Druckartikel: Nicht nur Autos sind Einheizer

Nicht nur Autos sind Einheizer


Autor: Jochen Nützel

Kulmbach, Freitag, 05. November 2021

Beim Klima gegensteuern: Dem Bayreuther Wissenschaftler Cyrus Samimi geht das nicht schnell genug. Kommunen tragen dabei Risiken - und haben Chancen.
Die Individualmobilität ist für Experten wie Cyrus Samimi immer noch einer der kritischen Bausteine, wenn es um die Reduktion von CO2 geht.


Klimawandel - ein Wort wie Donnerhall. Derzeit reden sich bei der Klimakonferenz "COP26" im schottischen Glasgow Staatschefs, Vertreter von NGOs und Lobbyisten die Köpfe heiß, wie die Menschheit den Planeten runterkühlen kann. Einer, der sich wissenschaftlich mit dem Thema befasst, ist der Bayreuther Professor Cyrus Samimi. Der Klimatologe berät unter anderem Kommunen bei der Abschätzung und Bewältigung der Folgen der Erderwärmung.

Herr Samimi, aus Ihrer Erfahrung: Wie viel Wert legen Kommunen aktuell auf Nachhaltigkeit und ökologische Ausrichtung und nicht "nur" auf die schnelle Ausweisung von Gewerbegebieten und Siedlungsflächen für potenzielle Häuslebauer?

Cyrus Samimi: Hier passiert noch viel zu wenig. Eine einzelne kleine Kommune hat insgesamt zwar nur einen kleinen Einfluss auf den Klimawandel, aber jede Reduktion von Emissionen zählt. Gerade im Verkehrsbereich liegt der Fokus immer noch viel zu stark auf dem Individualverkehr. Auch ein Umstieg auf E-Mobilität ist keine optimale Lösung, denn es werden immer noch immense Ressourcen verbraucht und der Strom muss natürlich auch produziert werden.

Hier muss es endlich einen Umstieg auf den ÖPNV und eine vernetzte, integrierte Mobilität geben. Man muss sich in der Metropolregion Nürnberg nur den Ausbau der Eisenbahn im Vergleich zu Straßen anschauen, um das Problem zu sehen. Die Elektrifizierung der Strecke Nürnberg-Bayreuth steht in den Sternen, vom komplett zweigleisigen Ausbau wüsste ich nichts. Aber auch innerhalb Bayreuths liegt der Fokus immer noch auf dem Auto - siehe neues Parkhaus am Bahnhof. Auch mit dem Radwegenetz sieht es in Nürnberg und Bayreuth eher schlecht aus. Man muss die Dynamik beim Ausbau des Radverkehrs oder des ÖPNV hier nicht mit den Vorreitern in den Niederlanden oder Kopenhagen vergleichen, sieht aber, was etwa in Paris oder Wien möglich ist.

Gäbe es etwa innerhalb einer Stadt Möglichkeiten, effektiv zu handeln?

Die gibt es. Für Bayreuth konnten im Projekt MiSKOR der Mikrometeorologie und der Klimatologie der Stadtklimaeffekt klar nachgewiesen werden, in einer kleinen Studie auch für Forchheim. Hier müssen die Kommunen durch Offenhalten von Kalt- und Frischluftflächen für eine Reduktion der urbanen Wärmeinsel sorgen. Zusätzlich muss eine stärkere, auch kleinräumige Durchgrünung und Entsiegelung der Städte erfolgen, vor allem auch im Straßenraum, was Hand in Hand mit einer Umstrukturierung der Mobilität erfolgen muss. Zudem darf der eventuelle Transport nächtlicher Kaltluft in die Städte nicht reduziert werden.

Sind wir noch beim Aufhalten oder schon beim reinen Reagieren auf den "worst case"?

Beim "worst case" sind wir noch nicht, aber durch die gegenwärtige Politik und unser Verhalten sind wir ohne schnelles und starkes Umsteuern auf dem Weg in den "worst case". Schnell heißt wirklich "sofort" und nicht erst in ein paar Jahren. Aber selbst dann müssen wir uns dem schon stattgefundenen Klimawandel stellen und uns auf Extremereignisse wie Hochwasser, Hitze und Dürre einstellen. Gerade im städtischen Bereich geht es darum, durch Entsiegelung - Stichwort "Schwammstadt" - Starkregen abzupuffern. Im ländlichen Raum muss dies auch passieren, denn neben Starkregen ist die Landnutzung verantwortlich für Hochwasserereignisse. Gesunde Wälder sind die besten Puffer gegen Überschwemmungen, eine heterogene Landnutzung ist besser als große Monokulturen.

Wissen die Führungskreise in Kommunen überhaupt genau, worauf sie sich einzustellen haben? Lassen sich die Folgen heute so konkret abschätzen, dass auch konkrete Maßnahmen daraus ableitbar sind?

Hier findet gerade ein Umdenken statt. Viele Kommunen haben inzwischen eigene Mitarbeitende für Klima- und Umweltschutz eingestellt. Sie müssen aber unbedingt an zentraler Stelle bei der Stadtpolitik mitwirken und dürfen nicht nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Auswirkungen lassen sich konkret abschätzen und zwar schon länger, so dass konkrete Maßnahmen abgeleitet werden können.

Es heißt, Deutschland müsse vorangehen und dürfe nicht auf andere Staaten warten. Skeptiker sagen, wir machten in der BRD nur einen verschwindend kleinen Teil der weltweiten Emissionen aus und überschätzten unseren Einfluss maßlos.

Die Vorbildrolle Deutschlands als größte Volkswirtschaft in Europa und viertgrößte der Erde mit seiner wirtschaftlichen Verflechtung ist immens. Das Argument, dass Deutschland nur rund zwei Prozent der globalen Emissionen verursacht, ist nicht haltbar - aber noch wichtiger ist, dass Deutschland nur rund ein Prozent der globalen Bevölkerung stellt und durch die historische kumulative Emission eine große Verantwortung trägt. Der Ausstieg aus fossiler Energie und der Umstieg auf Regenerative kommt viel zu spät und viel zu zögerlich. Es wird immer noch in sehr großem Umfang klimaschädliches Verhalten subventioniert. Ein Tempolimit etwa auf 130, besser 120 Stundenkilometer würde die Emissionen sofort signifikant reduzieren, die Verkehrssicherheit erhöhen und durch flüssigeren Verkehr wahrscheinlich sogar zu kürzeren Fahrzeiten führen.

Hand aufs Herz: Schaffen wir die Trendumkehr noch? Und was passiert mit all den anderen Arten, die auch in der Stadt leben?

Dass 1,5-Grad-Ziel ist eigentlich nicht mehr zu halten. Nach dem Abkommen von Paris ist sechs Jahre viel zu wenig passiert. Es muss sofort umgesteuert werden, um wenigstens das 2-Grad-Ziel zu halten, denn bei der gegenwärtigen Politik gelingt auch das nicht. Um Arten in der Stadt sorge ich mich nicht. Hier finden etwa Bienen sogar bessere Lebensbedingungen als in unserer industrialisierten Landwirtschaft. Der massive globale Verlust an Biodiversität hingegen muss uns große Sorgen bereiten. Hier ist beispielsweise der Beschluss in Glasgow, den Waldrückgang bis 2030 zu stoppen, eine Augenwischerei. Das wurde schon mal vereinbart ohne Konsequenzen - und 2030 ist zu spät, denn viele Waldökosysteme haben Kipppunkte wahrscheinlich schon erreicht.