Tückenreiche deutsche Sprache
Autor: Katrin Geyer
Kulmbach, Dienstag, 16. Juni 2015
Bisweilen überkommt mich ein Gefühl großer Dankbarkeit. Dankbarkeit dafür, dass ich Deutsch als Muttersprache lernen durfte und nicht Nepalesisch, Armenisch oder Kisuaheli. Sonst säße ich womöglich eines Tages in einem Sprachkurs mit dem ehrgeizigen Ziel, Deutsch als Fremdsprache zu erlernen - und würde kläglich scheitern.
So kann ich mich darauf beschränken, Mitleid zu haben mit dem, der versucht, die Tücken der deutschen Sprache zu entlarven.
Da hat so ein armer Tropf endlich verstanden, dass ein Baumstamm und ein Stammbaum zwei ganz verschiedene Dinge sind, ebenso wie ein Wandschrank eben keine Schrankwand ist, obwohl sich die Worte aus den gleichen Bestandteilen zusammensetzen. Da hat er begriffen, dass es Traube-n-saft und Orange-n-saft heißen muss, weil zur Herstellung ja mehrere dieser Früchte benötigt werden - dass man aber Apfelsaft sagt und nicht Äpfelsaft.
Schwer verstehen wird er auch, warum mit "Kletterrose" eine Pflanze bezeichnet wird, die sich aus eigener Kraft an Wänden oder Spalieren in die Höhe arbeitet, während eine "Kletterhose" ein Kleidungsstück ist, das ohne Zutun seines Trägers nicht den kleinsten Mucks macht.
Ist der Deutsch-Schüler bis dahin noch nicht in tiefe Depression verfallen, kann er sich an eine Knobelei für Fortgeschrittene wagen: Eine Arbeitspause ist eine Pause, in der man die Arbeit niederlegt und eben nicht arbeitet. Eine Frühstückspause hingegen ist eine Pause, in der man genau dieses tut: frühstücken. Was aber, so wird sich der Bedauernswerte fragen, ist dann eine Denkpause?
Er wird lange brauchen, um diese Feinheiten zu begreifen. Und erst ein Exkurs ins Fränkische wird ihn in die Lage zu versetzen, zu beurteilen, von welch widersprüchlicher Eigenart auch dieses "Burggeflüster" ist: Nämlich "gscheit blöd".