"Nicht unter Druck setzen lassen"
Autor: Sonny Adam
Stadtsteinach, Donnerstag, 31. Juli 2014
Rainer Kalweit aus Coburg ist Professor für Betriebswirtschaft. Vor sechs Jahren ist er "aufgewacht", wie er sagt. Damals wurde in seinem Heimatort eine Straßenausbaubeitragssatzung beschlossen.
"Das ging damals ohne Diskussion", blickt Kalweit zurück. Seit dieser Zeit beschäftigt er sich mit dem Thema und hält überregional Vorträge - wie am Mittwochabend auf Einladung der Bunten Liste Stadtsteinach im Gasthaus "Goldener Hirsch". Mit seiner Bürgerinitiative strebt er sogar eine Verfassungsklage an.
"Es muss Schluss sein mit der kalten Enteignung der Bürger, mit der fiktiven Ersterschließung", zeigte sich Kalweit kämpferisch. Für den vierseitigen Aktenvermerk von Verwaltungsleiter Florian Puff und Kämmerer Matthias Stark, der klipp und klar die Notwendigkeit einer solche Satzung betont und nur dann Stabilisierungshilfen in Aussicht stellt, hat er nur ein Kopfschütteln übrig.
"So ein Schreiben, mit dem die Stadt die Räte zwingen will, dafür zu stimmen, habe ich noch nie gesehen", sagte Kalweit.
Er warnte davor, sich von Regierung und Landratsamt unter Druck setzen zu lassen, zumal immer nur Bruchstücke der Wahrheit proklamiert würden.
Generell so der Referent, gebe es die Erschließungsbeiträge, die bei der Herstellung der Straße bezahlt werden und unumstritten seien. Dann gebe es die so genannten Anschlussbeiträge, die über die Ausbaubeitragssatzungen geregelt seien und unterscheiden nach Art der Reparatur, Sanierung und nach Art der Straßen. Diese könnten immer wieder erhoben werden. So würden bei reinen Wohnstraßen Anlieger mit 70 bis 90 Prozent zur Kasse geben, bei Durchgangsstraßen mit etwas weniger. Die Entscheidung, ob die Satzung angewendet wird, treffe aber allein der Stadtrat. Und das führe zu ungeheueren Ungerechtigkeiten, weil das Gremium die Überschrift für die Baumaßnahme beschließen kann. "Das ist ungerecht. Ich kenne Fälle, da wurde eine Straße, an die eine Fabrik angrenzt, nur repariert, weil man den Unternehmer nicht zur Kasse bitten wollte. Aber die Wohneigentümer, bei denen genau die selben Dinge durchgeführt wurden, mussten zahlen", schilderte Kalweit, der von Fällen wusste, in denen Bürger zwischen 20 000 und 70 000 Euro zahlen mussten. "Das hat schon so manchen in den Ruin getrieben."
Die Ausbaubeitragssatzung sorge dafür, dass Straßenreparaturen nicht mehr durchgeführt werden und dass es keine Mängelkontrolle mehr gebe. Die Ingenieurbüros würden immer die teure Erneuerung empfehlen - "die anderen bezahlen ja"
Bürgermeister abgewählt
In seiner Heimatstadt Coburg, so der Redner, habe der Bürgermeister, der die Straßenausbaubeitragssatzung einführt, bereits die Konsequenzen zu spüren bekommen - er sei abgewählt worden. Viele Stadträte ebenfalls. "Die Straßenausbaubeitragssatzung kostet auch den Kommunen Geld. Denn für zehn bis 15 Klagen müssen zwei Sachbearbeiter eingestellt werden - das macht allein 100 000 Euro im Jahr aus", relativierte er den "Erfolg" einer solchen Satzung.
Den Stadtsteinachern empfahl er, auf Zeit zu spielen oder von der Mustersatzung eklatant abzuweichen. "Große Städte wie Berlin und Dresden haben die Straßenausbaubeitragssatzung schon wieder abgeschafft. Und in München haben die SPD und die CSU gerade einen entsprechenden Antrag gestellt", sagte Kalweit. In Berlin würden sogar alle Beiträge, die von Anwohnern bezahlt wurden, wieder zurückerstattet.
Kalweit empfahl den Räten, sich nicht unter Druck setzen zu lassen - auch nicht von in Aussicht gestellter Stabilisierungshilfe. "Es braucht jetzt Stadträte, die ein Kreuz haben. Lassen Sie sich nicht bange machen", gab er den anwesenden Ratsmitgliedern der Bunten Liste, der der CSU und Bürgermeister Roland Wolfrum mit auf den Weg.
Natürlich meldeten sich auch einige Bürger zu Wort. Unter anderen fragte Ehrenfried Bittermann aus der Nordeckstraße, was mit der Straße zum Steinbruch passieren könnte, falls diese saniert werden muss. "Da werden ganz normal die Anwohner beteiligt", antwortete Kalweit klipp und klar.
"Den Großteil dieser Informationen hatten wir nicht. Wir sind von völlig anderen Vorgaben ausgegangen", dankte CSU-Stadtrat Klaus Witzgall für den Vortrag. "Wir sind immer davon ausgegangen, dass es vielleicht um Beteiligungen von 5000 oder höchstens 10 000 Euro geht. Aber die Summen, die hier im Spiel sind, sind unglaublich."
Wolfgang Martin (Bunte Liste) bestätigte, dass dem Gremium nur der Begriff Straßenausbaubeitragssatzung vorlag, aber keine Satzung. "Es geht hier um ganz viel Geld, um Existenzen. Von der SPD ist leider nie gekommen, dass man so eine Satzung scheiße findet", wandte sich Martin an Bürgermeister Roland Wolfrum.
"Reingedrückt bekommen"
Dieser rechtfertigte sich: "Ich gebe zu, dass wir nur das Stichwort genannt haben. Aber die Aufsichtsgremien delegieren von oben, und wir waren der Auffassung, dass wir die Satzung einführen müssen. Wir haben das wirklich mit Macht reingedrückt bekommen. Der Vorschlag wurde natürlich nicht aus Spaß ins Spiel gebracht."