Sie unterrichten Flüchtlingskinder - auch mit Händen und Füßen
Autor: Matthias Beetz
Stadtsteinach, Donnerstag, 09. Oktober 2014
Welches Schicksal die Familie von Muhanad Eiz Eddin durchgemacht hat, weiß seine Lehrerin nicht genau. Der neunjährige syrische Flüchtlingsjunge macht in der Klasse der Stadtsteinacher Grundschule einen entspannten und interessierten Eindruck - auch wenn er noch wenig Deutsch versteht.
Seit Juni dieses Jahres werden an der Stadtsteinacher Grund- und Mittelschule Flüchtlingskinder unterrichtet. Die zwölf Mädchen und Jungen sind zwischen zehn und 17 Jahren und wurden von der Schulleitung zunächst einmal nach ihrem Alter den Jahrgangsstufen zugeteilt. "Wegen des sozialen Umfelds", sagt Schulleiter Michael Pfitzner, "nicht nach dem Bildungsniveau". Denn: "Die Kinder sollen zunächst einmal Sicherheit finden und sich akklimatisieren." So wurde auch darauf geachtet, dass nicht einzelne Kinder in einen für sie fremden Klassenverband gesetzt wurden, in dem sie die Sprache (noch) nicht verstehen.
Nach der Eingewöhnungsphase, so Michael Pfitzner, will man im Grundschulbereich die Mädchen und Jungen nach dem von den Pädagogen eingeschätzten Bildungsniveau zuordnen.
"Fast gierig, Schule zu erleben"
Dass die Integration von Flüchtlingskindern in einen Klassenverband für die Lehrkraft sehr wohl eine Herausforderung ist, bestätigt Michael Pfitzner. "Das ist Mehrarbeit für den Lehrer, ohne dass das zu Lasten der deutschen Kinder geht." Und weiter: "Es wird sehr viel verlangt von den Lehrern. Aber es gibt auch positive Rückmeldungen. Viele Kinder sind fast gierig, Schule zu erleben."
Mehrarbeit, das bedeutet für Stephanie Leutheußer vor allem sprachliche Flexibilität. Denn lediglich eines der zwölf Kinder an der Stadtsteinacher Schule spricht Englisch, alle anderen können sich nur in Arabisch umfassend verständlich machen.
"Die Bildersprache ist international"
So benutzt die 42-jährige Pädagogin im Unterricht die deutsche Sprache - "und die Hände und die Füße". Manchmal helfen auch Zeichnungen und Bilder weiter ("Die Bildersprache ist international"). Und dann gibt es ja noch den Computer, der das Deutsche ins Arabische übersetzen kann. Für umfassende Erläuterungen kann die Stadtsteinacher Schule sogar auf Dolmetscher im Ort zurückgreifen, die des Arabischen mächtig sind.
Dass Kinder eine fremde Sprache wesentlich schneller erlernen als Erwachsene, dafür ist Muhanad Eiz Eddin zweifellos ein Beweis. Im Matheunterricht sagt er die Lösung einer Rechenaufgabe dem Klassenkameraden schon einmal vor, sein bester Freund Maik Meier verfolgt das amüsiert. "Es bereichert den Unterricht an der Schule und den Klassenverband auf jeden Fall", urteilt Stephanie Leutheußer, die ihre neue Aufgabe durchaus als persönliche Herausforderung sieht. Ihr Wunsch: Dass man als Lehrkraft spezielles Unterrichtsmaterial bekommt, um im Sinne der Kontinuität auch schulübergreifend mit den Flüchtlingskindern arbeiten zu können.
Versteckte Traumata
Ob denn auch die teils traumatischen Erlebnisse, die hinter den Familien liegen, eine Rolle spielen? "Vorrangig nicht", sagt Michael Pfitzner. "Wenn sie offenkundig werden, dann schon." Dass unlängst ein syrisches Mädchen nicht mehr im Turnunterricht mitmachen wollte, konnte Stephanie Leutheußer zunächst nicht verstehen. Erst als das Kind die Hosenbeine der Turnkleidung hochzog und ein völlig vernarbtes Bein zum Vorschein kam, wurde es der Pädagogin wieder bewusst: der Bürgerkrieg in Syrien, die Grausamkeit der Terrormiliz, das Sterben Unschuldiger, Schrecken, Flucht - es ist längst im Landkreis Kulmbach angekommen.
Interview mit Schulamtsdirektor Jürgen Vonbrunn
Zur aktuellen Situation an den Schulen im Landkreis steht Schulamtsdirektor Jürgen Vonbrunn Rede und Antwort:
Gibt es eine Schulpflicht für ausländische Kinder?
