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Seelsorger bei der Feuerwehr: Nehring hilft, das Leid zu ertragen


Autor: Dagmar Besand

Kulmbach, Freitag, 15. August 2014

Feuerwehrleute rücken nicht nur aus, wenn's brennt. Sie schneiden Unfallopfer aus Autowracks und erleben bei ihren Einsätzen viel Belastendes. Bernhard Nehring steht als Fachberater Seelsorge seinen Kameraden von der Kulmbacher Feuerwehr zur Seite.
Nach tragischen Unglücksfällen brauchen auch die Helfer seelischen Beistand. Bernhard Nehring unterstützt und begleitet seine Kameraden von der Kulmbacher Feuerwehr am Einsatzort, aber auch in der Zeit danach.  Foto: Dagmar Besand


Bei Unglücksfällen sind sie als Erste zur Stelle, um zu helfen. Oft können Feuerwehrleute und die Einsatzkräfte von Rettungsdienst und Technischem Hilfswerk Leben retten und größeren Schaden abwenden. Manchmal müssen sie aber auch erleben, dass Hilfe nicht mehr möglich ist.
Die Konfrontation mit Tod und menschlichem Leid wirkt lange nach und ist nicht leicht zu verkraften", sagt Bernhard Nehring. Der Rummelsberger Diakon, der in der Jugendhilfe in Fassoldshof tätig ist, ist Feuerwehrmann mit Leib und Seele und einer der beiden Fachberater Seelsorge der Kulmbacher Feuerwehr.
Der 55-Jährige trat 1983 der Rummelsberger Wehr bei und kam 1988 zur Kulmbacher Wehr, deren zweiter Vorsitzender er heute ist.

Im Gespräch mit der Bayerischen Rundschau erzählt er, wie man mit den schlimmen Bildern im Kopf fertig wird.

Unfälle, Brände, Naturkatastrophen sind Extremsituationen - für die unmittelbar Betroffenen, aber auch für die Helfer. Kann man lernen, mit dem Leid und der Not anderer Menschen umzugehen?
Bernhard Nehring: Man kann lernen, es zu ertragen. Für die Menschen da zu sein, das ist das Wichtigste.

Welche Einsätze sind besonders belastend?
Belastend ist natürlich alles, was mit Tod zu tun hat, vor allem wenn Kinder oder junge Leute ums Leben kommen. Das sind Einsätze, die unter die Haut gehen. Schwer zu verkraften sind auch Selbsttötungen. Wenn sich eine 17-Jährige vor einen Zug wirft, weil sie keinen Lebensmut mehr hat - eine solche Unglücksstelle lässt auch die Helfer ratlos und verzweifelt stehen. Das trifft einen immer, egal was man schon alles erlebt hat. Dazu kommt das Warten, bis Polizei und Staatsanwaltschaft ihre Arbeit getan haben und man sich um die Toten kümmern kann.

Wie wirken solche Erlebnisse nach?
Es ist ganz normal, dass man drei bis fünf Tage nach dem Ereignis noch Flashbacks hat, die Bilder immer wieder vor sich sieht. Bestimmt Gerüche oder auch Bilder im Fernsehen können das spontan hervorrufen. Wenn man nach zwei Wochen immer noch diese Symptome hat, sollte man ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Es gibt allerdings Bilder, die wird man nie los, vor allem, wenn während eines Einsatzes ein Unfallopfer stirbt. Man hat alles versucht und den Menschen doch nicht retten können.

Wie können Sie helfen?
Auch die Seele braucht eine Erstversorgung. Bei tödlichen Unglücken rufen wir noch vor Ort alle zusammen zu einer kurzen Aussegnung, einem Gebet für den Toten. Später ist es notwendig, das Erlebte aufzuarbeiten und wieder ein Stück Normalität herzustellen. Dazu dienen vor allem Gespräche. Ich bin dann oft die Vertrauensperson, und es kann auch mal meine Aufgabe sein, einen Kameraden zu ermutigen, zum Therapeuten zu gehen. Es ist wichtig, dass sich das Traumatische nicht in der Seele verankert, man es in die Familie trägt und dann vielleicht auch den Partner belastet.

Kommen die Feuerwehrkameraden mit ihren Problemen zu Ihnen oder gehen Sie auf sie zu?
Beides. Unmittelbar vor Ort bekommt man von Kameraden Hinweise oder beobachtet selbst, dass es notwendig ist, jemanden aus dem Geschehen zu nehmen, mit ihm zu sprechen. Meine Aufgabe ist es, unterstützend zu wirken. Dabei muss ich sehr behutsam vorgehen, nicht vorpreschen. Jeder geht anders mit solchen Erlebnissen um. Manche muss man ansprechen, andere kommen von selbst und sagen: "Bernhard, mir geht's nicht gut."

Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Aussprache über das Erlebte?
Auch das ist individuell unterschiedlich. Ein Nachgespräch sollte 24 Stunden nach dem Ereignis stattfinden, spätestens nach zwei Tagen. Wir machen das als Gruppengespräch aller beteiligten Einsatzkräfte.

Sie können mit den Betroffenen auf Augenhöhe sprechen, weil Sie selbst im Einsatz oft Grenz-Situationen erlebt haben. Was waren für Sie persönlich schwer zu verkraftende Momente?
Das Elbe-Hochwasser 2002 in Pirna. Da waren die Notfallseelsorger aus ganz Bayern im Einsatz. Die Verzweiflung der vielen Menschen, die alles verloren hatten, sogar die Bodenplatten ihrer Häuser waren weggeschwemmt - diese Bilder werde ich nie vergessen.

Wie verkraften Sie selbst die Eindrücke von den Schauplätzen des Unglücks?
Ich lege sie für mich als Erinnerungen und Erfahrungen ab, die zum Leben dazugehören. Aber auch ich bekomme natürlich Hilfe von Kollegen, wenn ich sie brauche. Wir besprechen das Erlebte und tauschen uns aus. Auch meine Frau Doris ist mir eine große Hilfe und nicht zuletzt mein christlicher Glaube. Der gibt mir Kraft.

Wer kann Fachberater Seelsorge werden?
Voraussetzung ist eine theologische Ausbildung. Meist sind es Pfarrer und Diakone, auch Religionspädagogen.

Sie teilen sich diese Aufgabe mit Pfarrer Michael Schaefer aus Mainleus. Wer unterstützt Sie noch?
Bis vor kurzem waren wir noch vier Fachberater. Es ist wichtig, dass wir Ersatz für Kollegen finden, die aus Altersgründen ausscheiden, aber es wird immer schwieriger, Leute dafür zu gewinnen. Ich bin froh, dass wir noch die "Peers" als Unterstützung haben, Einsatzkräfte, die speziell für psychosoziale Aufgaben geschult sind.

Gibt es etwas, das die Gesellschaft tun kann, um die Helfer besser zu unterstützen?
Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft ehrenamtlich helfende Tätigkeiten stärker wertschätzt und nicht als selbstverständlich betrachtet. Tag und Nacht jede Minute einsatzbereit zu sein, ist schon eine besondere Leistung der Helfer von Feuerwehr, BRK, THW und anderen Diensten.