SAN steht am Internet-Pranger
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Montag, 07. April 2014
Autofahrer mit dem Stadtsteinacher Kennzeichen bekommen bei fahrerbewertung.de die Note 5. Kulmbach liegt im Mittelfeld der Rangliste. Sind auf dem neuen Onlineportal vor allem Denunzianten am Werk?
Sie sind Taxifahrer, haben ein SAN-Kennzeichen für Stadtsteinach und fahren einen Mercedes, den Sie bevorzugt im Parkverbot abstellen: Dann gehören Sie - statistisch gesehen - zu den größten Verkehrsrowdys, die es in Deutschland gibt. Sagt zumindest das neue Onlineportal www.fahrerbewertung.de. Fahrer mit Kulmbacher Nummernschild schneiden besser ab: Sie liegen mit der Note 2,8 im Mittelfeld. Die Stadtsteinacher sind mit einer glatten Fünf ganz weit hinten.
Erst vor zwei Wochen an den Start gegangen, haben schon zigtausend Fahrzeuglenker - weit über 100.000 sollen es sein - auf dem Portal andere Autofahrer "bewertet". Die Bonner Firma Bo-Mobile gibt an, einen Beitrag leisten zu wollen "zu einem gelungenen Miteinander und Rücksicht im Straßenverkehr und letzten Endes zu sichereren Straßen für alle" (dazu auch unser "Burggeflüster").
"Shitstorm geht nicht"
Den Vorwurf des Internet-Prangers weist Jörn Wolter, Leiter Kommunikation & PR bei Bo-Mobile, zurück: "Wir zeigen nicht den schlechtesten Autofahrer Deutschlands. Man muss ein Kennzeichen eingeben und sieht dann eine Schulnote, eine Durchschnittsnote aller Bewertungen, aber nicht, wer was wann und wo gemacht hat." Wolter zufolge sind Sicherungsmechanismen eingebaut, damit keine Mehrfachbewertungen in kurzer Zeit abgegeben werden können: "Ein Shitstorm geht nicht."
Der Kulmbacher Rechtsanwalt und Vorsitzende der Verkehrswacht, Jürgen Schmidt, hält das Portal für "sehr problematisch", da derjenige nicht erkennbar ist, der eine Bewertung abgibt. "Dem Denunziantentum ist Tür und Tor geöffnet", meint er. Datenschutzrechtlich sei fahrerbewertung.de ("eine Fehlbezeichnung, weil der Fahrzeughalter bewertet wird") wahrscheinlich nicht zu beanstanden. "Das käme jedoch auf eine Überprüfung an." In verkehrsrechtlicher Hinsicht hält er positive Signale für sinnvoller. Deswegen stelle die Verkehrswacht auch langjähriges unfallfreies Fahren heraus. "Ich glaube nicht, dass sich das Portal auf Dauer durchsetzen wird", sagt Schmidt und vermutet, dass es um Werbeeinnahmen geht.
Polizeisprecher Alexander Czech bezweifelt es, ob mit dem Portal die Verkehrsmoral verbessert werden kann. Er kritisiert, dass die Hintergründe weitestgehend im Dunkeln bleiben, größtenteils subjektive Empfindungen eine Rolle spielen und nicht berücksichtigt wird, dass viele Fahrzeuge von mehreren Personen genutzt werden. Außerdem sei eine absichtlichen Falschbewertung möglich. "Das führt lediglich zu Ärger und Unverständnis", so Czech. Nach seinen Worten sollten Verkehrsteilnehmer bei schwerwiegenden Verstößen, die womöglich Straftaten darstellen, lieber die Polizei verständigen. "Nur so ist eine objektive Ahndung derartiger Delikte gewährleistet."
"Blockwart-Mentalität"
"Unfug hoch drei, dubios und undurchsichtig - mehr fällt mir dazu nicht ein", erklärt der Stadtsteinacher Bürgermeister Roland Wolfrum. Selbst wenn ein SAN-Fahrer unangenehm aufgefallen ist, sei damit noch lange nichts über die zirka 400 anderen ausgesagt. "Wir sind eine freiheitliche Gesellschaft, das ist Blockwart-Mentalität - so etwas widerstrebt mir", schimpft Wolfrum. Wirklich grobe Verkehrsverstöße müssten angezeigt werden und seien nicht über eine solche "Internetkiste" zu regeln.
"Davon halte ich gar nichts", versichert der Fahrer des Kulmbacher Landrats, Uwe Stockhaus, der es auf 40.000 Kilometer im Jahr bringt. Ihn stört es, dass nicht überprüft wird, ob ein Vorwurf überhaupt stimmt. Man könne unberechtigt als Verkehrsrowdy, Raser oder Drängler abgestempelt werden.
Autorennfahrer Christopher Haase aus Kirchleus, der weltweit unterwegs ist, hält die Idee für "nicht ausgereift, da jeder eine unterschiedliche Auffassung von Verkehrssituationen hat". Er rät dazu, im Straßenverkehr ruhig zu bleiben und das Miteinander in den Vordergrund zu stellen, "so dass jeder stressfrei und sicher unterwegs sein kann". Gegen Drängler und Raser helfen seiner Ansicht nach ohnehin nur Fahrverbote.
Mercedes und der Neidfaktor
Dass Mercedes in der Autorangliste ganz hinten rangiert, nennt der Kulmbacher Mercedes- und Oldtimer-Fahrer Walter Schaller "nicht gerechtfertigt". Er führt die Bewertung auf einen gewissen Neidfaktor zurück. "Wer mir unangenehm auffällt, sind eher Audi-Fahrer, die auf der Autobahn rasen." Bei dem Portal sieht er - außer dem persönlichen Frustabbau - keinen Nutzen und stellt die Frage: "Wem bringt's was?"
Auszug aus der Rangliste
Beim Internetportal fahrerbewertung.de sind 646 Kfz-Kennzeichen aufgeführt. Ganz oben rangiert LBS für Lobenstein (jetzt Saale-Orla-Kreis) mit der Note 1,3. Ganz hinten liegt VOH für Vohenstrauß (Kreis Neustadt an der Waldnaab) mit 5,5.
Für einige oberfränkische Kennzeichen gibt es aktuell folgende Bewertungen:
171. KC/Kronach 2,4
414. HO/Hof 2,8
460. KU/Kulmbach 2,8
510. BT/Bayreuth 2,9
596. LIF/Lichtenfels 3,3
641. SAN/Stadtsteinach 5,0
643. MÜB/Münchberg 5,4
Am Ende der Autorangliste rangiert Mercedes (Note 3,4), vorne Suzuki (2,5).