Puzzlespiel mit Namen und Daten
Autor: Dagmar Besand
Kulmbach, Montag, 09. August 2021
Ditmar Kühne hat in jahrelanger Arbeit die Kirchenbücher von 1533 bis 1700 ausgewertet. Die dabei entstandenen Bücher geben Einblick in die einstige Kulmbacher Gesellschaft.
Schwer zu entziffernde Schriften, Tausende Namen, unzählige Querbindungen, die mühsam gesucht und gefunden werden müssen. Wer sich mit so etwas beschäftigt, braucht vor allem eines: Geduld! Ditmar Kühne hat reichlich davon, und so ist ihm der Abschluss eines kniffligen Puzzlespiels gelungen: die Auswertung der historischen Kulmbacher Kirchenbücher. Alle Hochzeiten, Taufen und Beerdigungen sind darin verzeichnet.
Interessiert das heute noch jemanden, wer in Kulmbach vor 400 Jahren in welche Familie eingeheiratet hat? Wie viele Kinder das Paar hatte und wie viele von ihnen überlebten?
Familienbeziehungen prägten die Stadt
Das Thema ist spannender als man im ersten Moment denkt. Nicht nur für Ahnenforscher. Die Lebensstationen der früheren Bewohner Kulmbachs geben nämlich ganz besondere Einblicke in die Geschichte der Stadt, in ihre gesellschaftlichen Strukturen. Wer waren die Menschen, von denen ein Großteil der heute hier ansässigen Bevölkerung abstammt? Diese Frage beschäftigt Ditmar Kühne, der 2005 begann, die Kulmbacher Kirchenbücher aus der Zeit von 1533 bis 1629 zu studieren und wissenschaftlich auszuwerten. Die Ergebnisse finden sich im ersten Ortsfamilien- und Häuserbuch, das 2010 erschienen ist.
Damit war ein Teil der Historie aufgearbeitet. Doch halbe Sachen macht Kühne nicht. Und so machte er weiter und beleuchtet nun im zweiten Buch die Zeit von 1630 bis 1700.
Ahnenforschung ist zeitaufwendig. Man muss sorgfältig arbeiten - erst recht, wenn es nicht nur um den eigenen Stammbaum geht, sondern um die Wurzeln und die über Jahrhunderte gewachsenen Verflechtungen der Bevölkerung einer ganzen Stadt. Das Erfassen und Verknüpfen aller Daten ist eine mühsame Angelegenheit, doch wenn das einmal erledigt ist, wird es interessant, sagt Kühne, der bei seinen Recherchen auch auf besondere Schicksale stieß.
Heute nahezu unvorstellbar ist beispielsweise die Geschichte der Türkin Haditscha, von der nur der Vorname aufgeschrieben wurde. Sie war eine Witwe, die Obrist von Schönbeck 1688 als Kriegsgefangene nach Kulmbach brachte und "seiner Gemahlin zur Sklavin" gab. Als die Türkin drei Jahre später starb, wollten die Schönbecks sie auf dem Friedhof beisetzen lassen. Das durften sie nicht, da die Muslima sich nicht "von ihrem Unglauben abgewendet" hatte. So wurde sie nachts vom Nachwächter aus der Stadt getragen und "hinten an der Mauer eingegraben". Mehr Wertschätzung erfuhr dagegen eine andere türkische Witwe nur wenige Jahre später. Sie konvertierte und ließ sich auf den christlichen Namen Sophia Magdalena taufen.
Was reizt Ditmar Kühne an der Beschäftigung mit alten Kirchenbüchern? "Mein ursprünglicher Antrieb war, dass ich mehr über meine eigenen Vorfahren wissen wollte", erzählt der 82-Jährige. Als sich dem gebürtigen Schlesier in den neunziger Jahren die Gelegenheit bot, die alten Kirchenbücher von Hussinetz anzuschauen, der Heimat seiner Großeltern, reifte der Wunsch, eine umfassende Dokumentation zu erstellen. Daraus entstand Kühnes erstes Ortsfamilienbuch, das er dem damaligen Kulmbacher Dekan Jürgen Zinck zeigte. Der war von dem Angebot, etwas Vergleichbares für Kulmbach zu erstellen, begeistert.