi über Nacht ohne Einkünfte da. "Meine Frau, eine Jordanierin, meine achtjährige Tochter und ich, wir mussten ab da unser Leben von den Ersparnissen bestreiten." Fast acht Jahre lebte er im Heimatland seiner Ehefrau. 2020 kam er zurück nach Deutschland und ließ sich in Stadtsteinach nieder. Zuvor war er beruflich in der ganzen Welt unterwegs: Niederlande, Ägypten, Dubai, China, Pakistan, Großbritannien, Indonesien und Malaysia.
Die Odyssee beginnt
Krankheitsbedingt beginnt für den heute 58-Jährigen nun eine ganz andere Odyssee - mit einer ersten Hiobsbotschaft: Seine Schmerzen rühren von einem bösartigen Chordoma-Tumor an der Wirbelsäule. Die Wucherung hatte 2019 bereits beachtliche Größe erreicht und war nur schwer operabel. "Gott sei Dank wurde ich an die Uni-Klinik in Leiden verwiesen, wo ein Arzt auf diese Art von Tumor spezialisiert ist. Diese Krebsform ist überaus selten." In Zahlen ausgedrückt: Auf sieben Millionen Menschen weltweit kommt ein Fall.
Häufig ist der Tumor resistent gegen Chemo- und Strahlentherapie. Bei einer 16-stündigen Operation werden dem Stadtsteinacher im Juni 2019 drei Viertel der Wucherung entfernt - mehr geht nicht, denn sie sitzt genau da, wo sich der Spinalkanal in die einzelnen Nervenbahnen aufteilt. "Kein Arzt traut sich da ran, die Folge wäre mit großer Wahrscheinlichkeit eine Querschnittslähmung."
Ein kurzer Hoffnungsschimmer
Immerhin: Nach der ersten OP geht es dem 58-Jährigen den Umständen entsprechend gut, er kann sogar wieder kleinere Arbeiten verrichten. Wäre da nicht der vermaledeite Rest des Tumors, der wie eine Zeitbombe im Rücken tickt. Mittels Protonstrahlentherapie wird der Unruheherd bekämpft. Die Hoffnung währt wieder nur kurz. "Die Schmerzen wurden erneut stärker, und nach einer Untersuchung in der Uniklinik Erlangen musste ich eine Druckentlastung an der heiklen Stelle vornehmen lassen", berichtet Ralf Pettella konsterniert.
Es folgen weitere Eingriffe - in kurzer Folge - im Oktober 2020 sowie im März, Juni und August dieses Jahres. "Als ich danach wieder in Erlangen vorstellig wurde, sagte man mir, das Ende der Fahnenstange ist erreicht, sie können nicht mehr operieren, da die letzte Wunde schon nicht mehr vollkommen verheilt ist." Unterdessen hat sich der Krebs so aggressiv in die Nervenbahn gefressen, dass Ralf Pettella dauerhaft im Rollstuhl sitzen muss.
Nun zeichnet sich immerhin ein Lichtstrahl am Horizont ab: Der 58-Jährige erfuhr von einer neuen Studie in Heidelberg am dortigen Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen (NCT). "Die zuständigen Ärzte sagten mir sofort zu, dass ich an der Studie teilnehmen kann, wenn meine Proben dafür passend sind. Aufgrund der Seltenheit meines Tumors würden sie mich gerne in die übergreifende Masterstudie aufnehmen, aber dafür bräuchten sie frisches Tumormaterial, das nicht älter als ein oder zwei Tage sein darf." Seither hat er sich mehrfach in Heidelberg aufgehalten, der erste Behandlungszyklus ist gestartet, heute steht der nächste Termin an. Es besteht Hoffnung auf Besserung. Mal wieder. "Die Medikamente schlagen an."