Sexprozess: Hält das Bayreuther Urteil?
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Dienstag, 06. Juni 2017
Tochter gegen Vater: Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe überprüft die Entscheidung des Landgerichts Bayreuth.
Ein Jahr nach dem Bayreuther Richterspruch kommt das Urteil jetzt in Karlsruhe auf den Prüfstand: Der Bundesgerichtshof wird prüfen, ob es Verfahrensfehler in dem Prozess gegen einen Unternehmer wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs gab.
Das Urteil am 17. Mai 2016 war das große Finale eines Mammutverfahrens. Es hatte das Landgericht Bayreuth neun Monate lang beschäftigt. "So eine lange Hauptverhandlung habe ich noch nie geleitet", sagte damals Vorsitzender Richter Michael Eckstein zu der Zahl von 36 Prozesstagen.
Vorwurf Vergewaltigung
Das Verfahren in Gang gebracht hatte die Tochter (49) des Angeklagten (72). Die Frau aus dem Landkreis Kulmbach bezichtigte ihren Vater, sie seit ihrer Kindheit vergewaltigt zu haben. 16 Fälle waren schließlich vor Gericht angeklagt. Das Gericht sprach den Angeklagten aber wegen der schweren Vorwürfe frei. Ein Schuldspruch erfolgte nur wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen - Opfer waren hier die beiden Enkelinnen sowie eine Freundin - , wegen des versuchten Missbrauchs in einem Fall, wegen Nötigung und unerlaubten Waffenbesitzes. Deswegen wurde der Mann zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verteilt, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung. Zusätzlich wurde ihm die Zahlung von 360 000 Euro, also etwa eines Jahreseinkommens, auferlegt.
Der entscheidende Satz im Bayreuther Urteil lautete: "Im Übrigen wird der Angeklagte freigesprochen." Das bedeutete, wegen der schwerwiegenden Taten - mehrfache Vergewaltigung der Tochter und Vergewaltigung der Ex-Frau - wurde der Angeklagte nicht verurteilt.
Kein Tatnachweis
"Entscheidend ist, dass dem Angeklagten das Tatgeschehen nachgewiesen werden muss", stellte der Vorsitzende Richter fest. Dieser Nachweis sei in der Hauptverhandlung trotz umfangreicher Nachermittlungen nicht erfolgt. Denn die Hauptbelastungszeugin, also die Tochter des Unternehmers, sei als unglaubwürdig eingestuft worden.Die Bayreuther Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Denn sowohl die Verteidigung als auch die Tochter als Nebenklägerin legten Revision ein.
Offenbar Klärungsbedarf
Seit einem Jahr liegt der Fall beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Der zuständige 1. Strafsenat mit dem Vorsitzenden Richter Rolf Raum hat offenbar Klärungsbedarf. Sonst hätte man nicht am 21. Juni eine mündliche Verhandlung angesetzt. Dort ist der Hamburger Strafverteidiger Johann Schwenn, der auch den prominenten Wettermoderator Jörg Kachelmann in seinem Prozess vertreten hat, einer der Revisionsführer. Er wollte sich vorab nicht zu dem Verfahren äußern. Er teilte mit: "Bis zum Beginn der Hauptverhandlung des Revisionsgerichts ist die Revision ein ausschließlich schriftliches Verfahren. Mit dieser Eigenart würde es sich nicht vertragen, wenn Beteiligte ihre Standpunkte vorher öffentlich kundtun."
Dennoch ist klar, was Schwenn erreichen will: einen kompletten Freispruch des Angeklagten. Der Mann, der laut Staatsanwaltschaft in höchsten gesellschaftlichen Kreisen verkehrt, soll aus dem Gerichtssaal mit weißer Weste rausgehen. Bisher wird er für den Missbrauch der Mädchen verantwortlich gemacht. Den Makel als Kinderschänder akzeptiert der Unternehmer aus Westdeutschland nicht.
Als zweiter Revisionsführer greift Rechtsanwalt Frank K. Peter aus Worms den Bayreuther Teilfreispruch an. Der Vertreter der Hauptbelastungszeugin kritisiert, dass die Strafkammer zwei Beweisanträge der Nebenklage nicht zugelassen hat. Es sei in erster Linie darum gegangen, eine zweite Sachverständige zu hören und das Gutachten überprüfen zu lassen, das die Tochter des Angeklagten als unglaubwürdig einstuft. "Wir haben einige Fehler im Gutachten aufgezeigt und nachgewiesen, dass es nicht dem Stand der Wissenschaft entspricht", so Peter.