Sebastian Müller macht Karriere trotz mehrfacher Behinderung
Autor: Dagmar Besand
Kulmbach, Freitag, 21. November 2014
Von der Förderschule zum Studium: Sebastian Müllers Geschichte macht Betroffenen Mut und gibt Lehrern neue Denkanstöße für ein viel diskutiertes Thema.
Seine Stimme ist nicht laut, der Redefluss stockt manchmal ein wenig, doch selten hat ein Redner ein aufmerksameres Publikum: Sebastian Müller fasziniert seine Zuhörer. Der 28-Jährige, der aus Untersteinach stammt, kann nicht gehen, sieht schlecht und musste das Sprechen mühsam erlernen. Mit viel Geduld, Willenskraft und gezielter logopädischer Förderung hat er es geschafft, trotz der mehrfachen Behinderung eine in jeder Hinsicht bemerkenswerte Karriere zu machen. Bescheiden und doch selbstbewusst erzählt er davon - um das Verständnis für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung zu fördern.
Die Zuhörer sind Lehrer der Carl-von-Linde-Realschule, die sich an diesem Tag intensiv mit dem Thema Inklusion in der Schule beschäftigen.
Es darf gelacht werden
Es ist ein lebendiger Vortrag, ernsthaft, aber ab und zu auch zum Schmunzeln. Humor ist ein gutes Hilfsmittel, um Barrieren einzureißen, und Sebastian Müller macht gerne Gebrauch davon. Von der Notengebung in den Fächern Musik und Sport sei er befreit gewesen, erzählt er: "Singen war nie meine Stärke, und meine Dauerlauf-Ambitionen waren auch gering." Doch ansonsten plädiert der 28-Jährige für Gleichbehandlung, vor allem bei Prüfungen: "Auch Menschen mit Behinderung müssen kontrolliert werden, denn die sind auch nicht alle Engel, sondern manchmal ganz schöne Schlitzohren."
Dass Sebastian Müller Vorträge vor Publikum halten kann, ist ein kleines Wunder. Aufgrund einer Zerebralparese (Bewegungsstörungen durch Hirnschädigung) muss er sich schon sein ganzes Leben lang mit massiven körperlichen Einschränkungen arrangieren. Er ist auf den Rollstuhl angewiesen, kann seine Bewegungen nur mit Mühe kontrollieren, kämpft mit Spasmen in der Muskulatur und in der Atembewegung. Ein Auge ist blind, das andere hat eine Sehleistung von gerade einmal acht Prozent. Zum Lesen benötigt er eine starke Lupe oder ein Bildschirmlesegerät.
Eine unglaubliche Entwicklung
Harte Startbedingungen für das Kind Sebastian, das 1993 ins heilpädagogische Zentrum in Bayreuth eingeschult wurde, "weil man meinen geistigen Stand nicht einschätzen konnte". Die folgende Entwicklung klingt unglaublich: Wechsel in die Diagnose-Förderklasse, danach in eine Regelschule. Die Noten in der damaligen Hauptschule Untersteinach-Kupferberg waren gut genug für die Realschule. Sebastian absolvierte die Mittlere Reife, dann die Fachoberschule, schließlich sogar ein Bachelor-Studium "Soziale Arbeit" und ein Master-Studium "Inklusion - Exklusion" an der Fachhochschule Regensburg.
Geistig ist Sebastian topfit. Im Alltag ist er jedoch permanent auf Hilfe angewiesen. Schon als Schüler hat ihn ein Zivildienstleistender in die Schule begleitet und für ihn im Unterricht mitgeschrieben. Bei Prüfungen hat Sebastian diktiert oder Fragen mündlich beantwortet.
Zivis gibt's nicht mehr. Ihre Aufgaben übernehmen heute Assistenten, die ihm rund um die Uhr zur Seite stehen und ihm so ein weitgehend selbstständiges Lebens ermöglichen.
Kompliziertes einfach machen
Beruflich profitiert Sebastian Müller von seinen eigenen Erfahrungen. "Ich kann anderen Mut machen und ihnen helfen." Zwei Jahre lang war er nach seinem Studium in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung tätig. Seit September hat er eine neue Aufgabe: Er baut das Büro "Sag's einfach" der Katholischen Jugendfürsorge Regensburg auf und macht aus komplizierten Texten solche, die auch von Menschen mit Lernschwierigkeiten gelesen werden können und verstanden werden.