Sein Handy verrät den Lidl-Räuber
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Freitag, 26. Juni 2015
Ein bayerisches SEK schnappt bei Dresden einen 42-jährigen Mann aus Polen. Er wird für 43 Überfälle auf Supermärkte in ganz Deutschland - drei davon in Oberfranken - verantwortlich gemacht.
Über eineinhalb Jahre lang hat er sein Unwesen getrieben, 43 Supermärkte in ganz Deutschland überfallen und ist immer wie ein Phantom wieder verschwunden. Genauso lang hat ihn die Polizei gejagt - jetzt ist der Lidl-Räuber, der vor zwei Wochen auch in Kulmbach zugeschlagen hat, bei Dresden geschnappt worden.
Ein Sondereinsatzkommando der bayerischen Polizei überwältigte den 42-jährigen Polen am Donnerstagmorgen auf einem Autobahn-Rastplatz. Sein Handy verriet den Serien täter, als es sich mit einem Funkmast bei Cottbus verbunden hatte. Da wusste die Polizei, dass der Verdächtige, der in Hannover auch einen Kunden erschossen hatte, wieder nach Deutschland eingereist war.
Staatsanwaltschaft und Polizei in Hannover und Bayreuth informierten am Freitag über die spektakuläre Festnahme. Der Mann war bisher nicht vorbestraft. "Sonst hätten wir ihn viel früher gehabt", sagte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge, Hannover.
In Kulmbach sind Lidl-Mitarbeiter und Kunden erleichtert, dass der Täter hinter Gittern sitzt. Hier hatte er am 10. Juni die Filiale in der Albert-Ruckdeschel-Straße überfallen. Er ging nach seinem üblichen Muster vor und betrat kurz vor Ladenschluss den Markt. An der Kasse zog er unvermittelt seine Waffe. Er bedrohte die Kassiererin, steckte das Geld in eine Plastiktüte und rannte hinaus. Mit einem Fahrrad suchte er das Weite.
Kunde in Hannover getötet
Während die Lidl-Mitarbeiter in Kulmbach unverletzt blieben, machte der Räuber andernorts achtmal skrupellos von der Waffe Gebrauch. In Hannover tötete er einen 21-jährigen Kunden, der der Kassiererin helfen wollte. Zwei weitere Personen verletzte er durch Schüsse ins Bein. In Oberfranken überfiel der Mann noch eine Lidl-Filiale in Hof (3. Juni) und einen Netto-Markt in Pegnitz (11. Juni).
Durch Fingerabdrücke und DNA-Spuren wusste die Polizei, dass man es mit dem gesuchten Serientäter zu tun hat. Hinweise auf seinen dunklen BMW, die Auswertung von Handy-Daten und die verschossene Munition sorgten dafür, dass die Ermittler den Verdächtigen identifizieren konnten.
"Discounter" und "Kasse"
Genauso treffsicher wie bei der Namenswahl ihrer beiden Ermittlungsgruppen - "Discounter" (Hannover) und "Kasse" (Bayreuth) - war die Kripo bei der Fahndung nach dem bundesweit gesuchten Raubmörder: Er wurde am Donnerstagmorgen bei Dresden geschnappt - zwei Wochen nach seinem letzten Überfall am 11. Juni in Pegnitz. Tags zuvor hatte er in der Kulmbacher Lidl-Filiale in der Albert-Ruckdeschel-Straße zwei Angestellte mit der Waffe bedroht und zur Öffnung der Kasse gezwungen.
Aufgrund der Ermittlungsergebnisse geriet ein 42-jähriger Pole immer mehr ins Visier der Kriminalpolizei. Es stellte sich heraus, dass sein Handy stets in der Nähe der Tatorte eingeloggt war. Als sein Mobiltelefon am Mittwochabend in einer Funkzelle bei Cottbus auftauchte, war klar, dass er sich in Deutschland aufhielt. Auch sein dunkler BMW, der über polnische und deutsche Wechselkennzeichen verfügte, war aufgrund von Zeugenaussagen bekannt.
Die Polizei setzte mehrere Sondereinsatzkommandos in Marsch. Als der Mann früh um 5 Uhr den Rastplatz Dresdner Tor Nord an der Autobahn A4 ansteuerte, "waren die Einsatzkräfte aus Bayern räumlich am nähesten dran", so Polizeisprecher Jürgen Stadter vom Polizeipräsidium Oberfranken. "Die Spezialeinheiten kamen deshalb zum Einsatz, weil von einer gewissen Gefährlichkeit ausgegangen werden musste."
Zugriff um 5.11 Uhr
Der Zugriff erfolgte um 5.11 Uhr. Die SEK-Männer schlugen die Seitenscheiben des Autos ein und überraschten den Verdächtigen. Er ließ sich widerstandslos festnehmen.
Der Serientäter und Mörder sitzt in Untersuchungshaft. Auf sein Konto gehen seit Herbst 2013 vermutlich 43 Überfälle auf Discounter, vor allem in Niedersachsen, aber auch in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und zuletzt in Oberfranken. 17 Fälle können dem 42-jährigen Mann, der bisher mit Frau und Kleinkind unbescholten in Polen lebte, zugeordnet werden.
Beute 100.000 Euro
Die federführende Kriminalpolizei Hannover geht davon aus, dass der Täter, dessen Wohnung gestern durchsucht wurde, nur zu den Raubzügen nach Deutschland kam. Seine Motivlage ist noch unklar. Die Beute bei den Überfällen wird auf 100.000 Euro geschätzt.
Es ist das Ergebnis akribischer und aufwendiger Polizeiarbeit, dass man dem Supermarkt-Räuber auf die Schliche kam. Die Bayreuther Kripo spricht von "umfassenden operativen Maßnahmen". Die Polizei setzte Suchhunde ein, führte im Umfeld der oberfränkischen Tatorte Befragungen von Haus zu Haus durch. Supermärkte wurden von Beamten in Zivil überwacht, und ein Hubschrauber stand bereit, falls der Mann erneut zuschlagen sollte.
Täter trug keine Handschuhe
An den Tatorten wurde von den Spezialisten der Polizei eine Vielzahl von Individualspuren gesichert, die man dem Täter, der keine Handschuhe trug, zuordnen konnte. Stadter: "Der Mann hatte Waren in seinen Einkaufskorb gelegt, den er dann an der Kasse abstellte und nach dem Überfall dort zurückließ."
Durch die DNA-Spuren und die Fingerabdrücke konnte der Mann zweifelsfrei überführt werden. Zur Durchsuchung des Autos und zur Spurensicherung fuhren Bayreuther Spezialisten nach Sachsen. Das Team fand neben weiteren Beweismitteln in einem Versteck im Auto eine geladene Schusswaffe, die der bei den Taten verwendeten Waffe entspricht. Auch die Munition stimmt überein.