Jürgen Vonbrunn: Bürgerkriegsflüchtlinge und Kinder mit Aufenthaltsgestattung haben Schulpflicht drei Monate nach Zuzug. Kinder mit kurz- und längerfristiger Duldung haben sofortige Schulpflicht. Das Schulamt Kulmbach vertritt die Auffassung, dass ein Schulangebot grundsätzlich zu machen ist, um möglichst schnell Sprachbarrieren abzubauen und Integration anzubahnen.
Gibt es einen Unterschied in der Beschulung von Flüchtlings- und Asylbewerberkindern?
Wir machen grundsätzlich keinen Unterschied, weil wir für alle Kinder das gleiche Ziel vor Augen haben.
Wie erfolgt die Zuteilung auf die Schulen?
Bei der Grundschule ist die Sprengelschule des Aufenthaltortes des Kindes die aufnehmende Schule. Für den Mittelschulbereich gibt es einen zentralen Unterricht an der Max-Hundt-Mittelschule Kulmbach.
Agieren die einzelnen Schulen eigenverantwortlich oder gibt es Hilfestellung oder allgemein verbindliche Richtlinien? Sind zusätzliche Lehrer im Einsatz?
Es gibt einen Lehrplan für "Deutsch als Zweitsprache", der Anwendung finden kann. Hilfestellung leisten die speziell für "Deutsch als Zweitsprache" ausgebildeten Lehrkräfte. Je nach Personalausstattung (Förderlehrer, Mobile Reserven) und Stundenausstattung (Förderdeutsch) agieren die Schulen flexibel und eigenverantwortlich. Dort, wo eine hohe Anzahl von Kindern mit Migrationshintergrund vorhanden ist, reagieren wir flexibel mit Stundenumschichtungen und Intensivunterricht für das Erlernen der deutschen Sprache. Beispiel: Pestalozzischule Kulmbach. Der für "Deutsch als Zweitsprache" ausgebildete Fachmann Lehrer Herbert Hörath wurde aus seinem Unterricht an der Oberen Schule herausgelöst und übernimmt wöchentlich zwölf Stunden für die Kinder mit Migrationshintergrund. Die Stunden von Herrn Hörath an der Oberen Schule werden von einer Mobilen Reserve abgedeckt. Nach Marktleugast wurde eine Förderlehrerin an drei Unterrichtstagen zusätzlich entsandt. Soweit die Kräfte personell reichen, werden wir vor Ort nach Bedarf reagieren. Genaue Planungen sind deshalb nicht zielführend, weil kaum vorhersehbar ist, wo, wann und wie viele Asylanten- oder Flüchtlingskinder an unseren Schulen aufgenommen werden. Wir erwarten im kommenden Flüchtlingsstrom auch unausweichliche häufige Fluktuationen, die eine verlässliche unterrichtliche Betreuung natürlich erschweren.
Nochmals zurück zur Unterrichtung von Mittelschülern. In Stadtsteinach werden sie derzeit noch unterrichtet.
Ursprünglich geplant war eine Übergangsklasse. Jetzt aber starten wir unter Mithilfe des Landkreises (Schülerbeförderung) ein flexibles Modell, nach welchem alle Mittelschüler an vier Unterrichtstagen in der Woche an der Max-Hundt-Mittelschule Kulmbach intensiv Deutsch lernen. Um die Integration am Wohnort zu fördern, besuchen sie an einem fünften Wochentag den Unterricht an der Sprengelschule. Für diese Maßnahme ist eine Lehrkraft vorgesehen, die, soweit vorhanden, von einer Mobilen Reserve unterstützt wird.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung im Schulamtsbezirk?
Der Flüchtlingsstrom wird vorerst nicht abreißen. Deutschland ist in der Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen. Und unsere Schulen sehen sich in der Pflicht, diesen Kindern die Chance auf eine erfolgreiche Integration zu geben. Wir werden uns dieser Aufgabe nach besten Kräften widmen. Nachdem die Hauptlast auf den Volksschulen ruht, sehe ich auch den Staat in der Pflicht, uns bei der Bewältigung dieser wichtigen Aufgabe ausreichend mit Personal zu versorgen.
Die Verteilung der Asylbewerber- und Flüchtlingskinder auf die Schulen
Max-Hundt-Mittelschule Kulmbach: 26
Grundschule Thurnau: 5
Grundschule Stadtsteinach: 2
Mittelschule Stadtsteinach-Untersteinach: 10
Pestalozzi-Grundschule Kulmbach: 7
Grundschule Marktleugast: 7
Grundschule Neuenmarkt-Wirsberg: 6
Mittelschule Neuenmarkt-Wirsberg: 5
Grundschule Marktschorgast: 1
Grundschule Mainleus: 6
Grundschule Neudrossenfeld: 1