"Scheitern mit Ansage": Energieagentur-Sprecher kritisiert Klimapakt
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Freitag, 27. Sept. 2019
Die Gewinnung von "grünem" Strom im Kreis Kulmbach stieg zuletzt stetig an. Doch die Einhaltung der Klimaziele verlangt nach einem weiterem Ausbau.
Die Zahlen können sich sehen lassen: Nach jüngsten Erhebungen stieg die Summe an Strom aus erneuerbaren Energiequellen (Wind, Solar, Biomasse,Wasserkraft, Kraft-Wärme-Kopplung) deutlich an. Für den Landkreis Kulmbach weisen die Zahlen der Energieagentur Nordbayern für das Jahr 2017 annähernd 360190 Megawattstunden aus - damit tragen die Erneuerbaren rein rechnerisch einen Anteil von 73 Prozent des Gesamtstromverbrauchs. Diesen Wert übertreffen nur Bayreuth, Hof und Bamberg (siehe Grafik). Doch reicht das in Zeiten von Klimazielen? Markus Ruckdeschel von der Energieagentur Nordbayern sagt: Nein. Herr Ruckdeschel, 73 Prozent Eigenversorgungsquote - das klingt exorbitant. Aber natürlich wird der Strom ins Netz eingespeist und nicht vor Ort "verbraucht". Trotzdem: Die Zahlen können sich sehen lassen. Doch der Windausbau stockt bekanntermaßen seit geraumer Zeit, nicht zuletzt durch die 10H-Regel. Ist das angesichts der Pariser Klimaziele nicht kontraproduktiv?
Markus Ruckdeschel: Die 10H-Regel hat den Windkraft-Ausbau im Freistaat quasi zum Erliegen gebracht. Zusätzlich hat der Bund rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen, die Windräder im Binnenland benachteiligen. Es war ein Scheitern mit Ansage, seit Jahren absehbar. Wer ernsthaft Klimaschutz will, darf nicht nur Bäume umarmen, sondern muss auch ausreichend Möglichkeiten für Windkraft schaffen. Das gilt für ganz Bayern, vor allem für den Süden, aber eben auch für uns. Klar ist in Oberfranken schon viel passiert. Aber es gibt nicht nur ein Nord-Süd-, sondern auch ein Ost-West-Gefälle: Während in Hof mehr als 100 Anlagen stehen, dreht sich im Landkreis Forchheim nur eine einzige. Das kann man nicht fachlich begründen, sondern allenfalls politisch.
Der Landkreis Kulmbach liegt mit 33 Anlagen ganz gut im Rennen. Aber Potenzial wäre natürlich auch hier noch reichlich. Wieso sorgen wir bei der nächsten Ausbau-Welle nicht für echte Bürgerenergie-Anlagen? Dann bleibt das Geld in der Region.
Der Anteil am "grünen" Strom im Strom-Mix ließe sich Ihrer Meinung nach womit am ehesten weiter ausbauen?
Der Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare beim Strom klappt am besten mit Photovoltaik und Windkraft. Beide ergänzen sich perfekt im Jahreslauf: Photovoltaik im Sommer, Windkraft vor allem im Winterhalbjahr. Mit diesen beiden Pfeilern, zusätzlich mit einem gut durchdachten Speicherkonzept und der Nutzung intelligenter Technik kommt man ziemlich weit.
Wie gut stehen die Chancen für weitere Steigerungen bei der Wasserkraft oder bei Biomasse?
Da sieht es eher bescheiden aus. Ein größerer Ausbau ist in beiden Bereichen wenig realistisch. Denn bei der Wasserkraft kollidieren wir fast immer mit dem Naturschutz, und die reine Stromerzeugung bei Biogasanlagen ist im Vergleich zu Wind oder PV mittlerweile einfach zu teuer. Bei Biomasse geht es vor allem darum, den Betrieb der bestehenden Anlagen zu sichern, denn sie haben trotz allem zwei unbestreitbare Vorteile: Sie können, im Gegensatz zu Wind und PV, jederzeit Strom produzieren, könnten also diese natürlichen Schwankungen gut ausgleichen. Und sie erzeugen gleichzeitig Wärme und versorgen nicht selten ganze Dörfer mit Heizenergie. Hier muss der Gesetzgeber aber eine echte Perspektive für den Weiterbetrieb schaffen, ansonsten droht nach 20 Jahren EEG-Vergütung für viele Anlagen das Aus.