Druckartikel: Pädophile gehen auch gezielt in Vereine

Pädophile gehen auch gezielt in Vereine


Autor: Christian Holhut

Kulmbach, Donnerstag, 10. Februar 2011

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Für Fachbereichsleiterin Edeltraud Burger-Dahlhoff von der Gummi-Stiftung könnten Betreuer, die sich um Kinder und Jugendliche kümmern, ruhig ein Führungszeugnis vorlegen.
Fachbereichsleiterin Edeltraud Burger-Dahlhoff von der Gummi-Stiftung meint: Betreuer, die sich um Kinder und Jugendliche kümmern, könnten ruhig ein Führungszeugnis vorlegen. Foto: Christian Holhut


Der Fall Nico H., der als Jugendwart in einem Kulmbacher Verein den mehrfachen sexuellen Missbrauch von Kindern eingestanden hat, bewegt Kulmbach. Edeltraud Burger-Dahlhoff, Fachbereichsleiterin Familien und Erziehung bei der Gummi-Stiftung, weiß um die Schicksale. Die BR sprach mit ihr über Pädophilie, die Angst der Opfer und wie Eltern selbstbewusste Kinder erziehen können.

BR: Ein ehrenamtlich engagierter Vereinsvertreter vergeht sich an schutzlosen Kindern. Ist ein solches Szenario ein Einzelfall hier in der Region, wo von und mit den Vereinen gelebt wird?
Burger-Dahlhoff: Schwer zu sagen. Es kann auf alle Fälle immer wieder passieren, dass Pädophile sich gezielt Vereine aussuchen, um mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen.

"Jeder kennt jeden." Bewahrt das vor Übergriffen im ländlichen Raum?
Er ist in gleicher Weise betroffen wie der großstädtische. Im ländlichen Raum kennt vielleicht jeder jeden. Aber: Hauptsächlich traut man so etwas jemandem nicht zu, weil man ein bestimmtes Bild von ihm hat!

Sollten sich deshalb auch Vereine mehr mit dem Thema "Sexueller Missbrauch" beschäftigen?
Jeder, der im Verein mit Kindern arbeitet, sollte ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen, um zu zeigen: Ist er oder sie schon einmal auffällig geworden? Es sind ja nicht nur Männer, sondern auch Frauen - wenn auch in geringerer Anzahl.

In der Praxis sind Vereine froh, wenn sich jemand überhaupt ehrenamtlich engagiert.
Das Thema ist ja auch durch die Kirche wieder sehr in die Öffentlichkeit gerückt. Insofern muss uns bewusst sein: Unter den Menschen, die mit Kindern arbeiten, kann es Täter geben. Und deshalb bedarf es einer besonderen Überprüfung - nicht nur in Vereinen, sondern auch Kindergärten, Schulen oder öffentlichen Einrichtungen.

Wo findet sexueller Missbrauch häufiger statt: innerhalb oder außerhalb der Familie?
Häufiger im familiären Umfeld. Also nicht unbedingt Papa oder Großvater, es kann auch der Onkel sein. Oder ein regelmäßiger Hausgast.
Was ist für das Opfer schlimmer, wenn man das überhaupt so sagen kann?
Das kann man sicher so nicht sagen. Es kommt darauf an, wie das Opfer damit umgehen kann. Im familiären Umfeld ist natürlich das Problem, dass Vertrauenspersonen die Täter wären, denen das Kind eng verbunden ist. Insofern ist es im familiären Umfeld eher so, dass ein Opfer sexueller Gewalt noch häufigere Taten erfährt.

Ist die Dunkelziffer bei sexuellem Missbrauch in der Familie besonders hoch?
Ja. Kinder trauen sich weniger, sich zu äußern. Und sie wissen nicht, wem sie sich anvertrauen sollen. Etwa der Mutter, wenn ich vom Vater missbraucht werde? Oder vom Onkel? Das braucht eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Kind und Eltern.

Was hält die Opfer ab, sich den Eltern oder guten Freunden anzuvertrauen?
Sie haben ja nicht nur eine negative Erfahrung beispielsweise mit dem Vater, sondern auch eine positive. Ihre große Angst ist, dass ihnen nicht geglaubt wird. Dass das, was sie erzählen, so ungeheuerlich ist, dass man es nicht einmal glauben kann. Auch Müttern fällt es extrem schwer zu akzeptieren, dass ein Vater, der Ehemann, sich an dem Kind vergangen hat.

Wie kann man diese Angst aufbrechen?
Missbrauch ist eine belastende Situation für Kinder. Um darüber reden zu können, brauchen sie das Gefühl: Mir wird geglaubt, ich werde nicht als Lügner bezeichnet. Es ist bei Kindern auch ein langsamer Prozess. Sie erzählen nicht einfach, dass sie gestern missbraucht worden seien - sondern sie tasten sich vor. "Kennst Du den näher, hast Du den schon mal gesehen?" Sie geben Hinweise. Und da müssen Eltern einsteigen. Dann braucht es eine Privatsphäre zum Reden, nicht am Küchentisch. Und keine bohrende Fragen stellen, nur interessiert nachfragen: Was hast Du erlebt? Auf keinen Fall die Kinder drängen.

