Süße Falle: Hier lauern versteckte Zuckerbomben
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Montag, 04. Januar 2016
Er lauert fast überall. Gut getarnt und schwer aufzuspüren: der Zucker. Selbst dort, wo ihn der Verbraucher nicht vermutet, steckt er im Detail. Und tarnt sich mit (lateinischen) Bezeichnungen, die vielen unverständlich sind. Gerade Kindern. Aufklärung nicht zuletzt in diesem Zucker-Dickicht hat sich Kerstin Clausen auf die Fahnen geschrieben.
Die Ernährungswissenschaftlerin arbeitet am Kompetenzzentrum Ernährung (KErn) mit Schwerpunkt Gemeinschaftsverpflegung in Kindertagesstätten. "Natürlich sind Jungen und Mädchen in diesem Alter empfänglich für alles, was süß schmeckt. Nicht zuletzt durch Werbung wird ihnen und ihren Eltern suggeriert, dass es gesüßte Lebensmittel gibt, die trotzdem gesund sein sollen. Hier tut Aufklärung Not."
Die Expertin betont, dass in den meisten Fällen das Wissen um die möglichen Gefahren durch übermäßigen Zuckerkonsum durchaus vorhanden sei. "Selbst die Kleinen sagen uns häufig, dass Schokolade nicht so toll ist für die Gesundheit." Gegessen wird sie dann doch - aus Bequemlichkeit, weil nichts anderes ähnlich schnell verfügbar wäre, oder eben doch, weil die Lust auf Süßes übermächtig scheint. Wer schon im Krabbelalter permanent beispielsweise gesüßte Säfte trinkt, bleibt oft auf dieser Geschmacksschiene.
Deswegen findet es Kerstin Clausen wichtig, bereits im Kleinkindalter anzusetzen. "Hier werden die Ernährungsgewohnheiten von morgen angelegt. Hier lässt sich auch noch gut positiv Einfluss darauf nehmen. Und bisweilen hat es den schönen Nebeneffekt, das derart aufgeklärte Kinder wiederum einen positiven Einfluss auf Mama und Papa nehmen können."
Aber gilt nicht der Spruch: Eine gesunde Ernährung können sich nur Besserverdiener leisten? "Das stimmt so nicht. Naturbelassene, wenig verarbeitete Lebensmittel, die beispielsweise ohne unnötige künstliche Aromen auskommen, müssen nicht teurer sein als beispielsweise industriell gefertigte Produkte." Die Ernährungswissenschaftlerin hat dazu am Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund eine Arbeit verfasst. Es geht dabei explizit um "die Lebensmittelkosten der Optimierten Mischkost" insbesondere vor dem Hintergrund, wie sich bedürftige Familien auch bei Bezug von Regelleistungen (Hartz IV) wertvoll und ausgewogen ernähren können.
Diese "Optimierte Mischkost" entspricht den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnissen über eine gesunde und präventiv ausgerichtete Ernährung von Kindern und Jugendlichen. Sie dient damit auch dem gesundheitspolitischen Ziel, die derzeitigen hohen Kosten im Gesundheitswesen in Deutschland längerfristig zu senken. "Jeder weiß, dass Zuckerkonsum in übersteigertem Maß zu Übergewicht und den negativen Einflüssen auf die Gesundheit führen kann."
Die Krux ist: Lässt sich auf den ersten Blick erkennen, wie viel Zucker in einem Lebensmittel steckt? "Die Kennzeichnung ist so kompliziert gestaltet, dass für viele Verbraucher nicht erkenntlich ist, wie viel Zucker in einem Produkt steckt", bringt Martin Rücker vom gemeinnützigen Verein "foodwatch" das Dilemma auf den Punkt. Auf den Zutatenlisten von 276 ausgewählten Lebensmitteln wurde neben dem Zucker 70 weitere Bezeichnungen für süßende Zutaten gefunden.
Der Trick: Als Haushaltszucker muss nur Zaccharose ausgewiesen werden. Häufig lagern Hersteller bestimmte Zuckerarten aus und deklarieren sie unter anderen Namen.
Und: Bei Slogans wie "Ohne Zuckerzusatz", "100 Prozent Frucht" oder "weniger süß" verstecken sich oft andere Zucker in dem Produkt. "Zucker ist ein billiger Rohstoff und verführt die meisten von uns dazu, mehr zu essen. Zuckerreiche Lebensmittel sind besonders lukrativ für die Lebensmittelindustrie", sagt Rücker.
Entstehung von Übergewicht
Eine wichtige Zielgruppe: die Kinder. Nicht selten wird damit geworben, dass ein Snack "perfekt für zwischendurch" ist, obwohl das Produkt einen hohen Zuckeranteil hat. "Die Gewinnspanne von Softdrinks und Süßigkeiten liegt bis vier Mal so hoch wie für Obst oder Gemüse. Kein Wunder, dass fast ausschließlich zu süße, zu fettige oder zu salzige Produkte mit Comics an Kinder vermarktet werden, so Rücker. Damit trage die Lebensmittelindustrie "maßgeblich" zur Entstehung von Übergewicht und chronischen Krankheiten bei.
Kommt eine "Zuckersteuer"?
Mehrere Länder in der Europäischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben inzwischen gesundheitsbezogene Steuern oder Subventionen für bestimmte Lebensmittel eingeführt. In Ungarn existiert beispielsweise eine Gesundheitssteuer auf zuckergesüßte Getränke, Energydrinks, Süßwaren, Knabbersachen, Würzmittel, Alkohol mit typischen Geschmackseigenschaften und Marmeladen.Auch in Deutschland wird über eine "Zuckersteuer" diskutiert. Die Großteil der Bevölkerung ist dagegen und auch Martin Rücker ist skeptisch. Vielmehr fordert er eine Steuerpolitik, die gesunde gegenüber ungesunden Lebensmitteln begünstigt und damit Anreize setzt, ohne dass es eine "Strafsteuer" gibt. Zudem müsse die Politik Maßnahmen vorlegen, die eine ausgewogene Ernährung vom Kindesalter an fördert. Dazu würden unter anderem verbindliche Standards für Schulessen oder eine Nährwertkennzeichnung in Ampelfarben gehören, die bisher am Widerstand aus der Lebensmittelindustrie gescheitert ist. "Ernährungsbildung und Sportprogramme allein sind nachweislich nicht ausreichend."