Sucht: Abriss für das Kindeswohl
Autor: Alexander Hartmann
Kulmbach, Donnerstag, 04. Februar 2021
In der Hutschdorfer Fachklinik entsteht ein Neubau, damit Mütter und Kinder die Chance auf ein Leben ohne Alkohol und Medikamente haben.
Die Hoffnung heißt für viele suchtabhängige Frauen Hutschdorf. Auch für die 26-jährige Iris (Name geändert), die alkohol- und medikamentenabhängig ist und in der Fachklinik Haus Immanuel Hilfe gesucht hat. Eine Klinik, in der Frauen wie die 26-Jährige versuchen, einen Schlussstrich unter ihr altes Leben zu ziehen. Dass Iris ihren Sohn Tim auf die 15-wöchige Therapie mitnehmen durfte, hat ihr den Schritt erleichtert, die stationäre Behandlung einzugehen. "Ohne mein Kind hätte ich wohl keine Therapie angefangen", hat die Münchnerin erklärt, die Angst hatte, dass sich Tim in vielen Wochen der Trennung von ihr entfremden würde. Die Zweisamkeit in Hutschdorf hat sie genossen. Während für Iris Therapiestunden, Ergotherapie und Beratungsgespräche auf dem Tagesplan standen, wurde ihr Sohn in der nahe liegenden Kinderkrippe betreut.
Kinder sind besonders gefährdet
Die wurde jetzt plattgemacht, die gesamte Kindertagesstätte abgerissen. Nicht etwa, weil der Nachwuchs in Hutschdorf künftig hinten runter fällt. "Nein, im Gegenteil. Wir wollen dem Nachwuchs noch mehr Beachtung schenken", sagt Klinikleiter Gotthard Lehner, der weiß, dass es nicht nur die Patientinnen, sondern vor allem auch die Kinder sind, die Hilfe benötigen. "Für Kinder, deren Eltern alkohol- oder medikamentenabhängig sind, besteht ein extrem hohes Risiko, später selbst eine Abhängigkeits- oder psychische Erkrankung zu entwickeln", erläutert Lehner und führt an: "Ein Junge oder ein Mädchen muss damit leben, wenn Eltern abhängig sind, kann nicht flüchten, wie es in so einer Situation vielleicht ein Ehepartner tun würde."
1907 gegründet Die Fachklinik, die 1907 von Dorfpfarrer Ernst Keupp gegründet worden und eine Rehabilitationseinrichtung des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbands ist, ist die älteste Suchtrehaklinik in Bayern. Um Abhängigen den Schritt zu erleichtern, stationäre Hilfe in Anspruch zu nehmen, können dort Mütter schon seit dem Umbau im Jahr 2012 ihren Nachwuchs mitbringen.
Kinder gehen in die Schule
Zwölf Zwei-Zimmer-Appartements stehen zur Verfügung. Während die Frauen therapiert werden, wird ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der Kinder gelegt. Die Kleinsten werden in Hutschdorf betreut, schulpflichtige Kinder gehen in Grundschulen in der Region.
Während des Klinikaufenthalts wird versucht, das Familienleben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Ein Bestreben, das nach der meist 15-wöchigen Therapie aber nicht immer von Erfolg gekrönt sein kann. "Probleme zeigen sich oft erst, wenn Mutter und Kind wieder in den Alltag eintauchen. Die Frauen sind trotz Therapie oft nicht stabil genug, wenn sie nach Hause kommen", weiß Gotthard Lehner. Viele seien überfordert. Leidtragende seien dann wieder die Kinder, um die sich die Fachklinik nun künftig verstärkt kümmern will.