Je kleiner das Kind ist, desto schwieriger wird das?
Wir haben bei uns im Heim viele Fälle sexuellen Missbrauchs. Ich erlebe, dass das mit kleinen Kindern relativ gut geht - denn es fällt ihnen leichter zu reden. Wenn erst die Pubertät einsetzt und die Beschämung deutlicher wird, ist es schwieriger.

Ist sexueller Missbrauch ein Problem spezieller Schichten?
Nein, das hätte man vielleicht gerne. In höheren Schichten ist das Abhängigkeitsverhältnis oft größer, weil mehr versprochen wird.

Welche Folgen hat sexueller Missbrauch für das Opfer?

Das ist abhängig von der Stabilität - also wie selbstbewusst das Kind ist. Es gibt keine typischen Symptome oder Folgeerscheinungen. Nicht verarbeiteter Missbrauch führt häufig zu Beziehungs- oder Nähe- und Distanzproblemen. Opfer erkennen auch keine Grenzen zu anderen Jugendlichen.

Wie kann ich meine Kinder selbstbewusst genug machen?
Indem man ihnen etwas zutraut. Wir haben in unserer Zeit zunehmend überbeschützende Eltern, die immer in Sorge sind und ihren Kindern zu wenig zutrauen. Das ist Misshandlung! Ein Kind muss experimentieren und ausprobieren können.Der Austausch ist auch wichtig. Immer mehr Vorschulkinder sitzen am PC, da verlieren Eltern den Zugang. Wenn ich einmal am Tag mir Zeit nehme, abends im Bett den Tag mit ihm Revue passieren lasse - dann bekomme ich mit, wenn es meinem Kind durch eine plötzliche Verhaltensänderung schlechter geht.


Eltern, darauf solltet ihr achten!

- Aufmerksam sein! Ist das Kind verändert? Beispielsweise wenn es heimkommt - geht es sofort ins Zimmer oder wird schwer zugänglich?

- Behutsam sein! Vorsichtig nachfragen, nicht bedrängen! Es muss ja nicht gleich sexuelle Gewalt sein.

- Diskretion! Bei Gesprächen immer auf die Privatsphäre achten, möglichst unter vier Augen sprechen.

- Bestärken! Dem Kind nicht nur Glauben schenken, sondern auch Rückmeldung geben - und stets offene Fragen stellen. Beispielsweise: "Ich merke, dass was nicht stimmt!?"

- Ruhe bewahren! Beim Verdacht auf Missbrauch neigt man dazu, schnell handeln zu wollen. Nichts überstürzen, kühlen Kopf bewahren.

- Offenheit! Transparent bleiben fürs Kind, alle Schritte mit ihm absprechen.

- Hilfe suchen! Mit Vertrauenspersonen sprechen und Fachleute dazu holen alleine kann man das Problem des Missbrauchs nicht bewältigen.


Wie ich mich als Kind oder Jugendlicher verhalte!

- Vorsicht! Gehe niemals mit Fremden mit, nimm keine Geschenke von ihnen an.

- Gemeinsam! In der Gruppe bist Du stark! Sei immer mit Freunden oder Klassenkameraden unterwegs.

- Mund auf! Wenn Du Dich bedroht fühlst, mach auf Dich aufmerksam - sei laut und gehe direkt zu anderen, um Dir Hilfe zu holen.

- Reden! Teile Deine Ängste oder "komische Situationen", die Du erlebt hast, mit Personen Deines Vertrauens!

- Selbstbewusst sein! Wenn Du missbraucht wirst: Du hast keine Schuld! Du allein hast das Recht zu bestimmen, wer dich anfassen darf und welche Situationen du magst oder nicht.

- Schuldig! Auch der Täter weiß, dass er dich sexuell missbraucht... auch wenn er/sie so tut, als sei das alles ganz normal.

- Nur Mut! Lass dir keine Angst einjagen: Du darfst über Missbrauch sprechen!

Quellen: u. a. wildwasser.de, gegen-missbrauch.de, polizei-beratung.de


Anonyme Hilfe am Telefon

Kulmbach
Das Kinderschutzzentrum der Geschwister-Gummi-Stiftung ist jeden Dienstag und Donnerstag in der Zeit von 9 bis 10.30 Uhr unter der Telefonnummer 09221/82820 erreichbar.

Bundesweit
Unter der kostenfreien Telefonnummer 0800/2255530 (montags 8 bis 14 Uhr, dienstags, mittwochs und freitags 16 bis 22 Uhr, sonntags 14 bis 20 Uhr) sind Fachkräfte der unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung, der ehemaligen Familienministerin Christine Bergmann, zu erreichen.