Quell des Übels: Macht Mobilfunk krank?
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Freitag, 19. Juli 2019
Ein Leben in einer funkvernetzten Welt ist für eine Frau aus dem Landkreis Kulmbach ein Albtraum. Sie bezeichnet sich als elektrosensibel - und leidet.
Bevor es zum Treffen mit Sandra H. (Name geändert) kommt, sind ein paar Dinge zu klären: Sie fragt, ob es möglich wäre, das Gespräch in einer Waldlichtung zu führen. Und Sie bittet, ohne Handy zu erscheinen. Smartphones, sagt sie, erzeugten zur Datenübertragung (gepulste) Mikrowellenstrahlung - genauso wie Wlan, Bluetooth und DECT-Funktelefone oder die Mikrowelle in der Küche. Ihr Körper reagiere auf die dabei entstehenden hochfrequenten elektro-magnetischen Felder (kurz hf-EMF) mit Stress und Krankheit.
Doch sie will von ihrem Schicksal erzählen. Will, dass andere Menschen aufgeklärt werden über das, worunter "Elektrohypersensible" zu leiden hätten. "Kommt mein Körper in den Wirkbereich besagter Strahlung, spüre ich - je nach Stärke des Feldes - ein Kribbeln auf der Haut. Mir stellen sich die Härchen an Armen und Beinen auf, mir wird übel, schwindelig, die Muskeln beginnen zu zittern, das Herz stolpert, der Kopf wird dumpf und schmerzt." Manchmal müsse sie mitten im Satz abbrechen, weil ihr die Worte wie von einer unsichtbaren Hand abgeschnitten würden. "Ich fühle mich schwach und schwer zugleich und denke: Bloß weg von hier!"
Sobald Sandra H. aus dem Wirkungsbereich der EMF-Strahlenquelle tritt, verschwinden diese Symptome. Deswegen lebt sie selber so elektrofrei wie möglich. "Mein Mann und ich haben zu Hause weder Wlan noch Radio oder Fernsehen. Gekocht wird mit Gas, gelesen abends bei Kerzenlicht."
Aber sie kann nicht alles abblocken. Die Strahlung von Routern, DECT-Telefonen oder Smartphones aus der Nachbarschaft bleiben, dazu kommen immer mehr Wlan-Hotspots in öffentlichen Gebäuden oder auf Plätzen, schießen neue Mobilfunkantennen in den Himmel oder werden bestehende aufgerüstet. Nach draußen zu gehen, in die Stadt, auf Feste: Das kommt für Sandra H. kaum noch infrage. Aber auch in ihren eigenen vier Wänden kann sie sich nicht sicher fühlen.
"Wenn meine Wohnung durchstrahlt wird von der Technik meiner Mitmenschen oder der Mobilfunkanlage auf dem Hausdach gegenüber: Verstößt das nicht gegen das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung? Wie steht es hier mit der Gesundheitsvorsorgepflicht des Staates? Wo bleibt diese öffentliche Diskussion darüber, gerade mit Blick auf die jüngst versteigerten 5G-Lizenzen?" Wenn diese "weißen Flecken" auch noch getilgt werden, bliebe ihr nur noch die Flucht. "Ich bin ein Strahlenflüchtling im eigenen Land - und Politik und Behörden ignorieren das." Sandra H. ist übrigens nicht allein: Laut Bundesumweltministerium gaben neun Prozent der Deutschen an, elektrosensibel zu sein. Was besagt der Grenzwert für Mobilfunkstrahlung?
Der Grenz- oder Richtwert beträgt für Gesamtstrahlung an jedem beliebigen Ort 10Millionen Mikrogramm pro Quadratmeter (µW/m2) und beruht auf Empfehlungen der "Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung" (ICNIRP) sowie der Strahlenschutzkommission (SSK). Die Grenzwerte sind auf Grundlage des Bundes-Immissionsschutzgesetzes in der "Verordnung über elektromagnetische Felder" (26. BImSchV) festgelegt. Die Verordnung gilt für ortsfeste Anlagen, die elektromagnetische Felder im Frequenzbereich von 9 Kilohertz bis 300 Gigahertz erzeugen. Sie trat 1997 in Kraft, wurde 2013 überarbeitet.
Kritiker bekunden, diese Werte seien - begünstigt durch die Lobby von Militär und Industrie - deutlich zu hoch angesetzt und erfüllten eben keinerlei medizinische Schutzfunktion. Der Bund Naturschutz fordert eine Höchstbelastung von 100 Mikrowatt/Quadratmeter im Freien sowie 1 µW/m2 dort, wo sich Menschen dauerhaft aufhalten. Hohe Strahlenleistungen seien nicht notwendig, argumentieren sie, ein ausreichender Handyempfang sei bereits bei 0,00005 µW/m2 gewährleistet.