Neues Mutter-Kind-Haus
Für das Kindeswohl fällt jetzt nicht nur die Kindertagesstätte, sondern auch das Haus Bethanien, das 1930 errichtet worden ist und in dem über viele Jahrzehnte die Therapie stattgefunden hat. Ein Neubau ist geplant. Ein Mutter-Kind-Haus mit zwölf Appartements, in denen Frauen mit ihren Kindern teils über mehrere Jahre bleiben könnten, sagt Lehner, der von einem neuen, völlig eigenständigen Projekt spricht, das neben der Suchttherapie etabliert werden soll. Frauen, die abstinent bleiben, würden nach einer Therapie aufgenommen. "Wir wollen sie beraten und begleiten, unser Ziel ist es aber vor allem auch, den Kindern, die unter der Sucht der Mutter leiden, eine Chance zu geben", so der Klinikleiter. "Wir wollen einen Schutzraum bieten. Kinder brauchen stabile Strukturen und Freunde, die sie länger als für 15 Wochen haben."
Das ist geplant
Dort, wo das Haus Bethanien noch steht, ist der Neubau der Appartements mit zwei bis vier Zimmern geplant, parallel dazu wird auch eine neue Kita errichtet. Auf sieben Millionen Euro beziffert Lehner die Kosten. Eine gewaltige Summe, die auch über Spenden und Stiftungsgelder sowie über ein Crowdinvesting aufgebracht werden soll (siehe dazu "Wer baut mit am Mutter-Kind-Zentrum"). Der Neubau der Fachklinik in Hutschdorf soll Platz für zwölf Mütter mit bis zu 16 Kindern bieten. "Wir wollen mit unserem neuen Projekt einen Beitrag dafür leisten, dass Kinder in ihrem Leben nicht wie die Mutter an der falschen Ecke abbiegen", sagt der Klinikleiter, der weiß, dass Frauen wie die Münchnerin Iris das Angebot schon jetzt gerne annehmen würden, um einem großen Ziel näher zu kommen: einem Leben ohne Alkohol und Medikamente, in dem Kinder wie ihr Sohn Tim einfach wieder ein Kind sein können.
Wer baut mit am Mutter-Kind-Zentrum Der Bau des neuen Mutter-Kind-Zentrums in Hutschdorf wird nicht nur mit Spenden und Stiftungsgeldern, sondern auch über eine sogenannte Crowdinvesting-Kampagne finanziert, die jetzt in die zweite Runde geht. In der ersten Phase konnten in Kooperation mit dem Finanzdienstleister Xavin bis Mitte Februar über 200 000 Euro an Darlehensgeldern verzeichnet werden, die von 47 Anlegerinnen und Anlegern stammen.
"Herzensprojekt"
"Es freut uns sehr, dass wir das Vertrauen der Investoren gewinnen konnten. Mit ihren Geldern leisten die Menschen einen großartigen Beitrag zur Umsetzung unseres Herzensprojektes", sagt Gotthard Lehner, der der Leiter der Fachklinik Haus Immanuel ist.
Gleichzeitig reagiert die Klinik, die zum Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverband (DGD) mit Sitz in Marburg gehört, auf Anfragen von Interessenten zur Fortführung des Finanzierungsprojektes mit verkürzten Laufzeiten und Bonuszins. Seit dem 18. März können Interessenten wieder in das neue Mutter-Kind-Zentrum mit angeschlossener Kita investieren. Es stehen zwei Laufzeiten zur Auswahl: fünf Jahre Laufzeit zu einem Festzins von 0,5 Prozent, sieben Jahre Laufzeit zu einem Festzins von 0,7 Prozent. "Und auch dieses Mal winkt ein Bonuszins. Für alle, die sich bis zum 18. April für ein Investment entscheiden, kommen noch mal 0,2 Prozent an Zins drauf", betont Lehner. Für Anlagen vom 19. April bis 9. Mai 2021 gibt es 0,1 Prozent Bonuszins. Weitere Information hierzu auf der Webseite www.haus-immanuel.de.
Viele großzügige Spenden
Rund sieben Millionen Euro betragen die Baukosten. Je eine Million Euro sind über die Aktion "Sternstunden" des Bayerischen Rundfunks und die Oberfrankenstiftung eingegangen. Die Stiftung des Radiosenders Antenne Bayern unterstützt das Projekt mit 60 000 Euro, die Raps-Stiftung mit 10 000 Euro und die Bayerische Landesstiftung mit 268 000 Euro.