Druckartikel: Nie wieder Versuchsobjekt

Nie wieder Versuchsobjekt


Autor: Jochen Nützel

Kulmbach, Freitag, 03. Sept. 2021

Aus der Labor-Hölle Italiens ins Paradies nach Burghaig: Für Beagle-Dame Alessia wurde - nach der Befreiung aus dem berüchtigten "Hunde-KZ"- dank Rita Lauterbach ein Wunder wahr.
Beagle werden in vielen Laboren auf der Welt als Versuchstiere gehalten. Sobald sie "ausgedient" haben, werden sie auch an Privatleute vermittelt.


Alessia konnte nichts: Sie war nicht stubenrein, hörte weder auf "Sitz" noch "Platz". Sie drehte sich plötzlich wie ein Derwisch im Kreis, oft minutenlang. Den Umgang mit Ihresgleichen hatte sie nie gelernt; Artgenossen sah sie stets nur durch Plexiglas. Einmal am Tag gab es Streufutter, danach kamen die Männer ohne Namen mit dem Wasserschlauch und spritzten die ein mal ein Meter "große" Box aus. Sonnenlicht? Hat sie nie gesehen. Gras unter den Pfoten? Hat sie nie gespürt. Zwei Mal wurde sie Mutter. Viel zu oft, viel zu früh für eine junge Hündin, die nicht einmal zwei Jahre alt war. Es war ihre Bestimmung, Nachwuchs zu gebären. Nachschub für die Forschung. So lebte die Beagle-Hündin die ersten zwei Jahre ihres Lebens. Dann plötzlich öffneten sich die Pforten der Hölle.

"Schockverliebt"

Die Hölle hieß "Green Hill", grüner Hügel. Welche Farce. Jetzt lebt Alessia wieder an einem grünen Hügel: am Bergsteig in Burghaig, ein Areal, das den Namen verdient. Großer Garten, ein Teich mit Koi-Karpfen - und dazu die treu sorgende Hand von Frauchen Rita Lauterbach, Beagle-Halterin seit 30 Jahren. Über das Internet wird die Kulmbacherin vor zehn Jahren auf Alessia aufmerksam, einer von mehr als 2400 geretteten Laborhunden aus der Einrichtung nahe Brescia (siehe Infobox unten).

"Damals war mein Rüde Snoopy gerade gestorben und ich wollte für meine Holly wieder eine Gefährtin haben." Auf der Homepage der Laborbeagle-Hilfe aus Melle in Niedersachsen stößt Rita Lauterbach auf das Fellknäuel - und ist "schockverliebt". Was es bedeutet, einen Hund aus einer Forschungsstation zu holen? "Ich wollte einer armen Seele ein Zuhause bieten. Ich dachte naiv, so schwierig kann es ja nicht sein." War es dann aber doch...

Das weiß auch Gisela Wertich, die vor rund 15 Jahren den Verein "Laborbeaglehilfe" gründete. "So ein Hund braucht vor allem Zeit. Es sind Tiere aus einer abgeschotteten Welt, die so viel lernen müssen. Für die Hunde ist es eine Riesenumstellung vom Labor in ein normales Zuhause."

Als das Überraschungs-Ei auf vier Pfoten aus Italien in Begleitung einer Helferin des Vereins eintrifft, beginnt das große Abtasten. Wie nimmt der Hund die für ihn völlig fremde Umgebung an? Welche Traumata hat er im Gepäck? Bis heute ist nicht ganz geklärt, was Alessia an Experimenten über sich ergehen lassen musste (körperlich spürbar war ein nicht behandelter Kreuzbandriss am Hinterlauf). Das Labor war berüchtigt als "Hunde-KZ" der Lombardei, dort wurden die Vierbeiner als Versuchskaninchen für die Pharma- und chemische Industrie gehalten. "Im Endeffekt wollte ich es gar nicht alles so genau wissen, was ihr widerfahren ist, das geht mir zu nah", sagt Rita Lauterbach.

Alessia ist ein so genannter Pocket-Beagle, einst in den USA gezielt gezüchtet und aufgrund seiner kompakten Form und Größe geeignet für die ultraenge Käfighaltung. Das und sein freundlich-ausgeglichenes Wesen sowie seine Verträglichkeit mit Artgenossen und die Zutraulichkeit zum Menschen werden ihm zum Verhängnis.

Es dauert vier Monate, bis Alessia in Burghaig buchstäblich angekommen ist. "Anfangs war sie extrem scheu und ängstlich. Zwischendurch war ich mehrfach knapp davor, sie wieder zurückzugeben", gibt Rita Lauterbach offen zu. Der Zugang zum neuen Spielgefährten ist schwer, die Kontaktaufnahme zu Alpha-Hündin Holly "mehr schlecht als recht möglich". Aber dann war es, als hätte man einen Schalter bei Alessia umgelegt, erinnert sich die Kulmbacherin. "Da hat es Klick gemacht. Seither ist sie ein Traum."

Zeitsprung im Video

Nur einmal verfällt die Hündin wieder in Verhaltensmuster von früher. "Ich hatte im Internet ein heimlich gedrehtes Video über ,Green Hill' gefunden und wollte doch schauen, was da abgegangen ist. Also spielte ich den Film ab. Man sah Beagle zu Hunderten, die laut bellten in ihren Käfigen, sich aufrichteten und Tumult machten. Plötzlich schoss meine Alessia von ihrem Platz hoch, rannte im Kreis herum und jaulte wie eine Geistesgestörte." Es war ein unfreiwilliger Zeitsprung zurück in ein früheres Leben und zu einem anderen Ich, beschreibt es Rita Lauterbach. "Unglaublich, welches Trauma diese Phase hinterlassen haben muss."

Für Rita Lauterbach hat sich mit der Aufnahme von Alessia nicht zuletzt das Verhältnis zu Konsumgütern und Medizin verändert. "Wer von uns ist sich bewusst, wofür diese Geschöpfe leiden müssen, damit wir aus 300 Hautcremes wählen können?" Die Kulmbacherin hat ihren Blick geschärft für das, was ihr noch ins Haus kommt. "Man kann mit ein bisschen gutem Willen zu den Mitteln greifen, die ohne Tierversuche auskommen. Es gibt online wertvolle Listen, die solche Produkte zusammentragen." Das gelte auch für medizinische Erzeugnisse. "Nicht alles, was an Pharmaforschung möglich ist, muss man als Mensch auch tun."

Tierversuche mit Hunden - das steckt dahinter

Das Labor Sie nannten ihn den "Hügel des Todes": Vor zehn Jahren retteten Tierschützer und die Lokalregierung der Lombardei 2400 Beagle aus dem berüchtigten Forschungslabor "Green Hill" und machten die Einrichtung ein für allemal dicht. Zwei Firmenchefs und der Tierarzt mussten sich für Tierquälerei verantworten und kamen ins Gefängnis. Die Beagle, die als Versuchstiere für die Pharma-Industrie und andere Forschungslabore bestimmt waren, wurden europaweit in Familien verteilt. Vier davon kamen nach Oberfranken. Übrigens: Auch hier zu Lande gibt es diverse Labore. 900 an 113 verschiedenen Orten, unter anderem angedockt an Universitäten oder Kliniken, listet der Verein "Ärzte gegen Tierversuche" auf.

Die Experimente Mittlerweile sind, jedenfalls in Europa, Tierversuche für Kosmetika verboten, nicht aber für deren Grundstoffe. Und immer noch werden Lacke, Farben, Chemikalien (etwa Pflanzenschutzmittel), aber auch veterinärmedizinische Produkte am lebenden Objekt getestet. Für zahnmedizinische Produkte beispielsweise werden den Hunden gesunde Zähne gezogen und dafür Implantate eingesetzt - anschließend werden die Schädel der toten Tiere vermessen und Belastungstests unterzogen. Allein in Deutschland werden für solche Zwecke drei Millionen Tiere in Laboren gehalten/gezüchtet, die meisten von ihnen überleben die Prozedur nicht und sterben oder werden nach dem Versuch getötet - aus Tierschutzgründen, wie es heißt.

Extra-Züchtung Laborbeagle werden herangezogen, wenn es um Medikamente in der Humanmedizin, aber auch für Haustiere geht (Tierfutter, Erprobung von Anti-Zecken-Mitteln). Für viele Präparate ist ein Nachweis der Wirksamkeit oder Verträglichkeit durch einen Tierversuch immer noch vorgeschrieben. Institutionen wie "Ärzte gegen Tierversuche" versuchen das seit Jahren zu ändern.